Kirchenleerstand

Auf dem Weg zur Jesus-Moschee

Von Christian Find |
In Hamburg soll eine frühere evangelische Kirche in eine Moschee umgewandelt werden. Eine muslimische Gemeinschaft hat das durchaus hübsche Gebäude gekauft – nachdem es Jahre lang leer stand. Es gab Streit um diese Entscheidung zum Verkauf der Kirche an die Muslime. Nun aber könnte sich eine versöhnliche Lösung abzeichnen.
"Das ist ein langer Prozess, das ist ein schmerzhafter Prozess, und ich sag mal, die Gemeinde ist so etwas Ähnliches wie das Blut in den Adern der Kirche. Wenn wir jetzt das rein auf das Kirchgebäude reduzieren, wenn seit Jahren kaum noch Blut durch die Adern läuft, dann ist das auch ein toter Körper. Und so ein Sterben dauert lange."
Burkhard Kiersch ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Kapernaumkirche fast zehn Jahre lang leer stand, bevor sie verkauft wurde. Und dass die Gemeinden zusammengelegt werden mussten. Die Kapernaumkirche, Baujahr 1961, ist eine von vielen, die in den Jahren des Kirchenbaubooms in Hamburg schnell errichtet worden waren, mit Baumaterialien, die nicht die besten waren. Hohe Sanierungskosten und Denkmalschutzauflagen zwangen die Horner Gemeinde 2002, das Gotteshaus abzugeben, zu entwidmen, wie es in der Amtssprache der Kirche heißt.
Irene Camp vom Kirchenvorstand erinnert sich noch sehr genau daran, an den letzten Weihnachtsgottesdienst:
"Sie machen noch einen Gottesdienst, und der Pastor, die Pastorin, damals Frau Juhl, hat die liturgischen Gegenstände mit rausgenommen und das war’s. Wir haben es sehr schlicht und sehr einfach gehalten, ohne noch mal alle einzuladen. Wir haben’s für uns gemacht. Und das wird einem ja dann auch erst bewusst. Wenn sie Bilder abnehmen, ja? Wir hatten da noch so ein paar Engelsbilder, und dann irgendwann haben wir die Bänke rausgeräumt ... Das ist schon komisch."
Kapernaumkirche im Dornröschenschlaf
Dann wurden die Türen verriegelt, und die Kapernaumkirche fiel in einen langen Dornröschenschlaf. Denn auch nach ihrem Verkauf an einen privaten Investor tat sich nichts. Dessen Pläne, sie zu einer Kindertagesstätte umzugestalten, zerschlugen sich. Gras begann, auf dem Vorplatz zu wuchern, Glassteine platzten aus den Wänden und unter den rostenden Vordächern des Eingangsbereichs schlugen Obdachlose ihre Lagerstätten auf. 2012 wurde die Kirche dann plötzlich im Internet angeboten.
"Das stand halt im Immobilienscout zum Verkauf, ich war wirklich baff (lacht), ich war wirklich baff."
Daniel Abdin, der Leiter des Islamischen Zentrums Al-Nour, wäre nie auf den Gedanken gekommen, ein christliches Gotteshaus zu kaufen, um aus ihm eine Moschee zu machen. Aber da sich die Mitglieder der Al-Nour-Gemeinde schon seit vielen Jahren zum Gebet in einer stillgelegten Tiefgarage versammeln müssen und lange schon auf der Suche nach einem würdigen Ort waren, hatten sie sich entschlossen, auf das ungewöhnliche Angebot einzugehen. Abdin weiß um das hohe Maß an Sensibilität, das ein solches Pionierprojekt erfordert. Von außen, so betont er, werde das Gebäude weiterhin als Kirche wahrnehmbar bleiben, einzig das Kreuz auf dem Turm soll durch einen Halbmond ersetzt werden. Denn wer ein Haus kaufe, belasse ja auch nicht den Namen des Alteigentümers auf dem Klingelschild, sagt Abdin. Im Inneren soll der Umbau so behutsam geschehen, dass auch der Rückbau zu einer Kirche möglich ist.
So werden die Wände nur mit Gipsplatten verkleidet, auf die muslimische Künstler ihre Kalligrafien zeichnen:
"Die Kirche ist ausgerichtet Richtung Osten, und wir beten Richtung Südosten, also Richtung Mekka. Das heißt, wir müssen uns wirklich in der Quere, also praktisch in der Breite stellen statt in der Länge. Und hier in der Mitte vorne an der Front kommt die Gebetsnische. Die Empore, die da ist, die ist leider jetzt halt auch verkehrt rum. Die müssen wir in der Quere halt bauen. Und der Fußboden wird erneuert, es wird eine Fußbodenheizung gebaut und Teppiche."
Dynamo für Integration
Anders als bei den christlichen Ortsgemeinden, die sich fest um ein Kirchgebäude versammeln, sind Moscheengemeinden prinzipiell offen. Auch Muslime aus anderen Stadtteilen kommen zum Gebet, manchmal sogar von sehr weit her.
Im speziellen Fall der Al-Nour-Gemeinde soll diese Offenheit explizit auch für die christlichen Nachbarn spürbar werden:
"Was für uns ganz, ganz wichtig ist, wir betrachten dieses Gebäude als eine Begegnungsstätte. Unsere Gemeinde, Islamisches Zentrum Al-Nour speziell, ist seit 15 Jahren in der Integrationsarbeit tätig, Sozialarbeit, und ist sehr dialogorientiert. Dieses Gebäude ermöglicht uns, von einer Tiefgarage raus zu kommen. Im Nachhinein betrachte ich dieses Gebäude als einen Dynamo, als eine Lokomotive für unsere Integrationsarbeit."
Dass dies gelingen kann, davon ist auch die Ökumene-Beauftragte der Nordkirche, Martina Severin-Kaiser, überzeugt. Denn im christlich-muslimischen Dialog sei das Islamische Zentrum Al-Nour in Hamburg schon lange als ein verlässlicher Partner bekannt.
Die Ökumenebeauftragte sieht die Aufgabe eher darin, die Umwidmung auch für die vielen christlichen Migranten-Gemeinden, die es in Hamburg gibt, nachvollziehbar zu machen:
"Also wer als aramäischer Christ aus der Türkei kommt oder wer aus Ägypten kommt, und wir haben alle diese orientalischen christlichen Kirchen auch hier in der Stadt, die sehen das natürlich mit anderen Augen."
Denn viele Christen, die aus islamischen Ländern nach Europa kommen, haben in ihrer Heimat unter religiöser Verfolgung leiden müssen. In Hamburg seien ihre Gemeinden ebenso wenig sichtbar wie die vielen Moscheengemeinden.
"Meine These ist immer, wir haben hier mindestens so viele Hinterhofkirchen wie Hinterhofmoscheen, und das ist klug, das jetzt wahrzunehmen und auch mit den Leuten weiter zu entwickeln und nicht zu warten, bis da irgendwelche Probleme hochkochen."
Ebenso wie in den Gesprächen an der Basis hofft Severin-Kaiser, dass auch auf höchster kirchlicher Ebene ein Dialog in Gang kommt, der stärker als bisher ergebnisoffen geführt wird. Denn auch die neuesten katholischen wie evangelischen Leitlinien zur Umwidmung von Kirchen lehnen einen Verkauf an nichtchristliche Religionen nach wie vor kategorisch ab:
"Ich erinnere mich auch noch an eine Diskussion vorletzten Herbst, als auf der Bundesebene 'Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen' also EKD, Bischofskonferenz und alle an einem Tisch, nochmal gesagt wurde, weil da von methodistischer Seite im Rhein-Main-Gebiet eine Kirche an Aleviten verkauft wurde, dass so was nicht sein darf. Und ich gesagt habe, das wird nicht zu halten sein. Und die Frage ist doch, ob es überhaupt theologisch begründbar ist."
Umwidmung als religiöses Zeichen
Für Thomas Erne, Leiter des Instituts für Kirchenbau der EKD in Marburg, ist genau das der Knackpunkt. Denn ebenso wie das Kirchengebäude selbst werde auch seine Umwidmung in der Öffentlichkeit als ein religiöses Zeichen wahrgenommen, nicht nur von denen, die mit ihrer Kirche noch konkrete Erfahrungen verbinden.
Als praktischer Theologe rät Erne deshalb, in Hamburg sehr genau hinzusehen:
"Jetzt wo es passiert ist, ist es in der Tat eine Chance, wie in einer Art Experimentalstudio, herauszufinden, ob es da auch eine neue Form vielleicht geben könnte und sich die neue Form entwickelt, in der aber die Geschichte dieser evangelischen Kirche in dem neuen Moscheebau auch sichtbar wird. Nur so lässt sich etwas Neues entwickeln. Das hängt jetzt sehr von der sensiblen Gestaltung dieser Kirche als Moschee ab. Und wenn das gut gelingt, sodass man beide Deutungsangebote in dem Raum sieht und auch sieht, wie das eine im anderen irgendwie Familienähnlichkeiten und Verwandtschaftsverhältnisse stiftet, dann wäre das in der Tat ein Experiment, wo man sagen kann, wenn es gelingt, werden wir dann neu nachdenken."
In Hamburg Horn wird der "tote Körper" einer Kirche, um es mit den Worten von Pastor Kiersch zu sagen, durch eine muslimische Gemeinde zu neuem Leben erweckt. Was wird eine solche Umwidmung predigen - der Öffentlichkeit im Allgemeinen und der Horner Gemeinde im Besonderen? Denn von Kirchen wird ja immer wieder behauptet, sie seien so etwas wie in Stein gehauene Predigten:
"Das ist eine ganz, ganz spannende Frage. Diese Predigt wird ja erhalten bleiben solange dieses Gebäude steht, und nun haben wir die einmalige Gelegenheit mitzuerleben, wie interkulturell und interreligiös diese Predigt aufgenommen wird, aufgenommen werden muss. Und von daher ist das vielleicht sogar spannender als ein Moscheegebäude neu zu bauen."
Die Kapernaumkirche als Moscheengebäude. Schon jetzt könnte ihr sechseckiger Turm aus der Ferne wie ein Minarett gelesen werden. Daniel Abdin sieht deshalb in dem Bauwerk, das vor über 50 Jahren errichtet wurde, eine Architektur, die ihrer Zeit weit voraus war:
"Ich hab das Gefühl, dass der Architekt irgendwie eine Message von Gott erhalten hat, als er dieses Gebäude gebaut hat, dass das multi-religiös funktionieren könnte. Wie die Decke gebaut ist, diese ganzen Balken, das ist irgendwie so andalusisch, diese ganze Front an Fenstermosaiken, diese bunten Fenster, also ich finde das großartig. Es strahlt also auch viel Licht."
Und Licht, das heißt auf Arabisch: Al-Nour. Bleibt nur noch die Frage, wie diese neue Moscheen, wenn sie dann einmal fertig ist, heißen könnte:
"'Jesus-Moschee'. Das wär toll. Erstmal die Verbindung. Außerdem ist Jesus für uns auch ein heiliger Prophet, also insofern, der Zusammenhang wär genial."
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