Gotteshäuser ohne Schnörkel
Die Bauhaus-Künstler haben auch für sakrale Bauten neue Maßstäbe gesetzt. Diese sind bis heute in vielen Städten weltweit sichtbar. Allerdings mussten sich viele Gläubige an die moderne Architektur von Kirchen und Synagogen erst gewöhnen.
Klaus-Martin Bresgott ist Kunsthistoriker und arbeitet im Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland. Für ein Buchprojekt hat er gerade 120 Kirchen besucht - landauf, landab, evangelische und katholische Kirchen, zwischen den Weltkriegen gebaut
Bresgott: "Wenn wir uns hier in dieser St. Adalbert-Kirche direkt in Berlin-Mitte treffen, dann hat das den Grund, dass diese Kirche natürlich keine Bauhaus-Kirche ist. Aber doch eine."
Auf seiner Reise ist Bresgott immer wieder auch dem Bauhaus begegnet – aber eben nie dem reinen Bauhaus.
Bresgott: "Denn alle Architekten bauen am Ende ihre Form und ihre Idee - und benutzen natürlich Formen des Bauhauses und des Neuen Bauens, aber sie sind nie Bauhaus-Jünger im klassisches Sinne, so dass man sagen könnte: Da ist es."
Das "reine" Bauhaus ist selten in Kirchen
Hier zum Beispiel, in der katholischen St. Adalbert-Kirche in Berlin, Anfang der 30er Jahre erbaut, hier ist typisch Bauhaus die Form: ein schnörkelloser rechteckiger Grundriss – aber an der Altarseite leicht gebrochen durch eine Rundung, einen eingezogenen Zylinderbau. Klare Kanten mit ein wenig Abwechslung – das verbindet man mit dem Bauhaus. Ein anderes wichtiges Element fehlt hier allerdings.
Bresgott: "Wenn wir in einer ganz typischen Bauhaus-Kirche wären, dann wären die Fenster mit Sicherheit anders."
Denn in St. Adalbert ist es auch tagsüber ziemlich dunkel. Bauhaus aber bedeutet: viel Licht und Klarheit. Also viele Fenster, gerne in alle Richtungen und in Kirchen auch mal unbemalt.
Bresgott: "Insofern steht das Neue Bauen – inklusive des Bauhauses - eben ganz deutlich für einen ganz transparenten Raum. Für einen ganz klaren, nackten, heute ungerechterweise manchmal eben auch als ‚Turnhalle‘ benannten Raum, weil er natürlich sich ganz zurückzieht auf die vier Wände, auf die Transparenz, auf die Durchlichtung allseits und auf die Verbindung zur Außenwelt. Das ist die Stärke des Bauhauses und des Neuen Bauens überhaupt."
Bauhaus, Neues Bauen, Neue Sachlichkeit und so weiter – die Schulen und Strömungen der Moderne sind zumeist nicht klar voneinander abzugrenzen. Gemeinsam prägen sie die Architektur der 20er und 30er Jahre – und darüber hinaus. Und diese Architektur sendet oft auch ein Signal aus: Sie öffnet sich für die Welt drumherum.
Kritik an der neuen Sachlichkeit
Bresgott: "Ob die Kirchen dieses erste Signal damit aussenden wollen, wage ich ein bisschen zu bezweifeln. Also die Pioniere mit Sicherheit – mit großer Lust und Dickschädeligkeit, die sie dafür brauchten. Aber sie mussten eben auch mit der eigenen Gemeinde, mit der eigenen Kirche erst mal ganz schön in den Diskurs gehen, um der auch zu vermitteln: Wir sind ein Innen und Außen. Und wer's tut, wird selig, auf alle Fälle offen, und kann dann mehr erwarten, als wenn man bloß hinter dicken Mauern sitzt und steht."
Kirche trifft Bauhaus – ohne Diskussionen lief das also nicht ab. So mancher Pfarrer und so mancher Kirchenbauer hat sich heftige Kritik anhören müssen.
Bresgott: "Die Gemeinde erträgt das alles nicht. Die Gemeinde möchte gerne in ihrer Thermoskanne sitzen, es soll schön warm und gemütlich sein. Und wir möchten doch die Atmosphäre, die wir schon immer hatten."
Stattdessen zog nun die Flexibilität ein, zum Beispiel: keine fest verbauten Kirchenbänke mehr, sondern Stühle und Hocker, um den Kirchenraum auf verschiedene Arten nutzen zu können. Letztendlich waren dann aber auch die Kritiker überzeugt, sagt der Kunsthistoriker Klaus-Martin Bresgott.
Bresgott: "Dort, wo wirklich neu gebaut wurde - also ich sage jetzt mal als Beispiele die Versöhnungskirche in Leipzig oder die wunderbare Diakonissen-Kirche in Elbingerode oder Dortmund: St. Nicolai oder auch die Stuttgarter Kreuzkirche – dann sieht man auch, dass die Gemeinden, wenn sie diesen Raum bekommen, ich möchte mal sagen: ihn lieben."
Die einzige wahre Bauhaus-Synagoge steht in Hamburg
In der Weimarer Republik sind nicht nur viele neue Kirchen vom Bauhaus inspiriert, sondern auch einige Synagogen. Die meisten von ihnen haben die Nazi-Zeit nicht überstanden, aber ein Gebäude gibt es noch heute - eine Synagoge ist es nicht mehr, jüdische Musik wird dort aber trotzdem noch ab und zu gespielt, etwa beim Festival der jüdischen Musik: die ehemalige Synagoge in der Oberstraße im Hamburger Stadtteil Harvestehude. Sie gehört heute dem Norddeutschen Rundfunk und dient als Sende- und Konzertsaal.
Ulrich Knufinke: "Diese Synagoge kann man vielleicht als einzige wirklich als Bauhaus-Synagoge bezeichnen, weil dort ein Bauhaus-Designer an der Gestaltung des Innenraums beteiligt war."
Dieser Designer hieß Naum Slutzky. Er hatte unter anderem am Bauhaus in Weimar gelernt, erläutert Ulrich Knufinke. Der Architekturhistoriker hat sich auf jüdische Architektur spezialisiert.
Knufinke: "Die Synagoge oder der Tempel in der Oberstraße von 1931 – 31 eingeweiht – gilt für die Weimarer Republik als der letzte große Synagogenbau in Deutschland, und als einer, der im Sinne der Moderne am Weitesten fortgeschritten ist."
Symmetrische Formen, die an eine eckige Sphinx erinnern, ohne Prunk oder Verzierungen. Nur einen siebenarmiger Leuchter gibt es in einem runden Fenster.
Knufinke: "Es gibt wenig Symbolik, es gibt wenige hebräische Inschriften, es gibt keine wirkliche Ausmalung. Nur das Material und die Oberflächen sollten sprechen."
So beschreibt Ulrich Knufinke den Innenraum der Synagoge. Der ist heute nicht mehr erhalten und nur auf wenigen Fotos und Skizzen überliefert.
Jüdische Gemeinde setzt sich modern in Szene
Knufinke: "Mit solch einem Bauwerk präsentierte sich dann die jüdische Reformgemeinde, die eine durchaus wohlhabende jüdische Gemeinde war, in einem durchaus wohlhabenden Hamburger Viertel, in dem drum herum allerdings viele späthistoristische Bauten der Neo-Renaissance und so weiter standen."
In Abgrenzung zum Umfeld inszenierte sich die Gemeinde als modern. Auch zu den religiösen Reformideen der Gemeinde passte der schlichte Bau sehr gut.
Knufinke: "Der Verzicht gerade auf alles schmückende Beiwerk, auf alles Überflüssige, die Konzentration auf eine Botschaft, auch auf das Transzendente – die radikal weiße Wand, der einfache Würfel, erlauben ja auch eine viel größere Konzentration, als wenn es jetzt ein geschmückter Raum ist."
In der Pogromnacht 1938 verwüsten Nationalsozialisten das Gebäude. Es folgt der Zwangsverkauf – das Ende der einzigen Bauhaus-Synagoge, wie Ulrich Knufinke sagt.
Knufinke: "Alle anderen Synagogen, die heute unter dem Titel ‚Bauhaus‘ laufen, haben mit dem eigentlichen Bauhaus nichts zu tun – also mit den Persönlichkeiten nichts zu tun – aber nehmen natürlich entsprechende stilistische oder gestalterische Elemente auf."
Als jüdische Künstler und Architekten in den 30er Jahren aus Deutschland fliehen müssen – darunter auch viele Bauhaus-Schüler – da nehmen sie ihren neuen Stil mit – nach Palästina, in die USA oder nach Großbritannien. So findet sich heute auf der halben Welt jüdische Architektur, die unter anderem vom Bauhaus inspiriert ist – wie in Deutschland auch viele Kirchen.