Gotteshäuser ohne Hüter

Sie stauben Engel ab, legen Gesangbücher aus und stellen frische Blumen auf den Altar. Küster oder Mesnerinnen sorgen dafür, dass Gläubige sich in ihrer Kirche wohlfühlen. Trotzdem gibt es immer weniger Geld für ihre Arbeit.
Lothar Püster reinigt die Säulen und Wände des Braunschweiger Doms:
"In jeder Kante musst du einmal hoch. Wenn wir das einfach mal zählen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben... Also, das sind zehn Säulen, und an jeder Säule hab ich 16 Kanten."
Unter fünfzehn Metern leben Spinnen gefährlich
Der Familienvater ist 56 Jahre alt, hochgewachsen und schlank, trägt ein kariertes Hemd und eine randlose Brille. Sein Staubwedel ist 5 Meter lang. Wenn er ihn ausklappt, kann er bis zu einer Höhe von fünfzehn Metern Staub und Spinnweben entfernen.
Püster: "Das ist unregelmäßig. Aber ich kann so sagen: einmal im Quartal mindestens. Auch so wie Zeit ist, ne?"

Der Braunschweiger Dom.© picture alliance/imageBROKER/Thomas Robbin
Fertig! Püster faltet den Staubwedel zusammen, so dass er ihn bequem wieder auf den Heizungsboden stellen kann. In dem Raum im hinteren Teil des Doms lagert Püster neben der Heizungsanlage Dinge, die er regelmäßig zur Hand nimmt: Werkzeuge, Reinigungsmittel, Vasen, Lampen für Konzerte und zwei Besen, die jeweils einen Meter breit sind. Damit fegen Püster und sein Kollege regelmäßig die Kirche aus.
Altar und Bänke von Staub befreit
Bis auch der Staub vom Altar und den Bänken entfernt ist und der Dom in allen Ecken blitzt, brauchen sie zu zweit einen ganzen Arbeitstag. Dass Leute dann vom Einkaufen direkt in die Kirche kommen, findet Lothar Püster nicht respektlos, sondern völlig in Ordnung.
Püster: "Einige kommen auch mit ihren Tüten rein, setzen sich hin, verhalten einen Augenblick. Ob die sich einfach nur mal ausruhen müssen oder ob sie ein Gebet sprechen – das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass sie das Gebäude wahrnehmen und dass wir als Mitarbeiter der Kirche da sind und das ermöglichen. Was sollen sie denn machen? Erst die Tüten nach Hause bringen und dann wiederkommen? Das geht nicht!"
Lothar Püster inspiziert den Dom: Ist der Blumenschmuck noch frisch, die Elektrik in Ordnung, sind Informationshefte in ausreichender Zahl vorhanden? Er ist Küster. Die Leute in Braunschweig sagen auch "Kirchenvoigt" zu ihm. Püsters Kollegen in anderen Regionen heißen "Kirchdienerinnen" oder "Mesner". Küster Püster liebt seinen Job. Die Glocken im Dom läutet er per Knopfdruck.
Wichtigster Einsatz in der Osternacht
Weitaus mehr Arbeit bereitet im Dezember das Schmücken der sechseinhalb Meter hohen Weihnachtsbäume, die von sechs kräftigen Personen in die Kirche getragen werden. Der Höhepunkt des Kirchenjahres ist für ihn jedoch der Gottesdienst in der Osternacht.
Püster: "Dann ist es meine Aufgabe, die brennende Osterkerze in einen dunklen Dom zu tragen. Dann ein Domchor mit über 100 Stimmen, die dem folgen. Und dann werden die Kerzen am siebenarmigen Leuchter entzündet: Christus spricht: ‚Ich bin das Licht der Welt.‘ Und mit einer langen Bambusstange ist es dann meine Aufgabe, diese sieben Kerzen zu entzünden. Mehrere hundert Menschen schauen dir da zu. Und ich bin riesig stolz, dass ich das jedes Jahr wieder hingekriegt habe. Das ist unbeschreiblich: Solche Emotionen kann man, glaub ich, nur in ganz wenigen Berufen haben."
Lothar Püster stammt aus Braunschweig und ist Heizungsbaumeister. Einen Handwerksberuf zu erlernen und sich in einem Lehrgang der Kirche das geistliche Handwerkszeug anzueignen – das ist der traditionelle Weg eines Küsters.
Verlagerung ins Ehrenamt
Als Püster sich um die Jahrtausendwende für die freie Stelle als Kirchenvoigt im Braunschweiger Dom interessierte, hatte er 48 Mitbewerber. Heute, so sagt er, würden sich auf solche Posten höchstens noch ein oder zwei Menschen bewerben. Infolge der Kirchenaustritte können sich auch nur noch wenige Gemeinden in Deutschland einen Vollzeit-Küster leisten. Der Braunschweiger Dom als Wahrzeichen der Stadt hat sogar zwei.
Püster: "Während es in den ersten Jahren nach dem Krieg Männer waren, die mit dieser Tätigkeit ihre Familie ernährt haben, ist seit Beginn der siebziger Jahren zu erkennen, dass die Stunden immer weniger werden und dadurch das Ernähren einer Familie mit dieser Tätigkeit gar nicht mehr möglich ist."
Meist sind es Frauen, die an sechs bis acht bezahlten Arbeitsstunden pro Woche die Kirche in Ordnung halten. Auf den Dörfern wird diese Arbeit immer öfter von Ehrenamtlichen erledigt. Ihnen wie auch den angestellten Küstern bietet die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig immerhin Weiterbildungen zu theologischen Fragen an. Christopher Kumitz-Brennecke ist dort Referatsleiter für Gemeindefragen.
Händchen für alles und Gesicht der Gemeinde
Kumitz-Brennecke: "Wir sehen in Küsterinnen und Küstern auch das Gesicht unserer Gemeinde. Oft brauchen Menschen eine Ermutigung, dass sie mit ihrem Problem auch wirklich an den Pfarrer oder die Pfarrerin herantreten können."
Auch vermeintliche Äußerlichkeiten sind seiner Ansicht nach wichtig.
Kumitz-Brennecke: "Da die Menschen sehr anspruchsvoll geworden sind, was die Ästhetik eines Gottesdienstes anbelangt. Wir können nicht mehr Gottesdienste feiern mit Staub auf dem Altar oder mit alten Blumen, die dort noch stehen. Die Predigt kann noch so toll und mitreißend sein – wenn man das Gefühl hat, in einem heruntergekommenen Gebäude zu feiern, wird diese Predigt nicht ganz das Herz der Menschen erreichen.
Wenn eine Lautsprecheranlage nicht mehr optimal eingestellt ist, sind gerade die Seniorinnen und Senioren bei uns sehr kritisch und sagen: ‚Ich verstehe nichts mehr. Ich gucke mir lieber den Fernsehgottesdienst an.‘ Sobald die Menschen anfangen zu frieren, sagen sie: ‚Ach, dann bleib ich doch lieber zu Hause, weil dort hab ich im Fernsehen dann das wärmere Gottesdiensterlebnis.‘"
Orgeln leiden durch mangelnde Pflege
Wie das warme Gottesdiensterlebnis auch in Dorfkirchen erreicht werden kann, die künftig nur noch alle drei Wochen oder seltener geöffnet sind, weiß Pfarrer Kumitz-Brennecke auch nicht so recht. Zumal auch die Orgeln und das Inventar leiden, wenn Kirchen nicht mehr regelmäßig gepflegt werden.
Die Braunschweiger Landeskirche setzt auf die Ehrenamtlichen – und auf die Anziehungskraft sogenannter "Profilkirchen", die mitten in einem Ballungsgebiet viele Menschen anziehen. So wie der Braunschweiger Dom bei dem Orgelkonzert, an das sich Lothar Püster lebhaft erinnert.
Püster: "600 Leute! Und dann fällt eine Sicherung raus. Das Konzert soll beginnen. Der Organist will die Orgel spielen, und die Orgel hat keinen Strom. Und dann muss man kühlen Kopf bewahren, klar denken und sich überlegen: ‚Wie krieg ich da jetzt Strom hin?‘
Dann muss ich von einer Verlängerungsschnur die Kupplung abschneiden, zwei oder drei Adern blank machen und an der Orgel anschließen und am anderen Ende den Stecker irgendwo in die Steckdose stecken. Und das musst du dann natürlich machen in einem schicken Anzug und dann in deinen Werkzeugkeller gehen und da schnell das passende Werkzeug finden. Und auf keinen Fall auf die guten Ratschläge der Besucher und Kollegen hören!"