Die deutschen Erben der Goldsucher
Die Gemeinde St. Matthews ist seit über 100 Jahren Anlaufstelle für deutschsprachige Protestanten in Nordkalifornien. Zumindest in dieser Region gilt sie als letztes kirchliches Überbleibsel der großen deutschen Einwanderungsbewegung in die USA.
An der Ecke 16. Straße und Dolores liegt die San Francisco Mission, ein gewaltiges weißes Bauwerk, genau zwischen dem Mission- und dem Castro Distrikt. Hier liegen die Ursprünge der nordkalifornischen Metropole. Gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Dolores Street, steht eine Kirche, die von außen eher schlicht wirkt, die St. Matthews Lutheran Church.
Seit dem 29. März 1908, zwei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben von 1906, findet man die deutschsprachige Gemeinde St. Matthäus hier an dieser Stelle, wie Pastorin Kerstin Weidmann erzählt:
"Es gab hier im 19. Jahrhundert, auch gerade wegen dem Goldrush sehr viele deutsche Einwanderer, eben auch Einwanderer aus aller Welt. Viele Deutschsprachige hatten sich hier auch in San Francisco angesiedelt. Die erste deutschsprachige Kirche war die St. Markus Kirche, die auch heute noch existiert, allerdings als englischsprachige Kirche. Und da haben sich mehrere lutherische, deutschsprachige Kirchen von abgespalten. Und St. Matthäus war eine dieser Gemeinden. Damals gab es so viele Deutsche in der Nachbarschaft, dass es sich lohnte, hier eine deutsche-lutherische Kirche zu haben."
An diesem Sonntag befinden sich etwa 30 Gläubige in der Kirche, um mit Pastorin Kerstin Weidmann den Gottesdienst zu feiern. Der Damenchor des Liederkranzes ist auch mit dabei, um die Feier mit ein paar Frühlingsliedern aufzulockern.
"Ich denke, die Herausforderung heute ist wirklich, dass die Kirche im Grund genommen am falschen Ort steht. Denn zu einem bestimmten Zeitpunkt gab es hier sehr viele Deutsche und Deutschsprachige, aber heute nicht mehr. Eine große Konzentration, grade auch von jüngeren deutschen Familien ist derzeit im Silicon Valley um die beiden deutschsprachigen Schulen herum."
Eine dieser jungen Familien sind die Ginsbachs. Der aus Heidelberg stammende Andreas Ginsbach arbeitet als Lehrer an der deutschen Schule in Mountain View. Nach ihrer Ankunft vor eineinhalb Jahren hat die Familie mehrere Monate lang eine Gemeinde gesucht. Schließlich wurden sie fündig:
"Diese Kirche ist etwas Besonderes, weil sie erst einmal für uns selber unseren Glauben sehr gut repräsentiert. Das heißt, wir sind evangelisch und lutherisch. Meine Frau kommt ja aus Kiev und war dort in einer lutherischen Gemeinde. Und insofern ist das für uns so ein Stück weit Heimat im Glauben hier, die wir gefunden haben. Und die Menschen, die hier sind, haben uns sehr freundlich aufgenommen, so dass wir uns tatsächlich am Anfang, als wir hier hinkamen, in Amerika erst einmal zurecht finden mussten, aber hier sofort uns wohlgefühlt haben."
Nicht viel unterscheidet diese Gemeinde von Kirchen in Deutschland. Während dem Gottesdienst kann man schon mal vergessen, dass man am Pazifik ist. Vor allem ältere Mitglieder sitzen in den Bänken. Pastorin Kerstin Weidmann fordert denn auch die Gläubigen zum Aufstehen mit dem Zusatz auf:
"Bitte erheben Sie sich, wenn Sie können, und lassen sie uns vor Gott und voreinander unsere Sünden bekennen."
Ein Stück alter Heimat
Ingeborg Stattmeister ist eine der älteren Damen an diesem Sonntagmorgen. Sie kam 1956 aus Magdeburg hierher, 1961 hat sie in der St. Matthäus Kirche geheiratet. Seitdem sie hier in San Francisco ist, hat sie sich in den deutschen Vereinen engagiert. Auf die Frage, was sie jeden Sonntag hierher bringt, kommt die schnelle Antwort:
"Die deutsche Sprache. Und das Deutschtum noch aufrecht zu erhalten, so lange es geht. Die Vereine werden immer kleiner und die deutsche Kirche ist noch das letzte Stück, was in deutschen Händen ist."
Auch für Astrid Holda ist die Gemeinde ein Stückweit alte Heimat:
"Ich bin jetzt seit 1959 hier. Und ich bin immer in der deutschen Kirche, unsere Kinder sind hier getauft, konfirmiert und leider nicht verheiratet, aber die kommen auch hier zur Kirche. Das ist ein Stück der Heimat und Heimat ist ein großgeschriebenes Wort für uns. Das ist etwas ganz wichtiges."
Die St. Matthäus Kirche im Mission-District von San Francisco wirkt von außen unauffällig, so wie viele kleine Kirchen im Stadtgebiet. Innen jedoch war und ist sie ein Ruhepunkt in einem sich wandelnden Stadtteil voller Probleme. Im Erdgeschoss liegt der Gemeindesaal und die Büros, im ersten Stock darüber der eigentliche Kirchenraum. Was hier sofort auffällt sind die farbigen Glasfenster, die von Gemeindemitgliedern zur Einweihung 1908 gestiftet und von Deutschland hierher verschifft wurden. Sie geben dem Raum eine ganz besondere, ja eine geradezu friedliche Atmosphäre:
"Ich bin ganz überrascht, dass die Matthäuskirche wirklich auch noch einen starken symbolischen Charakter hat für die Deutschen und Deutschsprachigen hier in der Gegend. Vielen kommen auch nicht mehr zur Kirche, oder kommen nur zu Weihnachten, zu Ostern, aber sind dann doch noch emotional investiert. Zum Beispiel hatten wir gerade einen Fundraiser für unsere Orgel, die musste einmal überholt werden, und da gibt es auch Gelder vom Auswärtigen Amt, aber um diese Gelder zu bekommen, mussten wir erst einmal ein Startkapital vorweisen und haben eben um Gelder gebeten. Und die kamen aus ganz interessanten Richtungen. Am letzten Volkstrauertag hier auf dem Friedhof sprach mich einer der Herren dort an, den ich eigentlich noch nie getroffen hatte. ‚Ja ich werde dann auch nochmal einen Scheck schicken, denn ich muss ja meine Orgel retten‘."
Die St. Matthäus Kirche ist der letzte noch verbleibende Ort der langen und reichen Geschichte der deutschen Einwanderer nach San Francisco. Das deutsche Haus, die anderen deutschsprachigen Gemeinden, die zahlreichen Vereine, Handwerker, Läden und Restaurants sind verschwunden. Von den alten Einwanderern sind nicht mehr viele da. Und gerade deshalb, weiß Pastorin Kerstin Weidmann, ist dieses Gotteshaus für Alte und Junge in der deutschen Gemeinde mehr als nur eine Kirche:
"Ich denke, würde sich das Wort verbreiten, dass die Matthäuskirche morgen ihre Türen schließen müßte, ich glaube, da wäre eine Energie da, die dann auch die Leute dazu bewegen würde, das irgendwie weiterlaufen zu lassen."