Raum für Besinnung mit begrenzten Plätzen
07:28 Minuten
Kirchen sind nicht nur Andachtsräume, sie sind oft auch Konzertsäle. Gerade auf dem Land stellen ihre Musikveranstaltungen im Sommer ein wichtiges kulturelles Angebot dar. Doch Corona macht vieles unmöglich. Da sind gute Ideen gefragt.
Konzerte bei Kerzenschein in der Kirche St. Severin auf Sylt haben eine über 50-jährige Tradition. Stattgefunden haben sie an jedem Mittwoch.
Gerade in der Sommersaison auf Sylt besuchten viele Urlauber diese Konzerte mit besonderer Atmosphäre in der Kirche unweit des Meeres, weiß Pastorin Susanne Zingel aus Erfahrung: "Mein Eindruck ist: Wer das einmal erlebt hat, der kommt immer wieder und freut sich, so dass das ein ganz wichtiger Bestandteil von jedem Sylt-Aufenthalt ist und dazu führt, dass diese Konzertreihe immer gut besucht und oft ausverkauft ist."
Corona lässt Musik verstummen
Bis Corona diese Tradition in diesem Jahr jäh unterbrach. Es sind außergewöhnliche Zeiten auch für die Pastorin. "Das ist paradox im Moment, diese Erfahrung des Verstummens. Und darin gerade zu spüren, wie wichtig Musik und Klang für uns miteinander ist."
Eine Erfahrung, die über 600 Kilometer weiter südlich in Bochum Pfarrer Jürgen Stasing nur zu gut nachempfinden kann. Denn in der über 1000 Jahre alte Dorfkirche und ihrer Umgebung im landschaftlich reizvollen Ortsteil Stiepel fällt seit 2010 erstmals die Veranstaltungsreihe "Stiepeler Kultursommer" auch aus. "Der Kultursommer Stiepel hatte den Schwerpunkt natürlich auch auf der Musik", sagt Stasing. "Orgelmusik in der Kirche aber auch kleinere Ensembles, vom Barockensemble angefangen bis hin zu instrumenteller Musik, die experimentellen Charakter hatte."
Veranstaltungen, zu denen auch viele Besucher aus den umliegenden Städten des Ruhrgebietes und aus dem Rheinland anreisten. Ebenso wie zu den Bochumer Bach-Tagen, die zum Teil in der Dorfkirche stattfanden.
Hohe Kosten bleiben ungedeckt
Mit den Wand- und Deckenmalereien aus dem 12. bis zum 16. Jahrhundert bietet dieses Gotteshaus für Konzerte mit Werken alter Meister einen entsprechenden Rahmen. Rund 200 Besucher finden Platz in der Dorfkirche – in normalen Zeiten.
Nun, aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen, ist nur 30 Personen der Zutritt erlaubt. Zu wenig für die kostendeckende Durchführung von Konzerten, bedauert Pfarrer Jürgen Stasing: "Einnahmen sind jetzt gar nicht da, so dass wir Corona-bedingt, auch keine größeren Veranstaltungen machen können."
Eintrittsgelder und Spenden von Konzertbesuchern bleiben im Sommer 2020 aus. Einnahmen, die die Gemeinde gut hätte gebrauchen können, da das wichtige Standbein Musik nicht unbeträchtliche Fixkosten verursacht. Auf der Gehaltsliste stehen zwei Organisten, ein Kantor und Kirchenmusikdirektor sowie ein Chorleiter. "Das sind also nicht unerhebliche Personalkosten", so Stasing. "Wenn ich eine Summe sagen sollte, dann haben wir für angestellte Musiker Personalkosten in einer Größenordnung von 80.000 bis 100.000 Euro."
Aufrichtig traurig sei er in diesen Tagen, "dass wir das nicht so machen können, wie wir es ohne Corona gewöhnt waren", sagt der Pfarrer. "Weil uns etwas nicht möglich ist, das unbedingt zur Kirche dazu gehört. Nämlich, dass Menschen gute Musik hören."
Ein kulturelles Highlight auf Sylt
Und damit wieder 600 Kilometer zurück gen Norden, nach Keitum auf Sylt und zur ehrwürdigen Inselkirche St. Severin, die im Jahr 1240 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Bis auf den letzten der 350 Plätze war diese Kirche in den zurückliegenden Jahren bei den traditionellen Mittwochskonzerten besetzt. Die Nachfrage nach Karten bei Konzerten renommierter Künstler überstieg oft das Platzangebot.
Das hat sich unter Corona-Konditionen drastisch geändert. Lediglich 50 Personen dürfen sich gleichzeitig in der Kirche aufhalten. Für Pastorin Susanne Zingel bedeutete das auch: "Mit dem Verkauf von Konzertkarten für nur 50 Besucher ist nicht absehbar, dass sich das irgendwie rechnen wird."
Einem Klischee zufolge spielt auf Sylt Geld für viele keine Rolle. Für den Haushalt einer kleinen nordfriesischen Dorfkirche wie St. Severin, wie Susanne Zingel es formuliert, dafür umso mehr. Und dennoch ist es dieser Gemeinde in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, für ein kulturelles Highlight auf der Insel zu sorgen. Und das übrigens in einer beachtlichen Größenordnung – ohne einen einzigen Euro an Fördergeldern.
Musik als Lebenselixier
"Jedes Jahr besuchen ungefähr 12.000 Menschen die Mittwochskonzerte", sagt Zingel. "Der Jahresumsatz liegt bei circa 200.000 Euro. Und das Ganze wird geleistet durch unseren Organisten Alexander Ivanov und durch ein ehrenamtliches Konzerthelferteam, durch das ehrenamtliche Engagement des Kirchengemeinderates."
Corona, sinniert Zingel, könnte uns alle noch längere Zeit begleiten und Einschränkungen abverlangen. Wie sehr Menschen geistige und spirituelle Räume benötigen, die Möglichkeiten zur Besinnung bieten, werde gerade in solchen Zeiten deutlich: "Wie wichtig Stille und Gebet ist. Und dass die Musik und der Gesang für die Seele ein Lebenselixier ist. Dass wir das brauchen, was wären wir ohne die Musik?"
Sowohl in St. Severin in Keitum auf Sylt als auch in der evangelischen Kirchengemeinde Stiepel-Dorf in Bochum hat man daher auch in diesen außergewöhnlichen Zeiten Wege gefunden, auf denen Kirche mit Musik Seelen erreichen kann, obwohl bislang erfolgreiche und umsatzträchtige Konzertreihen ausfallen müssen. "Musik mit Psalm in Zeiten von Corona" heißt die eintrittsfreie Offerte in Bochum, in Keitum heißt sie "Orgelmeditationen".
Und in St. Severin werden ab dem 27. Juli an Mittwochabenden nicht mehr nur die Kerzen entzündet, sondern man öffnet die Kirche auch wieder zu den traditionellen Konzerten. Allerdings: Weiter unter Corona-Bedingungen. Freunde und Förderer machen es möglich, dass wieder Musik erklingen kann. Wenn auch nur für einen begrenzten Kreis. So leicht werfen Nordfriesen offenbar nicht die Flinte ins Korn. Auch nicht vor Corona.