Kirchenreformer wollen Veränderungen diskutieren
Das Zweite Vatikanische Konzil habe Hoffnungen geweckt, sagt Barbara Imholz, Mitorganisatorin einer Versammlung von kirchlichen Reformgruppen in Frankfurt am Main. Ein neues Konzil nennt sie wünschenswert, die Kirche habe Reformbedarf.
Kirsten Westhuis: Das Zweite Vatikanische Konzil wollte Neuerungen anstoßen, die die alte Kirche in die moderne Welt katapultieren sollten. Gut durchlüften, das wollte Papst Johannes XXIII., der das Konzil einberief und der an den Anfang einen leidenschaftlichen Aufruf zum Aggiornamento stellte: zum Heutigwerden, zu einer ständigen Erneuerung der Kirche in der Welt von heute. Von dem frischen Wind ist nicht mehr viel zu spüren, lautet die Kritik von kirchlichen Reformgruppen und anderen gesellschaftspolitisch engagierten, christlichen Initiativen. Im Gegenteil, von kirchlicher Erstarrung sprechen sie. In der kommenden Woche findet in Frankfurt eine sogenannte konziliare Versammlung statt. "Zeichen der Zeit - Hoffnung und Widerstand" haben die mehr als 30 beteiligten Reformgruppen, Initiativen und Einzelpersonen diese Versammlung betitelt. Sie wollen damit unter anderem an die Aufbrüche und Neuerungen, die das Konzil gebracht hat, erinnern. Ich habe vor der Sendung mit Barbara Imholz gesprochen vom Institut für Theologie und Politik in Münster, die diese konziliare Versammlung mit organisiert, und ich habe sie zunächst gefragt, ob 50 Jahre Konzil Anlass zum Feiern sind.
Barbara Imholz: Also wir finden schon. Das Zweite Vatikanische Konzil hat tatsächlich, wie Sie ja auch anmoderiert haben, so die Öffnung der Kirche gebracht, hat Hoffnungen geweckt. Wie können wir in der Moderne des 20. Jahrhunderts an Gott glauben, wie können wir von Gott sprechen? Wie kann Theologie sich gestalten, wie können wir Gesellschaft christlich gestalten? Und von daher ist das Zweite Vatikanische Konzil für uns ein ganz, ganz wichtiger Bezugspunkt.
Westhuis: Dann werden Ihre dreieinhalb Tage konziliare Versammlung in Frankfurt in der nächsten Woche vom Donnerstag bis zum Sonntag also eine einzige große Feierstunde?
Imholz: Feierstunde ja, so wie ich es eben gesagt habe, aber wir haben natürlich auch viel Kritik. Nämlich, wir möchten natürlich gerne auch darauf hinweisen, dass wir enttäuscht sind. Dass viele Dinge überhaupt nicht so gelaufen sind, wie wir es uns eigentlich vorgestellt haben, oder wie viele Menschen, die sich damals auf den Weg gemacht habe, sich vorgestellt haben, und wir möchten gern mit dieser Versammlung zeigen, dass wir nicht resignieren. Wir möchten auch all die enttäuschten Menschen, die vielleicht aus den Gemeinden in den letzten Jahren ausgetreten sind, dass es uns, sag ich jetzt noch mal, als Konzilskirche noch gibt, und aber auch gleichzeitig kritisch analysieren, was ist notwendig, was haben wir vielleicht falsch gemacht, was kritisieren wir an der Verfasstheit unserer jetzigen Kirche, was kritisieren wir an Gesellschaft, wie müssen wir unsere Wege gestalten, wie müssen wir neue Wege suchen - also von daher ein ernsthafter Blick, und nicht nur eine reine Feierstunde.
Westhuis: Was ist diese Enttäuschung? Wovon sind Sie enttäuscht?
Imholz: Die Zeichen der Zeit, das ist ja sozusagen ein ganz wichtiger Slogan, und den finde ich auch unglaublich gut gewählt, die Zeichen der Zeit zu deuten. Das wird natürlich unterschiedlich interpretiert und wurde unterschiedlich interpretiert. Also wir stellen eigentlich fest, dass seit den 80er-Jahren ein - ja, nennen Sie es ruhig Rollback - in der Kirche passiert ist, auch unter unserem Ratzinger, unserem jetzigen Papst, der auch da sehr viel Verantwortung für getragen hat. Und man hat versucht, so aus lauter Angst, dass die Kirche sozusagen keinen Bestand hat in dieser Moderne und den Herausforderungen, die damit gegeben sind, ja, die haben sich zurückgezogen und haben sich eingemauert, haben sich eingeschlossen, haben einen sehr spirituellen Weg, finde ich, eingeschlagen, und vor allem auch politisch Entscheidungen getroffen, in Lateinamerika, in Asien, in Afrika, die darauf hinweisen, sich sozusagen in eine konservativere Richtung zu begeben und die Bedeutung der Laien zurückzudrängen, den Frauen nicht ihr Recht zu geben, wie das eigentlich angesagt wäre - und das sind all die Dinge, die gehen einfach nicht. Und dagegen stehen wir auch auf beziehungsweise wir merken das an, dass das ein kritischer Punkt ist und das da sozusagen das Zweite Vatikanische Konzil sozusagen ganz andere Impulse gesetzt hat, an die man anknüpfen müsste.
Westhuis: Glauben Sie, dass das ein strategisch gezieltes Rollback ist?
Imholz: Ich glaube, ja. Wir analysieren immer wieder - strategisch gezielt insofern, als die Abgeschlossenheit und die Sorge um sozusagen die Kirche in ihrer jetzigen Verfassung dazu geführt hat, dass man sehr gezielt - und in diesem Sinne auch strategisch - Entscheidungen getroffen hat, zu sagen, wenn wir sozusagen Bestand haben wollen, dann müssen wir das und das tun. Und das ist durchaus strategisch, also im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir sagen natürlich, diese Entscheidung ist falsch. Wir glauben, dass das unserer Kirche schadet, und ich finde, das kann man auch übrigens sehen an den ganzen Austritten zum Beispiel. Immer mehr aktive gehen raus, und wir sagen, dass diese strategische Entscheidung nicht richtig war und möchten gern andere Entscheidungen. Beziehungsweise wir tun es einfach. Wir sind einfach da.
Westhuis: Und Sie möchten auch eigene Deutungen? Was sind die Zeichen der Zeit heute? Was deuten Sie?
Imholz: Wenn Sie das Programm sich genau anschauen von den 30 Gruppen, die da aktiv sind und in den Werkstätten ihre Arbeit vorstellen und einladen, mitzutun, wird eigentlich sehr schnell deutlich, wo wir die Zeichen der Zeit sehen. Also wir werfen den Blick auf Dritte-Welt-Fragen, heute sagt man Globalisierung. Also es geht um Armut in der Welt. Aber nicht nur einfach sie konstatieren und sozusagen barmherzig auf sie reagieren. Nein, es geht darum, zu fragen, woher kommt die Armut und welche bedeutsamen Schritte müssen da getan werden, politisch, sozial, ideell in der Kirche, wie auch immer. Das ist also ein großer Themenbereich. Das zweite sind Umweltfragen. Wir sehen sozusagen die Bedrohung, die auf uns zukommt, die Schöpfung wird systematisch zerstört. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, auf den wir hinweisen wollen. Dann gibt es natürlich innerkirchliche Fragen, auf die wir sagen, da muss die Zeit reagieren, das heißt, die Demokratiefrage muss gestellt werden, die Frage der Hierarchie, die Rolle der Frauen, die völlig unzulänglich, finden wir, fürs 21. Jahrhundert hier beantwortet wird. Die Stärkung der Laien in der Organisation. Das wären Zeichen der Zeit. Und das dritte ist natürlich auch im Prinzip im Moment soziale Gerechtigkeit hier bei uns. Also wir haben viele Gruppen, die sich also akut mit Armuts- und Reichtumsfragen hier in der Bundesrepublik beschäftigen. Mit Hartz IV, aber ganz konkret, nicht? Und vielleicht ein Punkt, den finden wir auch noch bedeutsam, nämlich die Frage der Flüchtlinge. Also wir haben auch mehrere Workshops, die sich damit beschäftigen. Also die Menschen, die ihre Länder, weil es dort verarmt und an Perspektivlosigkeit sozusagen schreit, verlassen ihre Länder und wir nennen sie Flüchtlinge oder Wirtschaftsflüchtlinge sogar. Und dass wir sagen, nein, so können wir nicht mit den Leuten umgehen, die hier teilweise in Lagern festgehalten werden. Also das sind so Zeichen der Zeit, wo wir sagen, wir müssen reagieren, wir können gar nicht anders, wir müssen die Auseinandersetzung suchen, auch wenn wir noch keine Antworten haben.
Westhuis: Dann geht es also nicht nur um einen innerkirchlichen, einen katholischen, eine strukturellen Umbruch, sondern um eine gesellschaftliche Erneuerung?
Imholz: Ja, wir nehmen Ökumene richtig ernst. Also uns geht es nicht um katholisch, evangelisch, wie auch immer, sondern es geht tatsächlich darum, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen und christliche Antworten zu geben, also Dienst am Leben, das als wichtigstes Kriterium zu sehen: Da muss es langgehen. Und in diesem Sinne ist es keine kirchliche Veranstaltung oder keine katholische Veranstaltung. Das ist, wenn Sie so wollen, eine christliche Veranstaltung. Wo müssen wir hin, wo wollen wir hin, wo wollen wir zusammen was gestalten, ja. Und das, finde ich, ist schon irgendwie ein anderer Ansatz, und das merkt man auch sehr deutlich, wenn man sich das Programm anschaut, dass es also nicht nur um Kirche als solche geht.
Westhuis: "Freude und Hoffnung - über die Kirche in der Welt von heute" heißt es zum Beispiel auch im Sprachgebrauch des Zweiten Vatikanischen Konzils, nämlich das ist der übersetzte Titel der Pastoralkonstitution. Wie kann denn Kirche heute Freude und Hoffnung sein. Welche Kirche wollen Sie, und wie sieht das aus in Zukunft?
Imholz: Also alle, die in Gruppen schon mal gearbeitet haben oder sich unter ein gemeinsames Motto zusammengefunden haben, empfinden das als Bereicherung. Also diese Vereinzelung wird aufgehoben. Das ist Freude und Hoffnung. Also wir haben eine liturgische Feier am Samstag Abend, die soll uns noch mal zusammenbringen und auch sozusagen im Sinne eines neuen Pfingsten dieses Gefühl geben, dass wir nicht allein sind. Wir sind begleitet, wir fühlen uns auch sozusagen bestärkt. Und dass uns das auch in unserem Leben Kraft und Freude geben kann, davon sind wir eigentlich auch überzeugt. Auch wenn es natürlich Schwierigkeiten womöglich gibt oder auch Härten, vielleicht auch Kämpfe. Aber all das macht das Leben ja so lebendig und kostbar. Und das ist doch mit Freude gemeint, und nicht, dass wir einfach nur lachen und singen, sondern das muss ja auch durch einen Inhalt gefüllt sein. Und das versprechen wir uns ganz stark, dass hier so ein paar Hundert Menschen zusammenkommen wollen und sagen, ja, uns gibt es, und im Prinzip auch dazu einladen, mitzumachen.
Westhuis: Ein paar Hundert Menschen kommen zusammen, über 500 Anmeldungen haben Sie für die konziliare Versammlung angenommen, und Sie treffen sich zu Beginn in Frankfurt in der Paulskirche. Einen geschichtsträchtigen Ort haben Sie sich da ausgesucht.
Imholz: Ja, das war auch nicht ganz unumstritten, aber wir sind mittlerweile froh, dass es die Paulskirche ist. Ich bin ja Geschichtslehrerin, also wir wissen alle, dass sich in der deutschen Geschichte dort zum ersten Mal etwas vollzogen hat, dass damals die Bürgerlichen gesagt haben, wir gestalten unsere Gesellschaft politisch, in erster Linie damals, politisch neu. Und gucken nicht da noch, ob die Obrigkeit uns sozusagen lässt. Wir wissen zwar auch, wie es vielleicht weitergegangen ist, aber deswegen ist die Paulskirche tatsächlich ein wichtiger oder symbolträchtiger Ort. Wir sind auf dem Weg. Und wir gucken nicht zurück, und wir sind davon überzeugt, dass wir damit einladen können und auch ein Zeichen setzen können. Wir wollen Demokratie.
Westhuis: Drei Jahre dauerte das Konzil, und auch Sie wollen die nächsten drei Jahre in kritischer Erinnerung immer wieder Themen aus dem Konzil aufwerfen. Und auch die deutsche Bischofskonferenz will genau das machen in den nächsten drei Jahren. Läuft das nebeneinander her?
Imholz: Das werden wir sehen. Also wir haben die Bischöfe eingeladen, an unserer Versammlung teilzunehmen, um sozusagen in den Dialog zu kommen, der ja auch von ihnen sozusagen gefordert oder vorgeschlagen wurde. Ich glaube, es hat kaum jemand darauf geantwortet. Von daher, wenn das ein Signal ist, kann man befürchten, dass es nebeneinander her läuft. Aber für uns ist wichtig, dass mit dieser Versammlung ein Impuls kommt, uns zu vernetzen, uns zu zeigen, wir sind zwar verschieden in unseren Aktivitäten, wir sind vielleicht sogar nicht immer alle einer Meinung, aber wir laden ein und wir wollen uns vergrößern, wir wollen deutlich sichtbarer werden. Und in Frankfurt diese Möglichkeit zu schaffen, wo treffen wir uns wieder? Wo sind unsere Schwerpunkte? Und unter Umständen, also ich gehe eigentlich ziemlich sicher davon aus, dass die anders sein werden als die Schwerpunkte der Bischofskonferenz, und wenn man die aktuellen Dokumente liest von letzter oder vorletzter Woche, da habe ich kaum Ansätze gesehen. Also weder im Bezug auf Gleichstellung von Frauen, noch auf Dialogbereitschaft, noch auf Aufarbeitung von Missbrauch - all diese Geschichten, die innerkirchlich ja schon gären, geschweige denn von gesellschaftspolitischen Weichenstellungen. Also von daher ist Ihre Anfrage da, glaube ich, sehr berechtigt, die ich da so heraushöre. Ich vermute fast, dass es nebenher läuft, aber für uns ist das letztlich auch der Punkt, der uns nicht interessiert. Sondern wir möchten ja gerne unsere Inhalte weiterbringen.
Westhuis: Frau Imholz, brauchen wir ein neues Konzil, ein drittes Konzil?
Imholz: Das wäre super. Ich bin sehr dafür, wir sind alle sehr dafür. Stellen Sie sich vor, ein großes Konzil, in dem all die Fragen, die wir anreißen wollen, noch mal Thema wären, allerdings dann auch mit unserer Mitsprache und mit allen Beteiligten. Es gibt auch parallel zum Weltsozialforum immer ein Welttheologenforum. Das ist im Prinzip schon so der Versuch, diese Fragen auch global und ökumenisch anzugehen und so was sozusagen im Weltmaßstab, ohne Gängelung und ohne Scheu und ohne Furcht - das könnte wirklich noch mal ein neuer Anfang sein.
Westhuis: Ein neuer Anfang mit einem neuen Konzil. Herzlichen Dank, Barbara Imholz vom Institut für Theologie und Politik in Münster.
Imholz: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Barbara Imholz: Also wir finden schon. Das Zweite Vatikanische Konzil hat tatsächlich, wie Sie ja auch anmoderiert haben, so die Öffnung der Kirche gebracht, hat Hoffnungen geweckt. Wie können wir in der Moderne des 20. Jahrhunderts an Gott glauben, wie können wir von Gott sprechen? Wie kann Theologie sich gestalten, wie können wir Gesellschaft christlich gestalten? Und von daher ist das Zweite Vatikanische Konzil für uns ein ganz, ganz wichtiger Bezugspunkt.
Westhuis: Dann werden Ihre dreieinhalb Tage konziliare Versammlung in Frankfurt in der nächsten Woche vom Donnerstag bis zum Sonntag also eine einzige große Feierstunde?
Imholz: Feierstunde ja, so wie ich es eben gesagt habe, aber wir haben natürlich auch viel Kritik. Nämlich, wir möchten natürlich gerne auch darauf hinweisen, dass wir enttäuscht sind. Dass viele Dinge überhaupt nicht so gelaufen sind, wie wir es uns eigentlich vorgestellt haben, oder wie viele Menschen, die sich damals auf den Weg gemacht habe, sich vorgestellt haben, und wir möchten gern mit dieser Versammlung zeigen, dass wir nicht resignieren. Wir möchten auch all die enttäuschten Menschen, die vielleicht aus den Gemeinden in den letzten Jahren ausgetreten sind, dass es uns, sag ich jetzt noch mal, als Konzilskirche noch gibt, und aber auch gleichzeitig kritisch analysieren, was ist notwendig, was haben wir vielleicht falsch gemacht, was kritisieren wir an der Verfasstheit unserer jetzigen Kirche, was kritisieren wir an Gesellschaft, wie müssen wir unsere Wege gestalten, wie müssen wir neue Wege suchen - also von daher ein ernsthafter Blick, und nicht nur eine reine Feierstunde.
Westhuis: Was ist diese Enttäuschung? Wovon sind Sie enttäuscht?
Imholz: Die Zeichen der Zeit, das ist ja sozusagen ein ganz wichtiger Slogan, und den finde ich auch unglaublich gut gewählt, die Zeichen der Zeit zu deuten. Das wird natürlich unterschiedlich interpretiert und wurde unterschiedlich interpretiert. Also wir stellen eigentlich fest, dass seit den 80er-Jahren ein - ja, nennen Sie es ruhig Rollback - in der Kirche passiert ist, auch unter unserem Ratzinger, unserem jetzigen Papst, der auch da sehr viel Verantwortung für getragen hat. Und man hat versucht, so aus lauter Angst, dass die Kirche sozusagen keinen Bestand hat in dieser Moderne und den Herausforderungen, die damit gegeben sind, ja, die haben sich zurückgezogen und haben sich eingemauert, haben sich eingeschlossen, haben einen sehr spirituellen Weg, finde ich, eingeschlagen, und vor allem auch politisch Entscheidungen getroffen, in Lateinamerika, in Asien, in Afrika, die darauf hinweisen, sich sozusagen in eine konservativere Richtung zu begeben und die Bedeutung der Laien zurückzudrängen, den Frauen nicht ihr Recht zu geben, wie das eigentlich angesagt wäre - und das sind all die Dinge, die gehen einfach nicht. Und dagegen stehen wir auch auf beziehungsweise wir merken das an, dass das ein kritischer Punkt ist und das da sozusagen das Zweite Vatikanische Konzil sozusagen ganz andere Impulse gesetzt hat, an die man anknüpfen müsste.
Westhuis: Glauben Sie, dass das ein strategisch gezieltes Rollback ist?
Imholz: Ich glaube, ja. Wir analysieren immer wieder - strategisch gezielt insofern, als die Abgeschlossenheit und die Sorge um sozusagen die Kirche in ihrer jetzigen Verfassung dazu geführt hat, dass man sehr gezielt - und in diesem Sinne auch strategisch - Entscheidungen getroffen hat, zu sagen, wenn wir sozusagen Bestand haben wollen, dann müssen wir das und das tun. Und das ist durchaus strategisch, also im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir sagen natürlich, diese Entscheidung ist falsch. Wir glauben, dass das unserer Kirche schadet, und ich finde, das kann man auch übrigens sehen an den ganzen Austritten zum Beispiel. Immer mehr aktive gehen raus, und wir sagen, dass diese strategische Entscheidung nicht richtig war und möchten gern andere Entscheidungen. Beziehungsweise wir tun es einfach. Wir sind einfach da.
Westhuis: Und Sie möchten auch eigene Deutungen? Was sind die Zeichen der Zeit heute? Was deuten Sie?
Imholz: Wenn Sie das Programm sich genau anschauen von den 30 Gruppen, die da aktiv sind und in den Werkstätten ihre Arbeit vorstellen und einladen, mitzutun, wird eigentlich sehr schnell deutlich, wo wir die Zeichen der Zeit sehen. Also wir werfen den Blick auf Dritte-Welt-Fragen, heute sagt man Globalisierung. Also es geht um Armut in der Welt. Aber nicht nur einfach sie konstatieren und sozusagen barmherzig auf sie reagieren. Nein, es geht darum, zu fragen, woher kommt die Armut und welche bedeutsamen Schritte müssen da getan werden, politisch, sozial, ideell in der Kirche, wie auch immer. Das ist also ein großer Themenbereich. Das zweite sind Umweltfragen. Wir sehen sozusagen die Bedrohung, die auf uns zukommt, die Schöpfung wird systematisch zerstört. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, auf den wir hinweisen wollen. Dann gibt es natürlich innerkirchliche Fragen, auf die wir sagen, da muss die Zeit reagieren, das heißt, die Demokratiefrage muss gestellt werden, die Frage der Hierarchie, die Rolle der Frauen, die völlig unzulänglich, finden wir, fürs 21. Jahrhundert hier beantwortet wird. Die Stärkung der Laien in der Organisation. Das wären Zeichen der Zeit. Und das dritte ist natürlich auch im Prinzip im Moment soziale Gerechtigkeit hier bei uns. Also wir haben viele Gruppen, die sich also akut mit Armuts- und Reichtumsfragen hier in der Bundesrepublik beschäftigen. Mit Hartz IV, aber ganz konkret, nicht? Und vielleicht ein Punkt, den finden wir auch noch bedeutsam, nämlich die Frage der Flüchtlinge. Also wir haben auch mehrere Workshops, die sich damit beschäftigen. Also die Menschen, die ihre Länder, weil es dort verarmt und an Perspektivlosigkeit sozusagen schreit, verlassen ihre Länder und wir nennen sie Flüchtlinge oder Wirtschaftsflüchtlinge sogar. Und dass wir sagen, nein, so können wir nicht mit den Leuten umgehen, die hier teilweise in Lagern festgehalten werden. Also das sind so Zeichen der Zeit, wo wir sagen, wir müssen reagieren, wir können gar nicht anders, wir müssen die Auseinandersetzung suchen, auch wenn wir noch keine Antworten haben.
Westhuis: Dann geht es also nicht nur um einen innerkirchlichen, einen katholischen, eine strukturellen Umbruch, sondern um eine gesellschaftliche Erneuerung?
Imholz: Ja, wir nehmen Ökumene richtig ernst. Also uns geht es nicht um katholisch, evangelisch, wie auch immer, sondern es geht tatsächlich darum, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen und christliche Antworten zu geben, also Dienst am Leben, das als wichtigstes Kriterium zu sehen: Da muss es langgehen. Und in diesem Sinne ist es keine kirchliche Veranstaltung oder keine katholische Veranstaltung. Das ist, wenn Sie so wollen, eine christliche Veranstaltung. Wo müssen wir hin, wo wollen wir hin, wo wollen wir zusammen was gestalten, ja. Und das, finde ich, ist schon irgendwie ein anderer Ansatz, und das merkt man auch sehr deutlich, wenn man sich das Programm anschaut, dass es also nicht nur um Kirche als solche geht.
Westhuis: "Freude und Hoffnung - über die Kirche in der Welt von heute" heißt es zum Beispiel auch im Sprachgebrauch des Zweiten Vatikanischen Konzils, nämlich das ist der übersetzte Titel der Pastoralkonstitution. Wie kann denn Kirche heute Freude und Hoffnung sein. Welche Kirche wollen Sie, und wie sieht das aus in Zukunft?
Imholz: Also alle, die in Gruppen schon mal gearbeitet haben oder sich unter ein gemeinsames Motto zusammengefunden haben, empfinden das als Bereicherung. Also diese Vereinzelung wird aufgehoben. Das ist Freude und Hoffnung. Also wir haben eine liturgische Feier am Samstag Abend, die soll uns noch mal zusammenbringen und auch sozusagen im Sinne eines neuen Pfingsten dieses Gefühl geben, dass wir nicht allein sind. Wir sind begleitet, wir fühlen uns auch sozusagen bestärkt. Und dass uns das auch in unserem Leben Kraft und Freude geben kann, davon sind wir eigentlich auch überzeugt. Auch wenn es natürlich Schwierigkeiten womöglich gibt oder auch Härten, vielleicht auch Kämpfe. Aber all das macht das Leben ja so lebendig und kostbar. Und das ist doch mit Freude gemeint, und nicht, dass wir einfach nur lachen und singen, sondern das muss ja auch durch einen Inhalt gefüllt sein. Und das versprechen wir uns ganz stark, dass hier so ein paar Hundert Menschen zusammenkommen wollen und sagen, ja, uns gibt es, und im Prinzip auch dazu einladen, mitzumachen.
Westhuis: Ein paar Hundert Menschen kommen zusammen, über 500 Anmeldungen haben Sie für die konziliare Versammlung angenommen, und Sie treffen sich zu Beginn in Frankfurt in der Paulskirche. Einen geschichtsträchtigen Ort haben Sie sich da ausgesucht.
Imholz: Ja, das war auch nicht ganz unumstritten, aber wir sind mittlerweile froh, dass es die Paulskirche ist. Ich bin ja Geschichtslehrerin, also wir wissen alle, dass sich in der deutschen Geschichte dort zum ersten Mal etwas vollzogen hat, dass damals die Bürgerlichen gesagt haben, wir gestalten unsere Gesellschaft politisch, in erster Linie damals, politisch neu. Und gucken nicht da noch, ob die Obrigkeit uns sozusagen lässt. Wir wissen zwar auch, wie es vielleicht weitergegangen ist, aber deswegen ist die Paulskirche tatsächlich ein wichtiger oder symbolträchtiger Ort. Wir sind auf dem Weg. Und wir gucken nicht zurück, und wir sind davon überzeugt, dass wir damit einladen können und auch ein Zeichen setzen können. Wir wollen Demokratie.
Westhuis: Drei Jahre dauerte das Konzil, und auch Sie wollen die nächsten drei Jahre in kritischer Erinnerung immer wieder Themen aus dem Konzil aufwerfen. Und auch die deutsche Bischofskonferenz will genau das machen in den nächsten drei Jahren. Läuft das nebeneinander her?
Imholz: Das werden wir sehen. Also wir haben die Bischöfe eingeladen, an unserer Versammlung teilzunehmen, um sozusagen in den Dialog zu kommen, der ja auch von ihnen sozusagen gefordert oder vorgeschlagen wurde. Ich glaube, es hat kaum jemand darauf geantwortet. Von daher, wenn das ein Signal ist, kann man befürchten, dass es nebeneinander her läuft. Aber für uns ist wichtig, dass mit dieser Versammlung ein Impuls kommt, uns zu vernetzen, uns zu zeigen, wir sind zwar verschieden in unseren Aktivitäten, wir sind vielleicht sogar nicht immer alle einer Meinung, aber wir laden ein und wir wollen uns vergrößern, wir wollen deutlich sichtbarer werden. Und in Frankfurt diese Möglichkeit zu schaffen, wo treffen wir uns wieder? Wo sind unsere Schwerpunkte? Und unter Umständen, also ich gehe eigentlich ziemlich sicher davon aus, dass die anders sein werden als die Schwerpunkte der Bischofskonferenz, und wenn man die aktuellen Dokumente liest von letzter oder vorletzter Woche, da habe ich kaum Ansätze gesehen. Also weder im Bezug auf Gleichstellung von Frauen, noch auf Dialogbereitschaft, noch auf Aufarbeitung von Missbrauch - all diese Geschichten, die innerkirchlich ja schon gären, geschweige denn von gesellschaftspolitischen Weichenstellungen. Also von daher ist Ihre Anfrage da, glaube ich, sehr berechtigt, die ich da so heraushöre. Ich vermute fast, dass es nebenher läuft, aber für uns ist das letztlich auch der Punkt, der uns nicht interessiert. Sondern wir möchten ja gerne unsere Inhalte weiterbringen.
Westhuis: Frau Imholz, brauchen wir ein neues Konzil, ein drittes Konzil?
Imholz: Das wäre super. Ich bin sehr dafür, wir sind alle sehr dafür. Stellen Sie sich vor, ein großes Konzil, in dem all die Fragen, die wir anreißen wollen, noch mal Thema wären, allerdings dann auch mit unserer Mitsprache und mit allen Beteiligten. Es gibt auch parallel zum Weltsozialforum immer ein Welttheologenforum. Das ist im Prinzip schon so der Versuch, diese Fragen auch global und ökumenisch anzugehen und so was sozusagen im Weltmaßstab, ohne Gängelung und ohne Scheu und ohne Furcht - das könnte wirklich noch mal ein neuer Anfang sein.
Westhuis: Ein neuer Anfang mit einem neuen Konzil. Herzlichen Dank, Barbara Imholz vom Institut für Theologie und Politik in Münster.
Imholz: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.