Mit Gottes Segen, aber ohne Genehmigung
Kirchen bauen in Ägypten ist ein ewiges Streitthema. Seit Sommer gibt es nun erstmals eine gesetzliche Regelung: Die Größe der Kirche soll sich am Anteil der Christen im Stadtviertel orientieren. Ist das Gleichberechtigung?
Weihrauchschwaden hängen in der Luft. Immer wieder schwenkt der Geistliche an einer langen Kette das kostbare silberne Fässchen, aus dem der duftende Nebel empor steigt. Dazu singt er die althergebrachten koptischen Gebete. Freitagsmesse in der Kairoer Kirche zum heiligen Erzengel Michael.
Das Gotteshaus ist gut besucht. Weil die Muslime freitags zum Gebet in die Moschee gehen, haben auch die meisten Christen in Ägypten an diesem Tag arbeitsfrei und nutzen die Gelegenheit zum Kirchgang.
Mehr als ein Dutzend Diakone und Messdiener in weißen Talaren wartet betend im Vorderraum des Kirchenschiffes. Sie gehen den beiden Priestern bei den Zeremonien zur Hand. Knapp dreieinhalb Stunden dauert die heilige Messe. Immer wieder stimmen die christlichen Gläubigen voller Andacht in die Gesänge ein. Nur den Kleinen wird das schon mal zu lang.
Auf einer Empore soll demnächst ein Aufenthaltsraum entstehen, mit einer Spielecke und Kinder-Betreuung während der Gottesdienste. Sogar schalldichte Fenster sind geplant.
Bislang liegt aber nur grauer Estrich auf dem Boden, sind die Wände nur grob verputzt. So wie überall in der Kirche zum heiligen Erzengel Michael. Das von Weihrauch und frommen Gesängen erfüllte Gotteshaus ist noch ein Rohbau.
Bawab Khalef: "Wir haben gerade mit den Fassadenarbeiten angefangen. Das Portal ist schon fertig."
Wächter Khalef fungiert nebenher als Baustellen-Leiter. Während der Messe steht er draußen am Grundstückstor und passt auch auf, dass verspätete Kirchgänger nicht in Baumaterial treten.
"Wer zum Gottesdienst kommt, muss eben drum herum gehen. Das macht den Leuten aber nichts aus. Sie freuen sich ja, wenn die Kirche bald fertig wird. Das da sind die Säcke mit dem Pulver, mit dem wir den Fassadenputz gelblich einfärben."
An den beiden Kirchtürmen lässt sich der warme, sandgelbe Farbton schon bewundern. Was auffällt: Das ganze Gebäude ist nicht höher als die sechs- bis achtstöckigen Wohnhäuser in der Umgebung. Auch die Kreuze auf den typischen Kuppeldächern sind nicht allzu groß, aus schlichtem Beton gegossen, nur in Weiß gestrichen.
Lieber verstecken als prunken
Ein markanter Prachtbau, der schon aus der Ferne ins Auge sticht, ist die neue Kirche nicht. In einer kleinen Seitengasse des Kairoer Stadtviertels Maadi gelegen, muss ein Fremder den Neubau sogar regelrecht suchen. Nicht mal Kirchenglocken läuten. Es gibt keine, erklärt der koptische Gemeindepfarrer Abuna Joakim.
"Das ist kein Problem. Wir könnten sie auch noch nachträglich einbauen. Aber wenn wir das nicht machen, ist es auch nicht schlimm. Wir haben ja Nachbarn und die wollen wir nicht stören. Wir halten Frieden zwischen uns und unseren Nachbarn."
Frieden halten – das gelingt nicht immer zwischen der christlichen Minderheit und den Muslimen in Ägypten. Vor allem in ländlichen Regionen, in Mittel- und Oberägypten, kommt es immer wieder zu Streit, wenn Muslimen eine Kirche in der Nachbarschaft ein Dorn im Auge ist.
Abuna Joakim, mit 31 Jahren noch ein junger Geistlicher, setzt auf den Dialog.
"Wir besuchen die Muslime in unserer Nachbarschaft, feiern auch ihre Feste mit ihnen. Wir haben keine Probleme, Gott sei Dank. Wir pflegen eine gute Beziehung, wirklich. Wir haben keine Probleme, Gott sei Dank."
Abuna Joakim muss das Gespräch kurz unterbrechen. Rechnungen müssen unterschrieben werden. Die Handwerker sind da.
Zwei Männer schneiden Stahlträger für ein Gerüst zu. Abuna Joakim, in schwarzer Soutane und mit dem für koptische Geistliche typischen langen Bart, führt weg vom Lärm und bietet freundlich eine kleine Besichtigungsrunde an.
Schnell zeigt sich: Innerhalb der Kirche wird es an Pracht und Glanz zu Ehren Gottes nicht fehlen. Strahlendes Gold dominiert schon jetzt das halb fertige Mosaik, das die biblische Szene von der Taufe Jesu zeigt.
Die meterhohen, bunten Ikonen in der Kirche sind unterdessen noch provisorisch aus Textilien, erklärt Abuna Joakim, jetzt auf Arabisch:
"Erst wenn die Kirche komplett fertig ist, wird der offizielle Ikonenträger aufgebaut und es werden Ölgemälde aufgehängt. Das kommt alles nach und nach. Anfangs hatten wir auch nur Stühle. Jetzt sind schon die Bänke da. Außerdem wurden inzwischen überall Fernseher zur Übertragung der Messe angebracht, damit die Leute gut sehen können. Wir haben auch Aufzüge geplant und eine zentrale Klimanlage. Ja (lacht), das wird alles ganz modern. Wir sind jetzt seit zwei Jahren bei der Arbeit. Jeden Tag kommt etwas dazu. Die Hand Gottes schützt uns."
Den guten Draht nach "oben" könnte die koptische Gemeinde in Kairo allerdings noch woanders gebrauchen: bei den ägyptischen Behörden. Was der Kirche zum heiligen Erzengel Michael nämlich auch noch fehlt, ist eine Baugenehmigung, wie Abuna Joakim auf Nachfrage bestätigt.
"Man fängt an und dann fragt man nach der Genehmigung. Wir sind dabei…"
Erst Fakten schaffen, dann Genehmigung erfragen
Keine zehn Minuten Fußweg von der neuen Kirche entfernt befindet sich das Kairoer Institut für interkulturellen Dialog, eine Einrichtung des niederländischen Soziologen Cornelis Hulsman. Ihn wundert es gar nicht, dass eine christliche Gemeinde ihre neue Kirche quasi erstmal zwei Jahre lang als "Schwarzbau" hochgezogen hat.
"Ja, hier hat man einen Bauplan. Er wird nicht den Behörden präsentiert. Man fängt an. Erst mal die Fakten schaffen und dann wird nach einer Genehmigung gefragt und oft bekommt man die auch."
Cornelis Hulsmann lebt und arbeitet seit 30 Jahren in Ägypten. Religion, Kulturgeschichte und der Alltag der Kopten sind sein Forschungsschwerpunkt:
"Ich kenne eine Kirche in Alexandria, die erst 25 Jahre nach ihrer Erbaung die offizielle Genehmigung bekommen hat."
Doch so konfliktfrei läuft das nicht immer ab. Als beispielsweise 2011 koptische Christen im oberägyptischen Dorf Marinab den schon vorhandenen Gebetsraum ohne offizielle Genehmigung durch einen Kirchenbau ersetzen wollten, protestierten die muslimischen Nachbarn. Der Streit eskalierte.
"Eine Gruppe von jungen Muslimen hat die Kirche angegriffen und niedergebrannt. Ich war einen Tag nachher dort und habe die Hintergründe recherchiert. Die örtlichen Christen sagten: Wir haben doch das Recht, irgendwo zu beten. Wir möchten dafür eine Kirche haben. Aber die Muslime sagten: Nein, es gibt keine Genehmigung dafür. Das war die Zeit, als Mubarak gestürzt worden war und es überhaupt nichts gab."
Der Konflikt trug sich damals weiter bis nach Kairo. Wegen der gewalttätigen Vorfälle in Marinab und in zwei weiteren koptischen Kirchen demonstrierte im Oktober 2011 eine Gruppe von Ägyptern, hauptsächlich Christen, vor dem staatlichen Fernsehgebäude Maspero.
Als die Armee und die ägyptischen Sicherheitskräfte den bis dahin friedlichen Protest auflösen wollten, kam es zu einem Massaker.
Plötzlich wurde scharf geschossen. Armeefahrzeuge überrollten die pro-koptischen Demonstranten. 28 Menschen starben an diesem Tag vor fünf Jahren – als indirekte Folge eines Kirchenbau-Streits.
Kopten stellten sich auf die Seite der Armee
Das Verhältnis von Christen und radikalen Muslimen blieb auch angespannt, nachdem Ägyptens damaliger Militärchef Abdel Fattah al-Sisi im Sommer 2013 den islamistischen Präsidenten Mursi stürzte und sich die Kopten an der Seite der Armee stellten.
Damals war es gemeinsames Ziel, den Muslimbrüdern die Macht zu entreißen. Der koptische Papst Tawadros II. stand bei der Entmachtung Mursis sogar persönlich neben Sisi, dem heutigen Staatschef. Aus Rache zerstörten die Muslimbrüder an den darauffolgenden Tagen über hundert Kirchen. Seither präsentiert sich der Moslem Sisi ausdrücklich als "Schutzpatron" der Christen. Und im vergangenen Sommer wurde auch ein Kirchenbaugesetz auf den Weg gebracht.
Grundsätzlich sei das ein Fortschritt, so der Soziologe Cornelis Hulsmann:
"Das ist das erste Mal, dass es ein richtiges Gesetz zum Kirchenbau gibt. Und das bedeutet, dass der Gouverneur den Antrag zum Beispiel innerhalb einer bestimmten Zeit bearbeiten muss, um eine Genehmigung zu erteilen oder eben nicht. Wenn die Christen damit nicht einverstanden sind, können sie den Fall jetzt auch vor Gericht bringen. Wie das dann aber in der Praxis sein wird, müssen wir abwarten."
Im Kairoer Stadtviertel Shobra läuten regelmäßig die Kirchenglocken. Hier leben im Vergleich zu anderen Bezirken überdurchschnittlich viele Christen, auch der bekannte koptische Anwalt und Menschenrechtsaktivist Dr. Naguib Gobreil. Er sieht das neue Kirchenbaugesetz mit zwiespältigen Gefühlen.
"Eine Kirche konnte bis dato nur mit der Genehmigung des Präsidenten gebaut werden. Das war so gut wie unmöglich. Seit 1980 wurde so selbst in einem christlich geprägten Stadtviertel wie Shobra, wo vier Millionen Kopten leben, keine einzige neue Kirche mehr gebaut. Das hat viele Spannungen erzeugt. Die radikal-islamischen Salafisten sind bis heute der Meinung, dass eine Kirche kein wahres Gotteshaus sei.
Nun hat der Staat ja aber sein Versprechen gehalten und ein neues Baugesetz verabschiedet. Doch darin sind sehr viele Bedingungen enthalten. Und da stehen wir vor dem alten Problem: Die Sicherheitskräfte und die Islamisten werden auch das neue Gesetz benutzen, um Argumente gegen einen Kirchenbau zu finden."
Kirchen müssen sich mit Nachbarn abstimmen
Nach dem neuen Gesetz dürfen Kirchen nämlich nur im Einvernehmen mit den muslimischen Nachbarn gebaut werden. In Miniya, einer Stadt gut zweieinhalb Stunden von Kairo entfernt, passierte deshalb Folgendes:
"Die El Galaa-Kirche wollte eine Genehmigung für eine Renovierung. Doch die konnte nicht ausgestellt werden, bevor sich auch die Salafisten im Ort dazu äußerten. Und die haben Bedingungen gestellt: Die Kirche darf keine Kuppel haben. Es dürfen keine Kreuze oben drauf. Der Eingang muss seitlich und nicht direkt zur Straße eingerichtet werden, usw. So wurde die Kirche nach salafistischen Vorgaben gebaut! Und das ist in mehreren Städten so passiert, als ob es eine Schande wäre, eine Kirche im Ort zu haben!"
Das neue Gesetz schreibt außerdem vor, dass sich die Größe einer neuen Kirche in Ägypten proportional am Anteil der christlichen Bevölkerung in einem Stadtviertel oder Dorf orientieren muss.
Doch in Ägypten gibt es keine offiziellen Melderegister und damit keine zuverlässigen Einwohnerzahlen. Eine weitere Möglichkeit des Missbrauchs.
"Man stelle sich vor, dass auf einem Dorf 5, 10 oder 30 christliche Familien leben. Das heißt es dann: Für die muss man doch nicht extra eine neue Kirche bauen. Wenn eine Moschee gebaut wird, wird aber niemand fragen, wie viele Muslime dort leben. Moscheen kann man bauen, so viele man will."
So offen und lautstark wie Gobreil äußern nur wenige Kopten in Ägypten ihre Kritik. Etliche Interviewanfragen wurden abgelehnt oder erst gar nicht beantwortet. Man wolle keine Probleme heraufbeschwören, erklärte ein Geistlicher mit der Bitte, anonym zu bleiben. Vielleicht bekäme er sonst die Baugenehmigung für seine Kirche nicht.
Man merkt: Die politische Lage in Ägypten ist angespannt. Das Sisi-Regime regiert mit harter Hand. Die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt. Kritiker sind Repressalien ausgesetzt.
Die offiziellen Vertreter der koptischen Kirche haben das neue Baugesetz begrüßt.
Ishak Ibrahim von der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte glaubt nicht, dass das der Mehrheitsmeinung der Kopten im Land entspricht. Er hält das neue Kirchenbaugesetz sogar für rechtswidrig:
"Dass so ein Gesetz überhaupt gemacht wurde, bedeutet, dass man einen Unterschied zwischen den Religionen macht, einen Unterschied zwischen muslimischen und koptischen Bürgern in diesem Land. Es gibt ein Baugesetz für Kirchen, aber kein Baugesetz für Moscheen. Also gibt es in diesem Land keine gleichen Rechte."
Ishak Ibrahim wundert es da nicht, dass koptische Gemeinden lieber erst Kirchen bauen, also Fakten schaffen, und dann eine Baugenehmigung beantragen.
"Wenn es von vornherein einen Bauantrag gäbe, gäbe es nämlich auch oftmals den Versuch, den Bau zu verhindern. Die Nachbarn würden sich dagegen stellen oder die Polizei. Es gibt auch Sicherheitskräfte, die sehr konservativ und streng gläubig sind, und für die es nicht leicht ist, ein christliches Kreuz zu tolerieren. Der Schwächere wird immer unterlegen sein."
Konflikte vermeiden
Doch das oberste Ziel müsse es sein, Konflikte zu vermeiden, gibt der niederländische Soziologe Cornelis Hulsman zu bedenken.
"Für ein friedliches Zusammenleben muss man realistisch sein. Örtliche Muslime machen keine Probleme, wenn die Christen irgendwo in einem Zimmer beten. Aber wenn sie das ändern wollen, eine richtige Kirche haben möchten, mit Kreuzen auf dem Gebäude, so dass es auch von außen als Kirche zu erkennen ist, dann ist das für viele traditionelle Muslime nur schwer zu akzeptieren. Aber so ist das auch in Europa, wo es schwierig ist, in Deutschland oder in den Niederlanden eine neue Moschee zu bauen. Da gibt es auch örtliche Bewohner, die sagen, das möchten wir nicht."
Zurück in die Kirche zum Heiligen Erzengel Michael in Kairo. Auch wenn keine Kirchenglocken rufen, ist hier in den vergangenen zwei Jahren eine lebendige Gemeinde entstanden. Und auch in Sachen Baugenehmigung ist der koptische Priester Abuna Joakim zuversichtlich.
"Die Regierung hat ihre Haltung geändert. Jetzt bekommen neue Kirchen viel einfacher als früher Genehmigungen."
Die Frauen der Gemeinde warten unterdessen mit Freude auf das bevorstehende Weihnachtsfest, das nach koptischem Kirchenkalender in der Nacht zum 7. Januar gefeiert wird. Für die christlichen Frauen ist es die Erinnerung daran, dass Ägypten ein ganz besonderes Land ist:
"Weil Jesus ja hier war, in Ägypten. Maria mit dem Kind war in Ägypten! So hat der Messias unser Land auf besondere Weise gesegnet und egal, was passiert, durch ihn sind wir geschützt."