Gutachten belastet Benedikt XVI.
Papst Benedikt, früher Erzbischof von München und Freising, wird in dem Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum schwer belastet. © picture-alliance / dpa / Gerhard Rauchwetter
"Ratzingers Bild zerbricht"
06:20 Minuten
Der emeritierte Papst Benedikt soll in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising nichts gegen sexuellen Missbrauch unternommen haben und bestreitet Mitwissen. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller kann darüber nur den Kopf schütteln.
„Von einer vollständigen Nicht-Wahrnehmung der Opfer“ ist die Rede in einem neuen Gutachten zu sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising. Ein Gutachten, dass auch den emeritierten Papst Benedikt XVI. schwer belastet.
Benedikt habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts gegen den Missbrauch beschuldigter Kleriker unternommen, heißt es. Damit konnten verurteilte Täter zum Beispiel weiter als Priester in der Seelsorge arbeiten.
Auch dem amtierenden Erzbischof Reinhard Marx werden Fehler vorgeworfen. Er hat sich geäußert und im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung gebeten.
"Das ist erst mal eine Floskel", kritisiert Thomas Schüller, Kirchenrechtler an der Universität Münster. Die Betroffenen wollten sehen, dass jemand Verantwortung übernehme und aufgeklärt werde, dass sie Entschädigungen bekommen. "Und überall gibt es Defizite."
Ratzinger "schadet der Gesamtkirche"
Es sei nicht das erste Gutachten, aber dieses habe eine besondere Qualität, urteilt Schüller: "Jetzt sind drei Kardinäle involviert und der ehemalige Papst, das ist quasi der weltpolitische, weltkirchliche Rahmen."
Joseph Ratzinger habe die Chance verpasst, reinen Tisch zu machen und zu sagen, dass er die moralische Verantwortung trage, dass in mindestens vier Fällen schwerstkriminelle Täter weiterarbeiten konnten und neue Opfer entstanden seien. "Aber die Größe hat er nicht und dementsprechend zerbricht sein Bild, aber er schadet damit natürlich der Gesamtkirche."
Es habe immer gegolten: "Kleriker gehen vor Opfern – Opfer waren nicht in der Perspektive."
"Absolut peinlich"
Die Gutachter hätten durch ihre Recherchen bewiesen, dass Ratzinger genau über die Vorgeschichte Bescheid gewusst habe. Es sei absolut peinlich für den ehemaligen Papst, dass ihm nachgewiesen werde, die Unwahrheit zu sagen. Ratzinger selbst zeichne in seiner Stellungnahme "das Bild eines vollkommen unwissenden, unbedarften Kardinals". Die Opfer habe Benedikt XVI. überhaupt nicht im Blick.
Noch lebende bischöfliche Entscheidungsträger, aber auch amtierende, müssten sich wirklich der Verantwortung stellen. Schüller schlägt vor, die weitere Aufarbeitung an eine unabhängige staatliche Kommission zu geben:
"Denn es wird an diesem Beispiel sehr deutlich: Sie verleugnen, sie vertuschen, selbst wenn sie mit den Tatsachen konfrontiert werden, es gibt nicht die Bereitschaft, sich tatsächlich der eigenen Fehlergeschichte zu stellen."