Kunsthochschule wird wieder Gotteshaus
In der Sowjetunion wurden zahlreiche Kirchen zweckentfremdet – und auch nach der Wende nicht zurückgegeben. In der westrussischen Stadt Rjasan kann die katholische Gemeinde seit Kurzem ihr Gotteshaus wieder nutzen.
Das sind nicht die Glocken der katholischen Kirche in der westrussischen Stadt Rjasan, sondern die von der baptistischen gegenüber. Denn die katholische Kirche, in der über 80 Jahre kein Gottesdienst mehr gefeiert wurde, hat nicht einmal einen Turm.
"Aus dem Archivmaterial wissen wir, dass es einen einzelnen, freistehenden Glockenturm gab und ein Wohnhaus für den Priester", erklärt Pater Josef und sein Freund Iwan Severin ergänzt: "Wahrscheinlich haben sie ihn abgerissen, als sie den Pionierpalast gebaut haben."
Der Pionierpalast wurde auf dem Friedhof errichtet, ganz nah am alten Gotteshaus, das eher an einen Festsaal als an einen Sakralbau erinnert. Jahrelang war Pater Josef der Zutritt verwehrt, deswegen freut sich der 65-Jährige mit dem Kollarkragen immer noch jedes Mal, wenn er die Tür aufschließt. "Mach mal die Tür zu!" - Pater Josef scheut die neugierigen Blicke von der Straße. - "So, das ist also unsere Kirche. Sie haben eine zweite Etage hier im Kirchenschiff eingezogen." Er holt aus seiner Aktentasche Papiere. "Hier steht es: Im Dezember haben sie uns die Kirche überlassen, wir dürfen sie nutzen, kostenlos. Mit etwas Glück bekommen wir sie sogar als unser Eigentum zurück. Die Unterlagen dafür habe ich eingereicht."
Es ist das erste Mal seit er 1999 in Rjasan ankam, dass Pater Josef in einer Kirche arbeiten darf – bisher musste er die Messe immer in Wohnzimmern lesen. Seine neue Kirche sieht allerdings innen auch eher wie ein Wohnhaus aus. "Das ist wegen der Trennwände", sagt Pater Josef und geht durch einen Korridor voran, der genau durch die Mitte des Kirchenschiffes führt, das aber nicht zu sehen ist, denn links und rechts davon liegen abgeteilte Zimmer. "Das war mal ein großer Saal. Aber jetzt gibt es zwei Stockwerke."
Eine Toilette anstelle des Altars
Wir sind am Ende des Korridors angelangt: "Und wie sie es immer gemacht haben, verhält es sich auch hier: An dem Platz, wo der Altar stand, bauten sie eine Toilette. Das geschah mit voller Absicht. Wir warten auf die Erlaubnis für die Renovierung, denn das Gebäude gilt als Kulturdenkmal. Allein die Planung kostet fast fünf Millionen Rubel, umgerechnet 70.000 Euro. So viel Geld haben wir nicht, deswegen werden wir für den Gottesdienst nur ein Zimmer herrichten können."
Anschlüsse für Wasser und Strom sind vorhanden. 1935 hat das NKWD, der Vorläufer des sowjetischen Geheimdienstes KGB, das Kirchengebäude erst in ein Wohnheim und später in eine Filiale der Kunsthochschule umfunktioniert. Glück für die Rjasaner katholische Kirche, denn andere Gotteshäuser wurden als Lagerhallen oder gar Ställe zweckentfremdet.
"1935 verfügte das NKW, dass das Gebäude anderweitig genutzt wird, wegen des Fehlens von Katholiken, so stand es in den Unterlagen. Sie mussten es wissen, denn sie waren es, die die Gläubigen in Gefängnisse und Lager gesperrt hatten."
Wie die katholische Kirche vor dem Umbau aussah, weiß in Rjasan niemand mehr, aber Pater Josef konnte ein Petersburger Archiv ausfindig machen, das Fotos hat vom Inneren der Kirche vor der Oktoberrevolution. Ob die rund zwei Dutzend Katholiken in Rjasan je wieder den Originalzustand herstellen können, ist fraglich. Zunächst geben sie sich auch mit weniger zufrieden. "Vielleicht lassen wir diese Zwischendecke und nutzen als Kirche nur das obere Stockwerk."
Zwanzig Jahre lang kämpfte Pater Josef um die Kirche. Erst als der damalige russische Präsident Dmitri Medwedjew im Jahr 2010 das Gesetz über die Rückgabe der Kultstätten erließ, wusste Pater Josef, an wen er sich wenden konnte. Zu den Gottesdiensten lud er die kleine Gemeinde all die Jahre in seine Wohnung ein, derweil wurde die Kirche ausgeraubt.
Die Orgel wurde gestohlen, wegen des Metalls
"Hier befand sich eine wunderbare Orgel. Sie wurde nicht gespielt und schließlich hat man sie Stück für Stück gestohlen, wegen des Metalls. Es gab ja keinen, der sich zuständig fühlte. Hier sind wieder ein Korridor und mehrere Zimmer. Und diese Säulen hier, die muss man erhalten."
Iwan Severin, der evangelische Freund von Pater Josef, tritt an ein Fenster. Der Blick geht auf die andere Straßenseite zu der kleinen Kirche, genau gegenüber. "Das ist heute eine baptistische Kirche, früher war sie unsere lutherische Kirche. Aber wir bekommen sie nicht zurück, weil das Gesetz sagt: Wenn eine Kirche einer anderen Religionsgemeinschaft gehört, bleibt es dabei. Und so gehen wir leer aus."
Wie die katholische wurde auch die evangelische Kirche ab 1935 zweckentfremdet, ein Geschäft für Imkerei-Produkte zog in den Bau aus dem 19. Jahrhundert ein. Die Gottesdienste wurden heimlich gefeiert. "Die Sowjetunion war gar nicht so atheistisch, wie es die Kommunisten verlangte", sagt Pater Josef, der aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammt. Sein Freund wendet ein, dass sich nur wenige Gläubige zu ihrer Religion bekannten, bis auf eine Ausnahme: während des Zweiten Weltkrieges. Da gab es eine richtige Welle.
Pater Josef studierte damals noch als Josef Guntschaga Medizin in Bratislava. Nach seinem Abschluss wechselte er in ein Priesterseminar. Seine Ordination fand in einer slowakischen Untergrundkirche in einer Privatwohnung statt. "Ich fühlte, dass mich ein Leben, bei dem die Familie an erster Stelle stehen würde, nicht ausfüllen und ich nicht die Freiheit haben würde, das zu tun, was ich jetzt mache."
"Die Menschen empfinden die Katholiken als Fremde"
Noch in der Breschnew-Zeit half der junge Priester, Bibeln und theologische Literatur in die Sowjetunion zu schmuggeln. Schon während seines ersten Aufenthalts stand für ihn fest, dass er in dem Land bleiben wollte. "Logisch war das nicht, denn in der Tschechoslowakei liebte man die Russen aus Prinzip nicht, sie galten als Okkupanten, auch wenn sie als Befreier gekommen waren. Aber sie haben ein Terrorregime errichtet und viele von uns ins Gefängnis geworfen. Doch als ich in Moskau sah, dass die Gläubigen hier um ein vielfaches mehr litten als wir, war alle Abneigung verflogen. Ich verstand, dass man helfen musste. Das sind unsere Leute, gläubige Menschen."
Auch nach mehr als 30 Jahren verrät sein Akzent, dass Pater Josef kein gebürtiger Russe ist. Manchmal lassen ihn die Menschen in Rjasan das spüren, denn das Nebeneinander der Konfessionen ist noch immer nicht frei von Konflikten. "Das hängt weniger von der Regierung als vielmehr von der allgemeinen Stimmung ab. Wir werden gefragt, warum wir hergekommen sind, da es angeblich nur russisch-orthodoxe Gläubige im Land gäbe, keine Katholiken." Iwan Severin nickt: "Die Menschen empfinden die Katholiken als Fremde, die man nicht bräuchte."
In einem Jahr sollen die neuen Fenster eingesetzt sein, damit das Gebäude auch wieder aussieht wie eine Kirche. Die Katholiken hoffen auf die Unterstützung ihrer Partnergemeinde in Münster, denn vom Gesangbuch bis zur Kirchenbank benötigen sie alles.