Kirchenasyl

Mit Gebet, Charme und Reden

Matratzen für junge Asylbewerber liegen auf dem Boden in einer Pfarrei.
Wegen der gestiegenen Kirchenasyl-Fälle will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Kirchen die Praxis erschweren: Flüchtlinge, die dort beherbergt sind, sollen künftig als "untergetaucht" betrachtet werden. © Daniel Karmann, picture-alliance/dpa
Von Etienne Roeder |
Rund 400 Menschen leben in Deutschland im Kirchenasyl, weil ihnen die Abschiebung droht. Die Dramatik dieses umstrittenen Konstrukts hat es jetzt in Berlin auf die Bühne geschafft – in einer ganz einmaligen Kooperation von Theater und Kirche.
"Wenn die Polizei klingelt, nicht aufmachen. Nur Einlass mit Haftbefehl. Wir sind kein rechtsfreier Raum. Kann sein, dass die Polizei aufs Gelände kommt, dagegen kann man sich nicht zur Wehr setzen. Oder? Dann macht St. Christophorus sich automatisch strafbar..."
Während die Schauspielerin Britta Steffenhagen diesen inneren Monolog liest, kratzt die Zeichnerin Bente Theuvsen auf einer geschwärzten Folie eine skizzenhafte Kirche frei. Die Zeichnung und das entstehende Bild werden live auf die Bühnenwand geworfen und dort, wo das Licht des Overheadprojektors durchstrahlt, wird eine kleine, schüchterne Frau sichtbar. Sie tritt optisch aus dem Schatten, während der auf sie projizierte überlebensgroße Stift sie freilegt:
- "... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern."
- "Die Frage ist: Rausgehen, ja oder lieber nein? Der Anwalt hat gesagt, die beiden können nur zusammen abgeschoben werden, also immer nur einzeln rausgehen."
- "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen..."
Die Grundlage dieser Szene ist ein aktueller Fall von Kirchenasyl, der als Live Graphic Novel auf die Theaterbühne des Heimathafens Berlin Neukölln gebracht wurde und am Samstag Premiere feierte. Ausgehend von der Geschichte eines somalischen Ehepaares, das kurz vor seiner Abschiebung nach Italien in der katholischen Gemeinde St. Christophorus in Neukölln Zuflucht fand, entwickelte die Autorin Lucia Jay von Seldeneck diese Geschichte für die Bühne:
"Dass die Gemeinde Flüchtlinge aufnimmt und Kirchenasyl gibt, das war für mich auch neu, und dann hab ich das gehört und wollte einfach wissen, wie das funktioniert. Was hat die Kirche eigentlich für Möglichkeiten, in unserer Gesellschaft zu bewegen?"
Für die beiden Schutz suchenden Somalier bedeutete das Kirchenasyl in Neukölln nach ihrer Odyssee durch die bürgerkriegsgeschundenen Länder Nordafrikas zunächst einmal einen sicheren Hafen. Ihr Asylersuchen wurde von den Behörden abgelehnt, und das, obwohl schwere psychische und physische Beeinträchtigungen bei der Abschiebung zu erwarten waren. Lissy Eichert hat sich als Pastoralreferentin von St. Christophorus mit ihrer Gemeinde für die beiden stark gemacht:
"Über den Caritas-Migrationsdienst ereilte uns ja dann auch dieser Hilferuf, zu sagen, also jetzt müssen wir hier was tun. Da waren wir vorbereitet, und ich glaube, du warst von Anfang an mit dabei, als wir dann aufgenommen haben. Dann kam diese Email: 'Wir haben uns entschieden und nehmen auf, am Donnerstag 13 Uhr' Das war der 1. Mai 2014 und da kamen sie an. Und dann ging's los."

Zwei wichtige Komponenten bei der Aufnahme waren zum einen die Vorbegleitung im Netzwerk der Gemeinden und die rechtsanwaltliche Betreuung. Außerdem mussten die psychologische Betreuung und die Übersetzung geklärt werden. Lucia von Seldeneck hat Aliyah und Roble, so heißen die beiden Somalier im Theaterstück "Ultima Ratio", von Anfang an begleitet. Mit dem Ziel, daraus ein Theaterstück zu machen, bei dem die Bilder der Flucht live gezeichnet und auf die Leinwand hinter der Bühne projiziert werden. Der Ausgang der Geschichte ist dabei genauso offen wie das Asylverfahren der beiden. Das weiß auch Lissy Eichert:

"Kirchenasyl ist ja jetzt nicht irgendwie eine sichere Burg. Wir dürfen noch nicht einmal Hoffnung machen, dass es gut ausgeht. Sondern wir müssen sagen: Lass dich da mal drauf ein, wir versuchen, jenseits dessen, was eigentlich möglich ist, nochmal das Unmögliche möglich zu machen. Das ist die Quadratur des Kreises. Und das versuchen wir mit viel Gebet, mit viel Charme und mit Reden."
Vertrauen aufbauen, das war für alle Beteiligten das Wichtigste, denn das Asylverfahren läuft für Aliya und Roble im wirklichen Leben noch immer. Neben der Anonymisierung ihrer Identitäten auf der Bühne, die sie schützen soll, war es Lucia Jay von Seldeneck außerdem wichtig, die persönliche Fluchtgeschichte der beiden exemplarisch darzustellen und künstlerisch zu überschreiben:
"Wir wollen eigentlich auch erzählen, wie die Systeme dahinter funktionieren. Wie funktioniert Aufnahme hier und Asyl und Antrag, und wie funktioniert der Mensch in diesem System."

"Grenzübertrittsbescheinigung. Frau M Punkt ist verpflichtet, die Bundesrepublik Deutschland bis spätestens Datum 17. April 2014 zu verlassen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mit Bescheid vom 4 Punkt null drei..."
Kein heiter-hoffnungsfroher Abend
Die trockenen Schreiben der Asylbehörden sind die textliche Grundlage im Stück:
"(...) bis zum 15. April 2014 ein gültiges Flugticket zum Zweck der Ausreise nach Italien vorzulegen. Für den Fall, dass die Betroffene dieser Aufforderung nicht nachkommt, wird die vollziehbare Abschiebungsanordnung zwangsweise durchgesetzt."
Als das Thema Kirchenasyl aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen zu Beginn des Jahres 2015 in die Schlagzeilen gerät, finden sich im Internet diverse Kommentare zum Thema. Auch sie finden als Vox Populi Eingang ins Stück und wirken nachhaltig verstörend:

"Kirchenasyl ist ja gut und schön, aber die Kirche darf es wirklich nicht übertreiben. In diesem Fall, wo es um Massen geht, ist das nicht angebracht. Und die Kirche setzt sich über den Rechtsstaat hinweg."
Der quälende Tinnitus, der diese Aussagen untermalt, ist der Ton im Kopf von Aliyah. Als die Vox Populi wie eine Mauer aus Hass auf sie einschlägt, sitzt sie zusammengekauert auf der Bühne, verdeckt von einem schwarzen Hintergrund, der auf sie projiziert wird. Die Schauspielerin Tanya Erartsin verkörpert diese zerbrechliche und gleichwohl starke Frau ergreifend und hinterlässt das eindrücklichste Bild in der Inszenierung. Lissy Eichert erinnert sich an die Spuren, die der Kirchenasylfall auch in ihrer Gemeinde in Berlin-Neukölln hinterlassen hat:
"Was wir aber gemerkt haben, ist, dass das Thema Religion für die beiden in der praktischen Bewältigung ihrer eigenen Geschichte ein großes Thema ist. Und die Tatsache, dass beide gläubige Muslime sind, hat ihnen geholfen, mit ihren zum Teil auch sehr dramatischen Lebensmomenten Kraft und Halt zu finden. Und das wiederum hat mich persönlich einfach sehr beeindruckt."

Auf der Bühne hinterlassen Aliyah und ihr Mann Roble einen mächtigen, manchmal schweren Eindruck. Das Thema ist zu komplex, um daraus einen heiter-hoffnungsfrohen Abend zu machen. In der Realität, so weiß Lissy Eichert, gibt es jedoch auch Lichtblicke:
"Und nachdem sie in Deutschland also ihren Asylantrag stellen durften, waren sie umgezogen ins Asylwohnheim. Und den Samstag drauf steht Roble plötzlich vor mir und fragt mich nach dem Putzzeug. Und dann guck ich den an und sage: Sag mal, ihr seid doch umgezogen, ihr müsst doch keine Treppe mehr putzen!" Und in dem Moment schießen dem Tränen in die Augen, und er sagt „Zurückgeben". Und dieses Wort Zurückgeben hat mich so gepackt, weil der will etwas von dem, was er hier erlebt hat und erfahren hat, der will sich einbringen, der will zurückgeben."
Infos zum Stück "Ultima Ratio" auf den Seiten des Heimathafen Neukölln
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