Kein NPD-Mitglied in den Gemeindekirchenrat
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Eine AfD-Mitgliedschaft ist für die Evangelische Kirche in und um Berlin kein Grund, einen Kandidaten für die Gemeindekirchenratswahl abzulehnen. Die Zugehörigkeit zur NPD aber schon. Wie können Gemeinden rassistischem Gedankengut begegnen?
Anne Françoise Weber: Kirchenleitung im Ehrenamt, das ist die Aufgabe der Gemeindekirchenräte. Jetzt im November werden sie in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, kurz EKBO genannt, von den Gemeindegliedern neu gewählt. Dass dabei auch die Politik nicht ganz außen vor bleibt, zeigt sich an einem Satz in der Grundordnung der EKBO. Dieser Satz lautet: "Älteste können nur Gemeindeglieder sein, die sich zu Wort und Sakrament halten und ihr Leben am Evangelium Jesu Christi ausrichten. Damit nicht vereinbar ist die Mitgliedschaft in oder die tätige Unterstützung von Gruppierungen, Organisationen oder Parteien, die menschenfeindliche Ziele verfolgen."
Im März hat die Landeskirche dazu noch eine Handreichung für Gemeindekirchenräte vorgelegt. Darin werden die Kriterien für den Ausschluss vom Ältestenamt nochmal erläutert. Gleichzeitig wurde ein Beauftragter zum Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eingesetzt. Das ist Heinz-Joachim Lohmann, er ist im Hauptberuf Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche im ländlichen Raum an der Evangelischen Akademie zu Berlin. Er ist jetzt bei mir hier im Studio.
Unterscheidung zwischen verschiedenen Parteien
Herr Lohmann, warum sah man im Vorfeld der Gemeindekirchenratswahl die Notwendigkeit, noch eine Handreichung nachzuschieben, in der klar benannt wird, Mitgliedschaft oder tätige Unterstützung zum Beispiel in der NPD ist wirklich ein Ausschlussgrund, so jemand kann nicht für den Gemeindekirchenrat kandidieren, bei der AfD reicht die reine Mitgliedschaft noch nicht für einen Ausschluss. Hatten Sie den Eindruck, das muss man den Gemeinden an die Hand geben, damit die entscheiden können?
Heinz-Joachim Lohmann: Die Grundordnungsänderung wurde ja nicht für diese Gemeindekirchenratswahlen gemacht. Es waren die letzten im Jahr 2013, und man hat diese Grundordnungsänderungen 2012 gemacht, als wir noch mitten in den Rechtsextremismus-Diskussionen drinstanden. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg hat sich ja seit den 1990er Jahren ganz stark gegen Rechtsextremismus in Brandenburg engagiert, hat immer den Vorsitz im Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit des Landes innegehabt.
Weber: Das waren eine Zeit lang auch Sie selbst.
Lohmann: Das war eine Zeit lang auch ich selbst, genau, weswegen ich jetzt auch Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche im ländlichen Raum an der Evangelischen Akademie bin. Es gab einige Diskussionen, was ist, wenn NPD-Mitglieder versuchen, in Gemeindekirchenräte zu kommen, und das wollten wir auf jeden Fall verhindern.
Zu dieser Zeit war keineswegs absehbar, dass wir am rechten Rand eine Partei bekommen würden, bei der es nicht so eindeutig ist, ob sie jetzt radikal konservativ, weit rechts oder rechtsextrem ist, und wo man sich immer von Fall zu Fall anschauen muss: Mit wem hat man es jetzt zu tun, welche Positionen sind gerade noch hinnehmbar, und welche sind völlig jenseits jeglicher Akzeptanz durch christliche Standpunkte.
Kein Platz für Ausländerfeinde
Weber: Deswegen also diese Handreichung. Aber wie kann denn eine Gemeinde überhaupt rausfinden, was die Überzeugungen der Menschen sind?
Lohmann: Auch die Handreichung gab es schon 2013. Die mussten wir nur jetzt überarbeiten und ergänzen, weil verständlicherweise nun der Verdacht im Raum stand, dass wir uns generell sofort von allen AfD-Mitgliedschaften im Raum der Kirche trennen wollten. Aber diese Handreichung sagt ja, genau das soll nicht der Fall sein, es soll eine Einzelfallprüfung sein. Es soll auf jeden Fall sichergestellt werden, dass Leute, die Asylbewerberwohnheime anzünden oder "Ausländer raus!" schreien, nicht in Gemeindekirchenräte kommen. Ich glaube, flächendeckend engagieren sich Gemeindekirchenräte sehr für die Willkommenskultur von Flüchtlingen, und das möchten wir eigentlich auch beibehalten.
Vieles ist vor Ort zu klären
Weber: Aber wenn man nun einen Zweifel hat in einer Gemeinde - da kommt jemand und sagt, ich würde mich gern engagieren, hat sich vielleicht auch vorher schon im Ehrenamt engagiert, will sich jetzt als Kandidat aufstellen lassen, aber man hat so einen leichten Zweifel, was macht man dann? Dann muss man dem Menschen ja hinterherspionieren. Ihnen wurde da Gesinnungsschnüffelei vorgeworfen, das ist ein ganz furchtbarer Begriff, aber wie kommt man da überhaupt ran an die Überzeugungen von diesen Menschen, wenn die sie jetzt nicht gerade sehr sichtbar vor sich hertragen?
Lohmann: Träger der Handlung und Träger der Entscheidung ist immer der Gemeindekirchenrat vor Ort. Wenn der Gemeindekirchenrat vor Ort Zweifel an der christlichen Grundeinstellung der Kandidatin oder des Kandidaten hat, dann kann er tätig werden, aber da muss er auch zunächst einmal von sich aus ein Gespräch führen und sagen: Hör zu, wie stehst du dazu? Wir haben hier ein ganz starkes Engagement beim Willkommen von Flüchtlingen, wir wissen, dass du ständig über Flüchtlinge herziehst, wie willst zu künftig damit umgehen? Man muss da ganz viel vor Ort klären. Und erst in dem Moment, wo Klärungen vor Ort nicht mehr möglich sind, wird eine andere Instanz eingeschaltet.
Weber: Und diese Instanz können dann Sie sein als Beauftragter.
Lohmann: Das kann ich sein, das kann auch der Superintendent sein. In der alten Handreichung waren es die Superintendentinnen und Superintendenten, aber wir hatten den Eindruck, dass es da im Extremfall auch ganz schnell zu Interessenkonflikten kommen kann und dass es besser ist, jemanden zu haben, der ein bisschen weiter weg ist und vor Ort nicht integriert ist.
Weber: Nun ist ja ab heute Gemeindekirchenratswahl in der EKBO, das heißt, die Kandidaten sind alle aufgestellt. Kam denn eine Gemeinde auf Sie zu mit so einem Fall?
Lohmann: Es gab null Anfragen.
Menschenfeindliches Gedankengut kann es schon geben
Weber: Und was heißt das? Heißt das, das ist wirklich kein Thema, sagen wir mal, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit? Ich merke ja, dass es sehr darum geht, all die Begriffe auseinanderzuhalten. Aber selbst das ist doch schwer vorstellbar. Ich meine, in Brandenburg sind neonazistische Vereinigungen aktiv, bei der AfD haben wir jetzt klargestellt, es ist nicht unbedingt jedes Mitglied rechtsextrem oder gruppenbezogen menschenfeindlich, trotzdem gibt es da auch Flügel, die in diese Richtung gehen. Wenn die nun 23,5 Prozent als Partei bekommen haben, ist es doch unwahrscheinlich, dass es da nicht in Kirchengemeinden auch Menschen gibt, die auch so ein Gedankengut mit sich rumtragen, oder?
Lohmann: Dass es in Kirchengemeinden Menschen gibt, die diesem Gedankengut nahestehen, das glaube ich sofort, inwieweit dieses Gedankengut auch in den Gremien der evangelischen Kirche vertreten ist, da wäre ich vorsichtiger, da bin ich mir nicht sicher. Ausschließen kann man es nicht, und auch, dass es keine Anfragen gab, heißt nicht, dass es das nicht gibt.
Vorherrschend ist die Willkommenskultur
Auf der anderen Seite habe ich schon den Eindruck, dass es in Fragen der Willkommenskultur, in Fragen der Migrationsfreundlichkeit, in Fragen auch des Klimaschutzes eigentlich eine breite Mehrheit der Gremien der evangelischen Kirche gibt. Wenn Sie auf die Frühjahrssynode zurückschauen, da hat die Synode das Papier "Haltung zeigen" diskutiert, wo es um Klimaschutz ging, wo es um bezahlbare Mieten ging, wo es um Migrationsfreundlichkeit ging.
Weber: Synode ist das Kirchenparlament, muss man, glaube ich, kurz mal einschieben.
Lohmann: Die Landessynode ist das Kirchenparlament, und dieses Kirchenparlament ist ja zusammengesetzt aus Mitgliedern von Gemeindekirchenräten. In diesem Kirchenparlament kann niemand sitzen, der nicht auch zu Hause im Gemeindekirchenrat sitzt. Und dieses Papier "Haltung zeigen" ging einstimmig durch. Es gab zwei Enthaltungen, und der Rest der Synode war dafür, das ist einstimmig. Von daher würde ich jetzt mal sagen, dass die übergroße Mehrheit der Gremien in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz diesem Gedankengut sehr fern steht.
Die AfD wettert gegen die Evangelische Kirche
Weber: Das ist ja aber für manche Leute auch ein Problem, dass sie den Eindruck haben, das sei so eine Meinungsdominanz in der evangelischen Kirche. Die Thüringer Landtagsfraktion der AfD hat im Juni ein sogenanntes Kirchenpapier vorgelegt, und da wurde dann ganz kräftig gegen die Evangelische Kirche ausgeteilt und ihren angeblichen Pakt mit dem Zeitgeist und den Mächtigen gewettert. Ist es auch Aufgabe der Kirche, eine Meinungsvielfalt abzubilden, und ist das dann schwierig, wenn man andererseits sagt, wir haben aber bestimmte Standards, unter die gehen wir nicht? Also wie stellen Sie das ins Verhältnis: einerseits Vielfalt zulassen und sich streiten und andererseits eben doch eine Meinung haben, einfach, weil man sagt, sie gründet auf der christlichen Religion, diesen Grundkonsens, den wollen wir jedenfalls nicht verlassen?
Lohmann: Meinungsfreiheit heißt nicht, dass man alles sagen darf. Wir haben in der jüngsten Zeit viele Entgleisungen gehabt, die eigentlich jenseits des Sagbaren sind. Wenn man früher gesagt hat, "man wird doch noch mal sagen dürfen", sagt man heute, "wir sagen jetzt aber", und da ist schon die Frage, ob alles Rechtsextreme und Menschenverachtende wirklich seinen Platz in die Öffentlichkeit finden darf. Und da, würde ich sagen, kann das nicht der Standpunkt der Kirche sein, dass das so ist.
Wir haben in unserem Kommentar zu diesem Kirchenpapier gesagt: Unser Maßstab ist, was du den Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan hast, hast du mir getan, und wir hoffen auf ein Reich, in dem jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum sitzen wird und jeder im Lichte seines Gottes wandeln und wir alle miteinander auskommen. Das ist so ein bisschen unsere Zielformulierung, und von daher halte ich es für wichtig, dass wir uns als Kirche da abgrenzen.
Die Kirche hat die Demokratie 1919 nicht unterstützt
Wir werden niemanden rausschmeißen können, der das nicht so sieht, aber von dem, der es anders sieht, erwarten wir schon auch, dass er auf biblischem Boden begründet, warum er oder sie es anders sieht. Und dann müssen wir in eine Auseinandersetzung hinkommen. Dieses Kirchenpapier der AfD wirft sehr atemberaubend das Kaiserreich, die Nazidiktatur und unsere heutige demokratische Struktur in einen Topf und sagt, das ist alles Diktatur. Ob das in den Bereich des Sagbaren gehört, darüber wird man sich schon streiten dürfen. Und wir sagen ja dagegen, dass wir gerade am Ende des Übergangs von der Monarchie zur Demokratie den großen Fehler gemacht haben, die Demokratie nicht zu unterstützen.
Weber: Das lese ich jetzt mal vor: "Die Sünde von 1919 bestand in der Ablehnung des demokratischen Staates durch die Evangelische Kirche. Damit wurde die Verwechslung des Vaters Jesu Christi mit einem deutschen Nationalgott aufrechterhalten. Zu diesem nationalen Götzen möchte die AfD die Evangelische Kirche wieder zurückführen." Das sind harte Worte, da klingt es auch nicht mehr so, als ob man noch diskutieren könnte, sondern dass die Evangelische Kirche keinen Nationalgott haben will, ist klar. Wenn die AfD den haben will, dann hat man ja eigentlich keine gemeinsame Grundlage mehr, oder?
Lohmann: Na, jetzt warten wir mal ab, was die AfD dazu sagt, bis jetzt gibt es noch keine Antwort. Bei den Äußerungen vieler Vertreter, nicht aller, geht es ja vor allem darum, wieder so etwas wie eine Mauer zu haben, die nach einer Seite dicht ist und nach einer Seite durchlässig. Die, die drin sind, dürfen überall in die Welt hinfahren, wieder zurückkommen, aber jeder, der draußen ist, darf nicht rein und wird mit Schusswaffengewalt davon abgehalten. Und wenn sozusagen christlicher Glaube dazu dienen soll, den inneren Zusammenhalt innerhalb der Mauer aufrechtzuerhalten, dann kann das nicht unsere Zielformulierung sein, und dagegen müssen wir uns wehren.
Christen kommen aus vielen verschiedenen Nationen
Christlicher Glaube ist von Anfang an eigentlich eine Sammlungsbewegung aus vielen verschiedenen Völkern, Nationen, aus vielen verschiedenen Herkünften, die gemeinsam eine neue Ausrichtung haben. Das ist das auch, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg gelernt haben, daran wollen wir festhalten und dazu wollen wir auch stehen. Und wenn jemand denkt, dass christlicher Glaube was anderes ist, dann soll er es sagen und auch begründen. Und wie gesagt, dann können wir in eine Auseinandersetzung gehen, aber es müsste dann schon auch erst mal bewiesen werden.
Ich glaube nicht, dass Auseinandersetzung so funktioniert, dass wir alle auf dem niedrigsten Level gemeinsam anfangen, uns dann irgendwo aneinander annähern, sondern die AfD hat gesagt: ihr passt euch immer an den Zeitgeist an - wir sagen: ihr seid eine Truppe von Putschisten, die uns in ihr Boot ziehen will, und das wollen wir nicht.
Aber dass wir innerhalb der Gemeinden eine verstärkte Auseinandersetzung kriegen werden um die richtige Auslegung des christlichen Glaubens und um die Frage zwischen Weltoffenheit und Geschlossenheit, da bin ich mir ziemlich sicher. Letztendlich müssen wir ja auch darauf mit unseren Standpunkten darauf vorbereitet sein und sagen können: Das ist für uns das, was gilt, und wenn wir euch was anderes gilt, dann müsst ihr schon begründen, warum für euch was anderes gilt. Jetzt nur jede Verschwörungstheorie mit dem Vorsatz "weil ich an Gott glaube" zu versehen, funktioniert nicht.
Kirchengemeinden vor Ort geben dem Bunten Raum
Weber: Wenn wir jetzt noch mal in den Alltag der Kirchengemeinden gerade im ländlichen Raum zurückgehen – man hört ja durchaus auch von Siedlungsbestrebungen von ganz rechtsextremen Gruppen, also jetzt weit weg von der AfD, die versuchen, auf dem platten Land ihre Strukturen aufzubauen, und die sich dann engagieren, die vielleicht dazu beitragen, dass es einen neuen Kindergarten gibt oder so etwas. Können Sie da auch Handreichung geben für die Kirchengemeinden, wie die vorgehen mit einem plötzlich neuen Partner, der möglicherweise was Ähnliches will, also die Infrastruktur unterstützen, das Dorfleben bereichern und so weiter, aber der inhaltlich ganz woanders steht, vielleicht aber gar nicht erst mal als solcher zu erkennen ist?
Lohmann: Wo so etwas passiert, dann ist das kein Fall für eine Handreichung aus Papier, sondern dann muss man den Leuten vor Ort gucken: Was passiert hier gerade, welche Übernahmebestrebungen gibt es, wie können wir diesen Übernahmebestrebungen entgegentreten, ist die Lage wirklich so schlimm wie beschrieben oder kann man nicht in den normalen politischen Strukturen Verbesserungen herstellen. Wie stärken wir die zivilgesellschaftlichen Kräfte vor Ort. In Gegenden mit stark rechtsextremer Präsenz ist die Kirchengemeinde häufig die, die sozusagen die bunte Seite mit anführt und der bunten Seite Raum gibt und sich bemüht, das Nationalsozialistische, das Völkische zurückzudrängen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.