Münchener Missbrauchsgutachten

„Ruf der Kirche ging vor Kinderschutz“

09:52 Minuten
Staatsanwaltschaft prüft nach Münchner Gutachten 42 Fälle
Man habe sich dem Mitbruder stärker verpflichtet gefühlt als den minderjährigen Opfern, sagt Bernhard Anuth. © picture alliance/dpa
Bernhard Anuth im Gespräch mit Axel Rahmlow |
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Das Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München erschüttert die katholische Kirche. Für den Kirchenrechtler Bernhard Anuth ist der Grund für das Schweigen und Vertuschen ein „Mentalitätsproblem“ innerhalb der Kirche.
Für den Kirchenrechtler Bernhard Anuth zeigt das Münchener Gutachten dasselbe Bild der Kirche wie bereits viele frühere Gutachten: „Das Interesse der Kirche war darauf gerichtet, den Ruf der Kirche zu schützen. Das ging jahrzehntelang vor Kinderschutz“, sagt der Kirchenrechtler. Durch Taten von Geistlichen sollte „ja nicht der Ruf der Kirche in den Schmutz gezogen werden“.
Grund dafür ist laut dem Kirchenrechtler aber nicht allein das „individuelle Versagen kirchlicher Autoritäten“ wie etwa Bischöfen. Es gebe dafür auch „systemische Gründe“. Anuth sieht hier „ein Mentalitätsproblem“: Man habe sich dem Mitbruder stärker verpflichtet gefühlt als den minderjährigen Opfern.

Die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler ist vor 13 Jahren wegen damals bekannt gewordener Missbrauchsfälle aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie sagt, es gebe innerhalb der Kirche keinen erfolgversprechenden Weg, etwas zu verändern. Hören Sie hier das Gespräch mit Marina Münkler .

Auch nach Kirchenrecht strafbar gemacht

Der Kirchenrechtler betont, die mutmaßlichen Täter hätten sich gegebenenfalls auch nach dem Kirchenrecht strafbar gemacht: „Dieses Kirchenrecht ist aber nicht konsequent angewendet worden.“ Man habe im Zweifelsfall lieber den Skandal vermieden, statt den Täter auszuliefern.
Laut Anuth gibt es inzwischen Belege aus vielen Teilen der Welt, dass Bischöfe, ihre Generalvikare und Ordinariate sexuelle Übergriffe „aktiv vertuscht“ hätten. In den USA sei dies in früheren Zeiten sogar mit Zahlung von Schweigegeld an die Eltern der minderjährigen Opfer geschehen. In jedem Fall hätten sie sich aber nicht mit der nötigen Sorge rechtlich um den Täter gekümmert und die Betroffenen nicht genug unterstützt. Für die Opfer würden diese Fälle von „aktiver Vertuschung“ und „Desinteresse“ aber ähnlich schwer wiegen.

Fehlende rechtliche Sensibilität

Dass Täter nicht angezeigt wurden, sei, so vermutet Anuth, nicht mehrheitlich im Bewusstsein geschehen, über dem Gesetz zu stehen, „sondern die Sensibilität, dass hier etwas gravierend strafrechtlich Relevantes geschehen ist, war einfach nicht da. Das finde ich fast noch erschreckender.“
Anuth geht davon aus, dass die Kirche noch Zeit brauche, um die Vorfälle kritisch aufzuarbeiten. Die meisten in der Kirche stünden bei einer kritischen Selbstreflexion noch sehr am Anfang, vermutet der Kirchenrechtler.
(tmk)
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