Kirchenasyl vor Gericht

Pfarrer Ulrich Gampert würde wieder helfen

10:38 Minuten
Ulrich Gampert, evangelischer Pfarrer, steht vor seiner Kirche. Seit Sommer 2018 genießt ein afghanischer Flüchtling bei ihm im Oberallgäu Kirchenasyl. Jetzt steht Gampert vor Gericht. Er muss sich am 18.09.2019 vor dem Amtsgericht Sonthofen wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt des abgelehnten Asylbewerbers verantworten. Foto: Benjamin Liss/dpa | Verwendung weltweit
Er half viermal Geflüchteten und musste dafür Strafe zahlen: Pfarrer Ulrich Gampert geht jetzt in den Ruhestand. © picture alliance / dpa / Benjamin Liss
Von Regina Steffens |
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Eine Äbtissin steht in Bayern vor Gericht, weil sie Geflüchteten half. Vor einem Jahr wurde im Allgäu der evangelische Pfarrer Ulrich Gampert schuldig gesprochen, weil er und seine Frau vier Menschen Kirchenasyl gewährten. Sie würden es wieder tun.
"Es gab einmal ein Wochenende, wo wir Luft hatten. Da sind tatsächlich Bücher in die Hand genommen worden, aussortiert worden und rausgekommen sind zwölf Umzugskartons mit Dingen die wirklich mitsollen, aber seitdem haben wir nicht mehr gepackt."
In ein paar Wochen ist Schluss. Dann verlassen Marlies Gampert und ihr Mann Ulrich das evangelische Pfarrhaus in Immenstadt im Allgäu. Noch sitzt das Pfarrerspaar am Esstisch, umgeben von halbvollen Bücherregalen. Nach Auszug sieht es hier noch nicht aus.
Das letzte Jahr vor dem Ruhestand war ein turbulentes Jahr für die beiden. Denn vor einem Jahr stand Pfarrer Gampert vor Gericht. Die Gamperts hatten einem Geflüchteten aus Afghanistan 14 Monate Kirchenasyl gewährt. Die Staatsanwaltschaft sah das als "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt", klagte den Pfarrer an, ebenso den Afghanen wegen illegalem Aufenthalt.

Der erste Pfarrer in Bayern mit Strafbefehl*

Ulrich Gampert war der erste Pfarrer in Bayern mit einem Strafbefehl wegen Kirchenasyl. Der Prozess sollte ein Präzedenzfall werden, um die rechtliche Grauzone zwischen Kirche und Staat zu klären: Straft die Justiz Geistliche ab, die eine Abschiebung blockieren?
"Natürlich habe ich schon auf einen Freispruch gehofft, jetzt nicht nur für mich, sondern auch, wie Kirchenasyl in Zukunft behandelt werden wird", sagt Gampert.
Die Richterin allerdings erklärte Pfarrer Gampert für schuldig, Gampert zahlte 3000 Euro Bußgeld. Gleichzeitig stellte die Richterin das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein. So blieb eine Grundsatzentscheidung aus. Kirche gegen Staat – keine Gewinner, keine Verlierer.
"Kirchenasyl bleibt weiterhin eine Grauzone, so war dann auch die Titelseite der Zeitung nach diesem Urteil und so ist es. Man kann sich jetzt nicht drauf verlassen, wenn man Kirchenasyl gewährt, dass nichts staatsanwaltschaftlich verfolgt wird, aber es ist jetzt auch nicht gesetzt. Damit muss man dann leben, wenn man sich entschließt, dass man das machen möchte."

Sie halfen viermal

Dazu entschlossen haben sich die Gamperts seit 2015 ganze viermal: eine Syrerin, eine Somalierin mit Kind und zwei junge Afghanen lebten bei ihnen im Gemeindezimmer. Beim zweiten Kirchenasyl ahnten die Gamperts schon, dass es Ärger mit der Staatsanwaltschaft geben könnte. Letztes Jahr kam es dann zum Prozess. Viel Zuspruch und Unterstützung hätten sie erfahren, erzählen die Gamperts.
Außerdem bekamen sie viel öffentliche Aufmerksamkeit. Marlies Gampert**: "Das ist manchmal, finde, ich bei diesem Medienrummel untergegangen, dass man sagen musste: Leute, es geht nicht um die Pfarrer. Denn der eigentliche, um dessen Zukunft es geht, ist der Hauptangeklagte. Und das ist der Flüchtling."
Bayern, Sonthofen: Ulrich Gampert (l), evangelischer Pfarrer, und ein afghanischer Flüchtling sitzen vor Verhandlungsbeginn auf ihrem Platz im Gerichtssal des Amtsgericht Sonthofen im Allgäu. 14 Monate lang hatte Gampert dem jungen Mann Kirchenasyl gewährt. Foto: Benjamin Liss/dpa | Verwendung weltweit
Pfarrer Ulrich Gampert stand 2019 wegen Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht. Er half dem jungen Afghanen Reza Jafari.© picture alliance / dpa / Benjamnin Liss
Der 24-jährige Reza Jafari wurde zu Sozialstunden verurteilt. Nur: Sein Asylstatus blieb der gleiche. Nach fünf Jahren in Deutschland, mit Ausbildungsplatz, Freundeskreis und fließendem Deutsch: kein Asyl, nur geduldet.
"Duldung war für ihn ein wahnsinnig belastetes Wort. Man muss es sich so vorstellen, fünf Jahre heißt es: Du bist nicht erwünscht, du bist allenfalls geduldet, und Duldung heißt Aussetzung der Abschiebung. Vorübergehend verzichtet man auf die Abschiebung, aber die rechtliche Seite ist immer noch: Sie sind abschiebepflichtig. Und das hat ihn dann auch total abstürzen lassen", erzählt Marlies Gampert**.
Eigentlich sah es für den jungen Afghanen gut aus. Die Gamperts und seine Partnerin sammelten 70.000 Unterschriften in einer Petition. Der bayerische Petitionsausschuss versprach Reza Jafari sechs Monate Zeit, um die nötigen Dokumente aus Afghanistan zu besorgen und seine Partnerin zu heiraten. So hätte er Asyl bekommen. Daraufhin beendeten die Gamperts nach über einem Jahr das Kirchenasyl für den Afghanen. Dann kam der Prozess, und danach wurde Jafaris Duldung von sechs auf drei Monate verkürzt.
"Irgendwann hat ihn die Hoffnung verlassen", berichtet Marlies Gampert**. "Dann ist er im Oktober letzten Jahres einfach gegangen und verschwunden. Wenn man keine Hoffnung hat, dass sich noch irgendetwas verändert, und das Strafverfahren hat sicher seins dazugetan, weil der Hauptangeklagte der Reza Jafari für die Straftat unerlaubter Aufenthalt war. Und ich glaube, das hat ihm noch mal sehr getroffen, dass man in Deutschland dafür auch noch einen Pfarrer bestraft. Wo er gesagt hat: Das ist doch ein guter Mensch, wie ist das möglich? Dass er das Vertrauen ins System vollends verloren hat."

Keine Aufenthaltsgenehmigung für Reza

Reza Jafari lebt in einem anderen europäischen Land, manchmal in einem Heim, manchmal auf der Straße, sagen die Gamperts. Dort soll es für Afghanen, die wie er zur Minderheit der Hazara gehören, leichter sein, Asyl zu bekommen.
Marlies Gampert sagt**: "Wir haben es so gesagt und er selbst hat es gesagt: Er trägt die Verantwortung für diesen Schritt und wir haben gesagt, unser Arm ist zu kurz, um dir in einem anderen europäischen Land irgendwie weiterhin zu helfen. Das hat er auch voll und ganz akzeptiert und er schreibt auch ganz wenige Mails. Aber wir haben auch sagen müssen: Ja, wir lassen ihn ein Stück weit los."
Eine Aufenthaltsgenehmigung hat Reza Jafari immer noch nicht bekommen. Die Gamperts macht das Schicksal ihres Schützlings betroffen. Sie mussten lernen, dass Kirchenasyl nur in den wenigsten Fällen ein neues Asylverfahren herbeiführt. Das belegen auch Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: Weniger als zwei Prozent der Geflüchteten im Kirchenasyl wurden 2019 als Härtefälle anerkannt. Zudem verschärfte der Staat in den letzten Jahren die Regeln. Folglich sind die Zahlen der Kirchenasylfälle rückläufig. Im ersten Halbjahr 2020 waren es knapp 150 in Deutschland.
Trotzdem glauben die Gamperts weiterhin an das jahrhundertealte Hilfsinstrument. "Ein schweres Schicksal, ein Trauma kann ein Mensch nur dann verarbeiten, wenn er einen sicheren Hafen hat, eine Zusage und eine Gewissheit. Und das ist das menschliche Elend, das dahintersteckt. Die müssten alle nicht am Ende so seelisch kaputt sein. Wer hält das denn aus? Und ohne Hoffnung geht nichts, und wenn sich nichts bewegt, woher sollen sie sie dann nehmen?"
"Waren Sie dann vielleicht der sichere Hafen für die Menschen, die Sie hier im Kirchenasyl hatten?"
"Ja, das waren wir. Es ist ein bewegender Moment, wenn der Entschluss vom Kirchenvorstand gefallen ist, ja, dieser Mensch wird aufgenommen ins Kirchenasyl. Dann kommt die Stunde, die Minute, wo ein Auto von irgendeinem ehrenamtlichen Helfer vorfährt und diesen Menschen aus dem Auto aussteigen lässt. Und immer haben wir es so erlebt, dass die Menschen in ihrem Zimmer im Gemeindehaus erst mal aufgeatmet haben."

Heiratsanträge für die Syrerin*

Das Gemeindezimmer steht heute leer. Fotos und Zeichnungen erinnern an die Menschen, die dort unterkamen und bis auf Reza Jafari noch in Deutschland sind. Der zweite junge Mann aus Afghanistan hangelt sich von Duldung zu Duldung, sagen die Gamperts. Die beiden Frauen aus Syrien und Somalia haben Asyl bekommen, ein Zuhause und Arbeit in Deutschland gefunden.
Als 2015 klar war, dass die Syrerin bleiben darf, berichtete auch das Fernsehen über sie, erinnert sich Marlies Gampert: "Später haben wir dann das Ende des Films gesehen, wie sie dann so auf dem Mittagberg stand und gesagt hat: 'In Damaskus, als Kind, hab’ ich die Heidi-Filme im Fernsehen gesehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit Blick auf die Berge hier stehen kann.' Und dann hat sie abgeschlossen: 'Jetzt fehlt noch ein Peter, das sind ja die Heidi und der Peter, die dann ein bisschen zusammenfinden.' Und das hatte zur Folge, dass aus Bayern und aus Deutschland die Heiratsanträge kamen, weil das eine sehr, sehr hübsche Frau war."

Die Umzugskartons werden gepackt*

Es gibt glückliche und traurige Schicksale, die die Gamperts begleitet haben. Viele Anfragen haben sie in den letzten Jahren bekommen, mit dem Kirchenvorstand über Menschen beraten. Läge wieder ein Notfall vor, wäre für Ulrich Gampert ganz klar, "dass wir als Christen an diese Menschen gewiesen sind, unabhängig von irgendeiner Hautfarbe, Sprache, Religion, oder was auch immer, und das ist Inklusion XXL über die ganze Welt bis in die letzten Winkel. Da ist niemand ausgeschlossen. Dann ist diese Anfrage auch was ganz Konkretes, diesen Auftrag jetzt mal in einem Punkt umzusetzen."
Vielleicht würden die Gamperts mehr Menschen Kirchenasyl geben, stünde nicht der Ruhestand an. Nun packen sie bald ihre Umzugskarton und verlassen das Pfarrhaus in Immenstadt. Eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger ist noch nicht gefunden.
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