Die Sonderrechte der Amtskirchen
Kirchliche Kitas, Schulen und Krankenhäuser werden größtenteils aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Kirchen bestimmen aber über die Moralvorstellungen ihrer Angestellten und verlangen deren Kirchenmitgliedschaft. Sind diese Sonderrechte noch zeitgemäß?
"Ich bin gelernte Krankenschwester und hab dann viele Jahre in der Altenpflege gearbeitet. Das Hauptproblem für mich war in der Altenpflege, dass die Arbeit sehr verdichtet worden ist und dass ich das Gefühl hatte, ich werde da meinen Ansprüchen gar nicht mehr gerecht."
Clara Koch, so soll die erfahrene Altenpflegerin hier heißen, suchte nach einer anderen Arbeit. Eine Freundin schlug ihr vor, sich bei der ambulanten Familienhilfe zu bewerben - die unterstützt Familien in schwierigen Lebenslagen. In der norddeutschen Stadt, in der Clara Koch lebt, ist das katholische Sozialunternehmen Caritas ein wichtiger Träger der Familienhilfe.
"Ich wusste, wenn ich mich da bewerbe, dann muss ich in die Kirche eintreten, und ich hab' mir dann überlegt: Bin ich da bereit für, in die Kirche einzutreten oder nicht?"
Clara Koch ist nicht religiös. Aber bei der Arbeit mit den Familien - das hatte man Koch ausdrücklich gesagt - sollte Religion auch gar keine Rolle spielen.
"Und ja, dann hab ich das so undogmatisch (lacht leicht) für mich entschieden, dass ich gesagt habe: Okay, dann trete ich in die Kirche ein."
Man muss zahlendes Mitglied sein, um eine Stelle in einem Sozialberuf zu bekommen
Clara Koch hat die Stelle bekommen. Von ihrem Verdienst muss sie nun Kirchensteuer bezahlen. Natürlich darf jeder Arbeitgeber erwarten, dass seine Beschäftigten sich loyal gegenüber dem Unternehmen verhalten. Aber dass man zahlendes Mitglied sein muss, um eine Stelle in einem Sozialberuf zu bekommen - das dürfen nur die Kirchen verlangen. Kirchen haben in Deutschland viele Sonderrechte.
Max Steinbeis ist Jurist und Journalist in Berlin und betreibt einen Verfassungsblog. Bei der Diskussionsplattform im Internet sind mittlerweile weit über 300 Verfassungsinteressierte angemeldet.
In Max Steinbeis' Verfassungsblog war Religion schon öfter ein Thema: Etwa die Freiheit, eine Religion ausüben zu dürfen - wie beim Streit ums Kopftuch bei muslimischen Lehrerinnen. Oder auch die Freiheit, nicht mit Religion behelligt zu werden - wie beim Streit ums Kruzifix an Schulwänden. Max Steinbeis zur Religionsfreiheit, wie sie vom Grundgesetz garantiert wird:
"Es ist jedenfalls nicht nur damit gemeint, dass man die Freiheit hat, in seinem eigenen privaten Schlafzimmer irgendwelchen religiösen Praktiken nachzugehen, solange man dabei nicht der Öffentlichkeit auf die Nerven geht damit. Sondern es ist auch damit gemeint, den Glaubensgemeinschaften einen Raum in der öffentlichen Sphäre einzuräumen und den auch im Konfliktfall abzuschirmen und zu schützen, damit er sich frei entfalten kann."
Gläubige dürfen ihre Religion ungehindert praktizieren. Was das genau heißt, ist aber häufig umstritten. Erst kürzlich hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden: Zur Glaubensfreiheit gehört, dass eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch unterrichten darf. Vor zwölf Jahren war eine muslimische Lehrerin auch in letzter Instanz gescheitert mit ihrem Anliegen, bei der Arbeit Kopftuch zu tragen. Die Interpretation des Grundgesetzes ist in Bewegung!
Verfassungsblogger Steinbeis über den Konflikt um das richtige Maß bei der Religionsfreiheit:
"Der Punkt ist: Wer entscheidet darüber, was zum Glauben dazu gehört oder nicht. Stellt sich der Staat hin und sagt: Ihr behauptet nur, das ist für euch ein integraler Teil eures Glaubens, aber in Wirklichkeit stimmt das gar nicht. Oder ist der Staat gehalten zu respektieren, was alles von dem Glaubensinhalt umfasst ist, den diejenigen, die diesen Glauben verfechten, für sich definieren?"
Verfassungsgericht: Krankenhaus darf Arzt kündigen, der nach Scheidung erneut heiratet
Bei den beiden großen christlichen Kirchen folgen Gesetzgeber und Gerichte häufig dem, was die Kirchen selber für ihr gutes Recht halten. So gab im Oktober 2014 das Verfassungsgericht einem katholischen Krankenhaus Recht, das einen Chefarzt wegen seiner Wiederverheiratung nach der Scheidung entlassen hatte. Das falle unter das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, urteilte Karlsruhe.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren über 90 Prozent der Westdeutschen Kirchenmitglieder. Kirchenobere erhoben erfolgreich ihre Stimme, vor allem wenn es um Familie und Schule, um Sexualität und Moral ging. Ab den 1970er-Jahren sank die Zahl der Gläubigen in Westdeutschland stetig, in der DDR war nur eine Minderheit in der Kirche. Trotzdem spielen die beiden Amtskirchen seit der Wende eine wichtige Rolle in ganz Deutschland. Dabei ist die größte Konfession längst die der Konfessionsfreien, und das religiöse Leben ist vielfältig geworden - jenseits der beiden großen Kirchen.
Aber die beiden Amtskirchen bestehen auf ihren Privilegien. Zum Beispiel bei der Auswahl ihres Personals. Damit ist hier nicht die Pressesprecherin oder der Sekretär einer Kirchenverwaltung gemeint. Es geht vielmehr um die zahlreichen Beschäftigten bei den Sozialunternehmen der Kirchen - der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie. Die sind in Deutschland ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor, sagt Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und Lobbyist für die Sache der Konfessionsfreien:
"Man muss einfach auch sehen, dass die Kirchen ja nicht nur als Amtskirchen sind, sondern auch als Sozialkonzerne sehr mächtig sind. Caritas und Diakonisches Werk sind die größten privaten Arbeitgeber Europas. Sie haben mehr Angestellte als die gesamte Automobilindustrie. Und sie fahren auch Umsätze ein, die sich mit Weltkonzernen messen lassen."
1,2 Millionen Menschen arbeiten bei Caritas und Diakonie - in Kitas, Krankenhäusern und Altenheimen. Mancherorts - nicht nur auf dem Land, sondern auch in Städten - dominieren die kirchlichen Einrichtungen den Markt stark, sie haben mitunter sogar ein Monopol.
Trotz Persönlichkeitsrecht und Datenschutz: Der Arbeitgeber fragt nach der Konfession
Die Glocken der Krankenhauskapelle des Sankt Joseph-Stifts in Bremen läuten zur Heiligen Messe. Felix Pissler ist der Personalleiter des Krankenhauses. Sein Büro hat er im ehemaligen Wohntrakt der Ordensschwestern. Die letzten Nonnen sind vor Jahren verstorben, inzwischen arbeiten aber wieder vier katholische Schwestern im Krankenhaus - sie kommen aus Indien. Felix Pissler besetzt pro Jahr rund 100 Stellen. Bei jedem Einstellungsgespräch ist die Religion ein Thema:
"Die Tendenz ist, das sehe ich immer in der täglichen Praxis, dass die Konfession oft nicht angegeben wird im Lebenslauf - dann fragen wir danach."
Trotz Persönlichkeitsrecht, trotz Datenschutz. Und obwohl die Kranken sicher vor allem gut versorgt werden möchten - unabhängig von weltanschaulichen Fragen. Warum ist es also für die Arbeit als Augenärztin oder Pfleger wichtig, Mitglied einer Glaubensgemeinschaft zu sein?
"Das Arbeiten am Menschen ist eine Dienstleistung, und diese Dienstleistung hat unter dem christlichen Grundverständnis aus meiner Sicht eine ganz andere Wertigkeit."
Andere Wertigkeit als bei wem? Sind Gläubige besser, liebevoller beim Heilen und Pflegen? Oder gar bessere Menschen? Nein, so könne man das nicht sagen, meint der katholische Personalleiter freundlich. Es geht um etwas anderes:
"Neben der fachlichen Qualifikation, die wir natürlich erwarten und auch suchen, erwarten wir schon von den Mitarbeitern ein Einbringen in die Dienstgemeinschaft, wie es ja auch im katholischen Arbeitsrecht heißt."
Katholisches Arbeitsrecht heißt auch: Kein Betriebsrat, kein Streikrecht
Katholisches Arbeitsrecht heißt auch: Kein Betriebsrat, kein Streikrecht. Wahrscheinlich nicht unwichtig im Konkurrenzkampf der Krankenhäuser.
Felix Pissler spricht von Arbeitsverdichtung und wie schwierig es sei, unter solchen Bedingungen Kranke gut zu versorgen. Genau deshalb hatte Clara Koch, die Nicht-Religiöse, ihre Arbeit als Altenpflegerin aufgegeben. Aber: Die Arbeitsverdichtung trifft Gläubige und Konfessionsfreie gleichermaßen. Alle Krankenhäuser werden aus denselben Töpfen finanziert. Auch christliche Häuser erhalten ihr Geld zu hundert Prozent von den Krankenkassen - und in die zahlen alle Versicherten ein, unabhängig von der Weltanschauung. Die Kirchen geben nichts dazu.
In Bremen sind nur noch 45 Prozent der Bevölkerung in der Kirche. Und Fachkräfte sind knapp. Deshalb stellt Felix Pissler mittlerweile auch Musliminnen ein und Sikhs. Christliche Krankenhausangestellte, die aus der Kirche austreten, werden vom Personalleiter zum Gespräch gebeten. Aber fragt Felix Pissler wirklich bei allen Jobs, die er zu vergeben hat, nach dem Glauben - auch bei den Reinigungskräften?
"Also die Räume putzen sich auch wahrscheinlich von Nichtkatholen sehr gut." / "Aber Sie fragen trotzdem alle?" / "Ja."
Ein Plattenbau in Berlin-Mitte, es geht in den sechsten Stock. Hier wohnt und arbeitet der Politologe Carsten Frerk. Er forscht seit Jahren über die beiden großen Kirchen. Es geht ihm nicht um Glaubensfragen, sondern um Geld und um politische Macht. Akribisch trägt Frerk Material und Informationen zusammen.
Ich bin kein Kirchenkritiker. Denn das ist einer der lobbyistischen Tricks, dass man in Deutschland sofort als Kirchenkritiker, Kirchenfeind oder Kirchenkämpfer dargestellt wird, damit man diffamiert wird.
Erzdiözese Köln: Überschuss im Haushaltsjahr 2013 bei knapp 60 Millionen Euro
Die katholische Kirche in Köln erhielt kürzlich Beifall, weil sie etwas tat, was für andere Institutionen selbstverständlich ist: Das Generalvikariat legte im Februar 2015 erstmals eine Bilanz vor. Die weist ein Vermögen von 3,4 Milliarden Euro aus. Kunstschätze sind darin nicht enthalten, der Kölner Dom ist mit einem Euro bewertet. Der Überschuss für das Haushaltsjahr 2013 betrug knapp 60 Millionen Euro.
Die Finanzübersicht der Kölner Erzdiözese ist nach geltenden Bilanzierungsregeln erstellt, und das heißt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Vermögen wird eher niedrig, Verbindlichkeiten werden eher hoch bewertet. Carsten Frerk ist gespannt auf weitere Informationen:
"Das Spannendste in den nächsten Jahren wird sein: Wie werden die Kirchenimmobilien bewertet? Allein der erzbischöfliche Stuhl hat eine Kapitalbeteiligung bei der Aachener Siedlungsgesellschaft und hat 41,5 Prozent des Gesellschafteranteils, und braucht in dieser Veröffentlichung nur die 15,4 Millionen Gesellschafteranteil ausweisen. Die Gesellschaft hat aber ein Immobilienvermögen von 2,6 Milliarden Euro."
Und das ist nur ein Posten in der Bilanz eines - von 27 - katholischen Bistümern in Deutschland. Vor einigen Jahren hat Carsten Frerk eine Schätzung des gesamten katholischen und evangelischen Kirchenvermögens vorgelegt - also vor allem Grundeigentum, Immobilien und Wertpapiere, ohne Kunstschätze. Er geht von 435 Milliarden Euro kirchlichem Vermögen aus. Zum Vergleich: Das Vermögen des Bundes betrug Ende 2013 231 Milliarden Euro - also gut die Hälfte.
Auch was die Einnahmen angeht, können die Kirchen eigentlich nicht klagen. Sie verfügen jedenfalls über Geldquellen, von denen andere nur träumen. Zum Beispiel die sogenannten Staatsleistungen: 14 von 16 Bundesländern überweisen pro Jahr insgesamt fast eine halbe Milliarde Euro, als Entschädigung für die Enteignung von Kirchenbesitz vor über 200 Jahren. Nur Bremen und Hamburg bezahlen keine Staatsleistungen. In den beiden Freien Reichsstädten regierten immer schon die Kaufleute, es gab keine fürstbischöflichen Besitztümer und folglich auch keine Enteignungen. Die Staatsleistungen sind übrigens dynamisiert, das heißt sie steigen im gleichen Maß wie die Entlohnung der Landesbeamten. Von den Staatsleistungen bezahlen die Kirchen unter anderem Gehälter und Pensionen.
Bereits in der Weimarer Verfassung von 1919 stand, dass die Staatsleistungen abgelöst, also gegen eine Einmalzahlung beendet werden sollen. Heute, fast 100 Jahre später, überweisen die Bundesländer noch immer. Nach der Wende übernahmen alle fünf neuen Länder diese Regelung - auch sie bezahlen seitdem.
Lange Zeit betrachteten der Staat und die Kirchen die Staatsleistungen als Selbstverständlichkeit, gerade auch in Bayern:
"In den Haushaltsplänen in Bayern waren die Staatsleistungen über fünf Seiten ganz differenziert aufgeschlüsselt, wer was bekommt. Die Bischöfe, die Weihbischöfe, die Generalvikar-Anteile, über Seiten, da konnte man wirklich ganz genau gucken."
Seit einigen Jahren werden Forderungen nach einem Ende der Staatsleistungen lauter. Der bayerische Staat reagierte - auf seine Art:
"Nach Mixa, als dann deutlich wurde, der Mann kriegt über 5000 Euro an Pension aus Steuergeldern, da haben sie gesagt, wir machen den Deckel jetzt zu. Jetzt werden in Bayern Staatsleistungen genauso nur noch pauschal als Gesamtsumme veröffentlicht wie in allen anderen Bundesländern auch."
Der Staat gibt mit seinen Finanzbehörden für die Kirchen den Kassenwart
Anruf beim bayerischen Kultusministerium, in dessen Haushalt die Staatsleistungen ausgewiesen werden: Der Sprecher bestätigt die Veränderung. Die Pauschalierung diene der Verringerung des Verwaltungsaufwands.
An anderer Stelle übernehmen die staatlichen Finanzbehörden dagegen klaglos einiges an Verwaltungsaufwand für die Kirchen: Die Finanzämter ziehen deren Mitgliedsbeiträge ein, die Kirchensteuern. Für keine andere Organisation gibt der Staat den Kassenwart.
Die Finanzbehörden erhalten für ihren Aufwand je nach Bundesland zwei bis vier Prozent des Kirchensteueraufkommens. Ob das die gesamten Kosten abgedeckt, ist ungewiss - schließlich muss gemahnt werden, es gilt Einsprüche zu bearbeiten und Datenänderungen einzupflegen. Bei den Finanzbehörden stellt man sich die Kostenfrage allerdings nicht, in keinem Bundesland. Unstrittig ist aber, dass es die Kirchen erheblich teurer käme, wenn sie eigene Abteilungen für den Beitragseinzug einrichten müssten.
Richtig teuer ist der Einzug der Kirchensteuer für die Banken: Die wurden vom Gesetzgeber dazu verdonnert, die Kirchensteuer auf Kapitalerträge ohne Aufwandsentschädigung einzusammeln. Den Geldinstituten entstehen dadurch seit dem 1. Januar 2015 jährliche Kosten in dreistelliger Millionenhöhe. Die versuchen sie von ihrer Kundschaft wieder hereinzuholen - von Kirchenmitgliedern, Andersgläubigen und Konfessionsfreien.
Konkordat von 1933: einzige internationaler Vertrag der Nazi-Regierung, der noch besteht
Der staatliche Steuereinzug wurde in einem Konkordat von 1933 zwischen der Hitlerregierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Es ist der einzige internationale Vertrag der Nazi-Regierung, der nicht aufgehoben wurde.
"Dann hatte ein konfessionsloser Arbeitgeber mal dagegen geklagt, dass er für die Kirche diese Lohnabzüge beibringen muss, und das ging sehr schnell bis zum Verfassungsgericht. Und da wurde gesagt: Diese Pflicht hast du nicht gegenüber den Kirchen, sondern gegenüber dem Fiskus, und deshalb kannst du dich da nicht entziehen."
Eine derart enge Verbindung von Staat und Kirche ist in der deutschen Verfassung eigentlich nicht vorgesehen. Im Grundgesetz stehen mehrere Artikel zu Religion und Religionsgesellschaften, die aus der Weimarer Verfassung übernommen wurden - und die atmen einen ganz anderen Geist: Kirche und Staat sind demnach unabhängig voneinander. Die Bürger dürfen ihren Glauben leben. Oder nicht glauben. In Artikel 136, Absatz 3 heißt es zum Beispiel:
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.
Erst Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit haben die wechselseitige Durchdringung von Staat und Amtskirchen vorangetrieben - auch zu Lasten Konfessionsfreier und Andersgläubiger.
"Wenn Sie von außen kommen, gibt´s vorne eine sehr schlichte Backsteinfassade. Der Eingangsbereich ist dann so gestaltet, dass Sie große Backsteinkreuze sehen, die sich dann in den Eingangsbereich hinein öffnen und wenn man dann reinkommt, wird man als erstes auf die Kapelle zulaufen."
Ulrich Anke schwärmt von seinem Arbeitsplatz, einem Backsteinbau in Hannover. Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche Deutschlands macht vor dem Interview eine kleine Führung durch die Verwaltungszentrale aus den 1980er Jahren. Auf die Frage nach Privilegien der Kirchen antwortet der EKD-Verwaltungschef mit einer Gegenfrage:
"Wieso Privilegien?"
Dass der Staat für die Kirchen die Mitgliedsbeiträge einzieht und für andere Organisationen nicht, findet der Präsident völlig normal:
"Diese Form ist eine gute Form, eine effiziente, eine verlässliche Form der Mitgliederfinanzierung, und deswegen ist es, glaube ich, aus gutem Grund, dass das aus einer Tradition herkommt, weiterhin als Freiheitsrecht für Religionsgemeinschaften öffentlich rechtlichen Charakters gewährleistet ist."
Aber versteht der gelernte Jurist, dass es Kritik gibt am Kirchensteuereinzug durch den Staat?
"Von solch einer Regelung hat keiner, der außen steht, einen Nachteil. Es wird keiner in seinen Rechten verletzt. Und deswegen ist angesichts der Vorzüge, die diese Form der Mitgliederfinanzierung hat, es gut, auch daran weiter festzuhalten."
Wer bei kirchlichen Unternehmen arbeitet, muss mit Missionierungsversuchen rechnen
Und dass bei Bewerbungsgesprächen in den Sozialunternehmen der Kirchen die Religionszugehörigkeit abgefragt wird? Versteht der Kirchenamtspräsident, dass die wachsende Zahl der nicht religiös gebundenen Menschen solche Sonderrechte kritisiert?
"Wenn Christen mit der erforderlichen Fachqualifikation nicht zur Verfügung stehen, dann wird das bewusst in begrenztem Umfang geöffnet, auch für Konfessionslose oder für Angehörige anderer Religionen."
Aber dabei bleibt es nicht. Wer bei einem kirchlichen Unternehmen arbeitet, muss mit Missionierungsversuchen rechnen - auch wenn das nicht so genannt wird:
"Es wird Angebote geben, dass für diejenigen, die über die Arbeit vielleicht einen Zugang finden, dann tatsächlich auch sich kirchlichen, christlichen Angeboten weiter nähern können."
Gegen Kritik an ihren Sonderrechten führen die Kirchen gerne ihr soziales Engagement ins Feld. Tatsächlich sind Caritas und Diakonie vor allem auf den milliardenschweren Märkten für Gesundheit und Soziales unterwegs. Deren Leistungen werden weitgehend, teilweise zu hundert Prozent, aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuergeldern finanziert. Darüber hinaus engagieren sich die Kirchen etwa bei Bahnhofsmissionen und Flüchtlingsinitiativen. Carsten Frerk hat nachgerechnet, wieviel Kirchensteuer in derartige Vorhaben fließt:
"Von Ihrer Kirchensteuer, da gehen nur fünf Prozent, sieben Prozent in diese sozialen Projekte."
Die Verwaltungszentrale der katholischen Bischofskonferenz liegt in Bonn an der Kaiserstraße. Häuser aus der vorletzten Jahrhundertwende und der Nachkriegszeit, darin die Heilsarmee, die Studi-Kneipe Südstadt und der Women's Business Park. Dann ein moderner Bau mit glasleichter Front und spitz zulaufendem Dachakzent.
Hans Langendörfer ist Generalsekretär der Bischofskonferenz. Der Jesuit muss bei schwierigen Themen ran, beim maroden Weltbild Verlag gab er den Krisenmanager. Der rheinische Katholik zeigt sich betroffen über Kritik an seiner Kirche - und bleibt hart in der Sache:
"Es ist schade, wenn Leute das Empfinden haben, dass die Kirche hier in einer gierigen Art und Weise sie um ihr Geld bringen will. Das muss ich sagen, das tut uns weh, das tut uns leid, dass der Kirche hier, ich finde zu Unrecht, eine Gier und eine Maßlosigkeit unterstellt wird, die es so nicht gibt. Die gibt es gar nicht."
Ganz im Gegenteil, möchte Jesuit Langendörfer glauben machen. Flugs wird der seit dem 1. Januar 2015 automatisierte Einzug der Kirchensteuer auf Kapitalerträge bei ihm zum Mittel der Sozialpolitik - ganz im Sinne von Papst Franziskus, der so gut mit sozialen Themen punktet.
"Für uns war immer wichtig und ist wichtig, dass auch die Frage der Kirchensteuer für vermögende Menschen, dass auch für die die Kirchensteuer eine Obliegenheit ist. Wir wollen nicht gerade Menschen, die vermögender sind - egal jetzt, ob das für ihre Altersversorgung eine wichtige Komponente ist -, dass sie begünstigt werden denen gegenüber, die einfach Geld verdienen, weil sie ein Einkommen aus abhängiger Tätigkeit haben und da ihre Kirchensteuer dann entrichten müssen."
Der automatisierte Steuereinzug verhindert nämlich, dass Kirchenmitglieder vergessen, ihre Kapitalerträge anzugeben. Ganz uneigennützig ist das Hohelied auf den automatisierten Kirchensteuereinzug durch die Banken allerdings nicht: Denn Besserverdienende zahlen nun mal mehr Kirchensteuer.
Bitter allerdings für die Amtskirchen: Nach Bekanntwerden des neuen Steuereinzugsverfahrens traten vor allem ältere Mitglieder aus, die ihnen bisher die Treue gehalten hatten.
Die katholische Kirche verstößt eklatant gegen den Geist der Nichtdiskriminierung
Ob Kirchensteuer oder Einstellungspraxis - der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz ist sich sehr einig mit seinem evangelischen Kollegen Ulrich Anke. Da funktioniert die Ökumene.
Aber es gibt noch eine Frage an den katholischen Kirchenmann, die sich bei den Protestanten nicht stellt: Die nach dem Monopol für Männer und dem Ausschluss von Frauen von allen geweihten Ämtern, vom Kaplan bis zum Papst. Keine andere Großorganisation in Deutschland verstößt derart eklatant gegen den Geist der Nichtdiskriminierung von Grundgesetz und Allgemeinen Menschenrechten. Der Jesuit reagiert zunächst, als habe er die Frage nicht recht verstanden:
"Das müssten wir schon näher klären, wo jetzt die Ungleichbehandlung und die Diskriminierung von Frauen in der Kirche genau ist."
Aber dann stellt er doch recht schnell klar:
"Wir sind eine männergeprägte Kirche. Wir fühlen uns gebunden an das, was uns der Gründer unseres christlichen Glaubens aufgegeben und mitgegeben hat. Und das ist Jesus Christus. Und so kommen wir jedenfalls in der katholischen Kirche sehr klar zu der Auffassung: Der Amtsträger, der Geistliche ist ein Mann. Und es gibt keine Bewegung in der Lehrauffassung, dass Frauen nicht die Möglichkeit haben, Priester zu werden."
Andere christliche Glaubensgemeinschaften interpretieren die Bibel nicht so fundamentalistisch. Genauer gesagt: nicht mehr. Vor kurzem wurde die erste anglikanische Bischöfin geweiht. Nach einer Stunde ist die Interviewzeit vorbei. Beim Verabschieden erzählt der nach den Regeln seiner Kirche unverheiratete Jesuit noch eine Geschichte aus seinem Arbeitsalltag: Erst kürzlich habe sich eine junge Frau auf eine Stelle beim Generalsekretariat der Bischofskonferenz beworben. Frisch geschieden sei sie gewesen. Der habe er empfohlen, es doch lieber woanders zu versuchen. Der einflussreiche Kirchenmann lächelt freundlich und verlässt den Raum.
Um Moralvorstellungen und die innere Struktur von Religionsgemeinschaften soll es hier nicht gehen. Das Selbstbestimmungsrecht lässt Glaubensgemeinschaften freie Hand bei internen Organisationsfragen.
Was aber ist, wenn eine Religionsgemeinschaft in der Gesellschaft wirkt und dort zum Beispiel Kitas betreibt? Und Grundschulen, noch dazu staatliche - also nicht private -, wie in Nordrhein-Westfalen? Natürlich arbeiten auch in katholischen Kitas und Grundschulen ganz überwiegend Frauen, auch an führender Stelle. Aber die katholische Kirche als Betreiberin hat eine hundertprozentige Männerquote - in einer Gesellschaft, die Diskriminierung in all ihren Formen nicht länger dulden will. Dürfte die katholische Kirche also eigentlich gar keine Kindergärten und Schulen mehr betreiben?
Eine Frage, für die es zwei Expertinnen in Deutschland gibt: Juraprofessorinnen, die geforscht haben zu Diskriminierung und Genderthemen. Aber beide Professorinnen sind außerdem Richterinnen an Verfassungsgerichten. Von der einen kam auf meine Interviewanfrage diese Mail:
"Zu diesem Thema kann ich Ihnen kein Interview geben. Nicht nur sind wir als Richterinnen und Richter ja ohnehin etwas zurückhaltend mit diesem Format. Zudem berührt das Thema Fallkonstellationen, die das Gericht durchaus noch beschäftigen könnten."
Darf eine Organisation, die Frauen diskriminiert, eigentlich Kitas und Schulen betreiben?
Aber auch Nora Markard ist eine gute Gesprächspartnerin zu der Frage, ob die Frauen massiv diskrimierende katholische Kirche eigentlich weiterhin öffentliche Kitas und Grundschulen betreiben darf. Die Juniorprofessorin für Öffentliches Recht arbeitet an der Uni Hamburg, sie hat viel zu Diskriminierung geforscht. Zum Interview treffen wir uns in ihrer Wohnung. An sie eine hypothetische Frage, ein Gedankenspiel: Dürfte in Deutschland eine Religionsgemeinschaft Kitas und Schulen betreiben, in der nicht Frauen vom Priesteramt ausgeschlossen sind, sondern Menschen mit dunkler Haut?
"Also die Diskriminierungsverbote sind ja erstmal gleichrangig. Trotzdem ist es kaum vorstellbar, dass wir sowas in Deutschland dulden würden."
Aber warum wird die Diskriminierung von Frauen hingenommen, andere Formen der Diskriminierung aber nicht?
"Rechtsprinzipien, die haben eben auch sehr viel mit gewachsenen Vorstellungen zu tun. Das sind die Traditionen, die wir als unsere Sitten begreifen. Also wir, die wir hier leben. Und damit ist eben das, was es schon lange gibt, deutlich akzeptabler, und da gibt es so eine gewisse gummiartige Toleranz gegenüber dem, was wir schon kennen."
Verfassungsblogger Max Steinbeis erinnert an die Jahrhunderte alte Verbindung von Staat und Kirche:
"Die ganze Verfassungsgeschichte ist eine Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Staat und Religion. Und die Institutionen des Staates haben sich immer entwickelt auch anhand von Vorbildern, die man in der katholischen Kirche vorgefunden hat - und umgekehrt."
Solch eine enge Verbundenheit mag ein wenig erklären, warum die Diskriminierung der katholischen Frauen in ihrer Kirche wie ein blinder Fleck in der öffentlichen Wahrnehmung erscheint. Politik, Rechtsprechung und die nichtmuslimische Bevölkerung machen sich viele Gedanken über eine mögliche Benachteiligung Kopftuch tragender Musliminnen gegenüber muslimischen Männern - dabei können muslimische Frauen immerhin Imamin werden, in einigen Moscheegemeinden jedenfalls. Die massive Diskriminierung von Katholikinnen in ihrer Kirche wird dagegen hingenommen.
Tradition und politische Macht konservieren auch die finanziellen und arbeitsrechtlichen Privilegien der beiden Amtskirchen. Aber die Diskussion darüber hat begonnen: Die beiden großen christlichen Kirchen können immer weniger für sich in Anspruch nehmen, für die Menschen zu sprechen. Und es wirkt mittlerweile wie aus der Zeit gefallen, was Clara Koch von ihrem Arbeitsplatz bei der katholischen Familienhilfe erzählt. Eine Kollegin hatte man beim Einstellungsgespräch nicht nach ihrer Kirchenmitgliedschaft gefragt:
"Nach einem Jahr wurde dann festgestellt, dass sie nicht in der Kirche ist. Und sie hatte erstmal einen befristeten Arbeitsvertrag, und nach einem Jahr sollte der verlängert werden. Und dann wurde ihr aber gesagt: Der wird nur verlängert, wenn Sie jetzt in die Kirche eintreten!"