"Es geht uns nicht darum, dass die Diakonie Sterbehilfeeinrichtung wird"
09:12 Minuten
Während der Rat der EKD bei seiner ablehnenden Haltung bleibt, plädieren andere in der evangelischen Kirche dafür, in diakonischen Einrichtungen in Ausnahmefällen assistierte Suizide zuzulassen. Darunter Isolde Karle, Theologin aus Bochum.
Sterbehilfe – für die beiden großen Kirchen in Deutschland war das lange Zeit ein absolutes Tabu. Daran rührte kürzlich ein Gastbeitrag in der FAZ. Geschrieben wurde er von drei evangelischen Theologen: Reiner Anselm, Vorsitzender der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung, Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sowie Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Bochumer Ruhr-Universität. Darin plädieren die Autoren dafür, in Ausnahmefällen auch in diakonischen Einrichtungen assistierte Suizide zuzulassen.
Der Widerspruch der EKD-Spitze kam prompt. Martin Dutzmann etwa, Bevollmächtigter des Rates beim Bund, sagt: "Es kann nicht sein, dass wir in diakonischen Einrichtungen, in kirchlichen Einrichtungen, Menschen zum Tode verhelfen. Sondern unsere Aufgabe ist es zu begleiten und vor allen Dingen, alles zu tun, damit aus der schrecklichen Ausnahme, dass ein Mensch seinem Leben ein Ende setzt, nicht die Regel wird."
Die Betroffenen nicht im Stich lassen
Hintergrund dieser Befürchtung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr, das in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung aus dem Recht auf Selbstbestimmung auch ein Recht auf Hilfe bei der Selbsttötung ableitete.
Nach diesem Urteil könnten eben auch Menschen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern der Diakonie den Wunsch äußern, ihr Leben zu beenden, argumentiert Isolde Karle. Wie solle die Diakonie dann damit umgehen? Das sei ihr Anliegen und das ihrer Mitautoren gewesen und nicht, dass die Kirche jetzt Suizide ermöglichen soll:
"Es geht uns nicht darum, dass die Diakonie das in ihr Portfolio aufnimmt im Sinne einer Werbung: Wir sind jetzt gleichzeitig auch noch Sterbehilfeorganisation. Auf keinen Fall! Doch dadurch ist es eben möglich, jemanden ganz offen zu begleiten und den dann nicht im Zweifelsfall zu entlassen und zu sagen: Jetzt musst du selber sehen, wie du weiterkommst."
"Selbstbestimmung ist immer relativ"
Vielmehr solle das Vertrauen da sein, damit Betroffene diesen Wunsch äußern könnten, ohne diskreditiert zu werden. Sodass letztlich jemand so begleitet werden solle, "dass er nach Möglichkeit den assistierten Suizid nicht in Anspruch nimmt, sondern noch einmal darüber nachdenkt", betont Karle. "Wir wollen wirklich, dass der Betroffene hier an Raum gewinnt, dass sein Leiden ernst genommen wird. Und auf dieser Basis wollen wir - genau, wie Herr Dutzmann das gesagt hat -, dass ein assistierter Suizid nur die absolute Ausnahme sein kann."
Auch weist die Theologin darauf hin, dass sie das Verständnis von Selbstbestimmung des Verfassungsgerichtsurteils nicht teile - genauso wie die Kirchenführung. Sondern man sehe Selbstbestimmung aus christlicher Perspektive selbstverständlich im Kontext von Beziehungen: "von Beziehungen zu unseren Mitmenschen und natürlich auch in der Beziehung zu Gott. Selbstbestimmung ist immer relativ, sie kann nie Autarkie bedeuten."
(uko)