Mut-Zettel und Online-Segen
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Wegen der Corona-Pandemie steht das Gemeindeleben vielerorts still. Aber zahlreiche Menschen haben gerade jetzt Bedarf an Zuspruch. Deswegen erproben die Kirchen neue Wege, um in Verbindung zu bleiben – digital und analog.
"Da war ein Herr, der mich fragte, ob das jetzt Anzeichen der Apokalypse seien", erzählt Susanne Brusch. "So könne man das doch lesen, dass dann erst einmal so eine Seuche kommt, und dann geht die Welt zu Ende."
Brusch ist 35 Jahre alt und Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Französisch Buchholz im Norden Berlins. Der Name des Ortsteils erinnert an die Hugenotten, die sich hier Ende des 17. Jahrhunderts niederließen – französische Protestanten, die vor der Verfolgung in ihrer Heimat geflohen waren.
Corona ist keine Strafe Gottes
Gut 200 Jahre später sind sie längst assimiliert. Heute hat die Gemeinde rund 2300 Mitglieder. Die Corona-Pandemie sorgt auch in Französisch Buchholz für Unruhe. Doch Zeichen eines nahenden Weltuntergangs erkennt Brusch darin nicht: "Ich sehe das nicht so, dass das jetzt eine Strafe Gottes ist, sondern eher eine Zeit, in der wir uns als Menschheit und als Menschengemeinschaft neu solidarisch finden sollten." Als die Regierung Mitte März die ersten Einschränkungen verkündete, organisierte die Gemeinde als erstes Einkaufshilfen für ältere Menschen. Dann machte sich die Pfarrerin mit einigen Ehrenamtlichen Gedanken darüber, wie sie jetzt ihre Gemeinde erreichen kann.
Ermutigende Worte an der Kirchentür
Sie übernahm die Idee einer befreundeten Pfarrerin aus der Hannoverschen Landeskirche: Rund um die Kirchentür hängt jetzt eine anderthalb Meter lange Wäscheleine, bestückt mit Zetteln zum Mitnehmen.
"Und da passen jetzt zehn, elf Impulse dran, mit einer Wäscheklammer festgeklammert. Und die werden jetzt einfach immer wieder aufgefüllt", erklärt Pfarrerin Brusch. In ihrem "Impuls" genannten kurzen Text zitiert sie aus dem Timotheus-Brief: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit."
Andachten live im Internet
"Also, ich habe ein paar Anrufe bekommen von Leuten, die sich darüber gefreut haben und sich bedankt haben", sagt Brusch. Die Aktion soll weitergehen, den nächsten "Impuls" wird die Vikarin schreiben. Sie denkt inzwischen darüber nach, wie Andachten per Livestream über YouTube übertragen werden: "Es gibt jetzt auch eine tolle Ideenbörse im Internet, wo man vernetzt ist mit anderen Pfarrerinnen und Pfarrern. Manche haben so eine Idee, dass man jetzt abends eine gemeinsame Andacht feiert, wo man das Material dazu teilt - per Mail oder als Briefkastensendung. Wo man dann immer um 18 Uhr eine Kerze anzündet, ein Liedchen singt. Ein Gebet, ein kleiner Impuls, Vaterunser, Segen, noch ein Lied. Und das will ich auch hier möglich machen."
Verbunden bleiben trotz Kontaktverbot
Szenenwechsel. Die Marienkirche in Berlin-Mitte wurde 1292 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Sie ist die älteste Kirche der Stadt, die noch in ihrem Originalgebäude untergebracht ist. Normalerweise gehen hier hunderte von Touristen ein und aus. Doch die bleiben jetzt zu Hause – ebenso wie die meisten Gemeindemitglieder, sagt Pfarrerin Corinna Zisselsberger:
"Wir haben hier sehr viele Menschen um den Alexanderplatz herum, die alleine wohnen. Da wird die Einsamkeit sich jetzt hier weiter verstärken. Und dass wir eben ein Angebot schaffen, dass die Menschen sich trotzdem mit uns weiter verbunden fühlen, auch wenn sie nicht in die Kirche kommen können."
In den vergangenen Tagen war immer wieder die Rede davon, dass Gottesdienste verboten seien. Die 34-jährige Theologin findet die Aussage falsch: "Gottesdienst bedeutet ja nach Luther, dass Gott uns dient, und die Gemeinde eben Gott dient. Wir sind es ja gewohnt als evangelische Kirche, dass Gottesdienst bedeutet, dass wir sonntags, um 10 Uhr 30 jetzt in unserem Fall, uns in der Kirche versammeln und Seite an Seite in der Kirchenbank sitzen. Aber Gottesdienst ist viel mehr und kann auch an unterschiedlichen Orten auf unterschiedliche Weise stattfinden. Immer dann, wenn Menschen sich Gott zuwenden im Gebet, findet Gottesdienst statt."
Fürbitten in der leeren Kirche
Von evangelikalen Christen war inzwischen schon zu hören, dass Corona eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen sei. Corinna Zisselsberger lehnt diese Sichtweise ab: "Ich glaube nicht, dass Krankheiten eine Strafe Gottes sind. Ich glaube, es gehört zum menschlichen Leben dazu, in aller Freiheit, in aller Verletzlichkeit auf dieser Erde zu leben mit allem Schönen und allem Schrecklichen, was dabei vorkommen kann. Aber ich fände es unfair, das Gott zuzuschreiben."
In der Religion Trost suchen – dafür bietet die Marienkirche vielfältige Möglichkeiten: So können Gläubige ihre Gedanken und Wünsche aufschreiben und die Pfarrerinnen und Pfarrer darum bitten, eine Fürbitte zu sprechen. Bei YouTube ist der Mitschnitt eines verkürzten Gottesdienstes zu sehen, der am 22. März in der leeren Kirche gefeiert wurde.
Der Clip wurde innerhalb von 24 Stunden immerhin 900 Mal abgerufen. Wer daheim eine Andacht halten will, findet auf der Homepage der Kirche Gebetstexte und eine Audiodatei mit einer Segnung. Begleitet wird dieser sogenannte Amrumer Segen vom Gesang des Marien-Vokalensembles.
Glocken läuten zur virtuellen Versammlung
Die katholische Kirche will sich auf ein altes Ritual besinnen: das Angelus-Gebet, auch genannt "Engel des Herrn". Dazu Stefan Förner, Pressesprecher des Erzbistums Berlin: "Das ist ja eine alte Tradition der Kirche, dass immer morgens, mittags, abends zum Gebet geläutet wird. Das ist die Unterbrechung im Alltag, das wollen wir jetzt neu intensivieren und beleben, dass wir sagen: Um 18 Uhr, die Glocken von vielen Kirchen, auch hier in Berlin, läuten zum Gebet, zu einer geistlichen, vielleicht auch virtuellen Zusammenkunft, zu einer Versammlung von allen Menschen, die sich diesem Gott, diesem Glauben verbunden fühlen."
Zettel mit mutmachenden Worten, Audio-Segen, Glockengeläut – die Kirchen bleiben geöffnet, jedenfalls virtuell.