Gesprächsteilnehmende:
Prof. Dr. Johann Hinrich Claussen (Kulturbeauftragter der EKD)
Prof. Dr. Maureen Maisha Auma (Hochschule Magdeburg-Stendal)
Ravinder Salooja (Direktor Leipziger Missionswerk)
Mark Terkessidis (Sachbuchautor und Journalist)
Moderation: Hans-Dieter Heimendahl (Deutschlandfunk Kultur)
Von oben herab
53:52 Minuten
Kirchen und Missionsbewegungen sind eng mit der westlichen Expansion verbunden. Heute versuchen sie, sich diesem Erbe zu stellen. Wie stark war ihr Anteil am historischen Unrecht? Und wie können die Wunden der Kolonialisierung geheilt werden?
Es ist ein Fakt, der lange verdrängt wurde: Kirchen und Missionare haben koloniale Strukturen für ihre Interessen genutzt. Doch seit die deutsche Kolonialgeschichte in den Fokus gerückt ist, setzen auch sie sich verstärkt mit ihrer historischen Schuld auseinander.
Auch Missionare konnten Eroberer sein
Die historische Missionsarbeit fußte auf der christlichen Überlegenheitsdoktrin und auf Komplizenschaft mit den Kolonialherren. Missionare sind nicht militärisch gegen die Bevölkerung in den Kolonien vorgegangen, aber, sagt Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerks, auch sie waren Eroberer:
"Sie haben geistliche Territorien erobert, um Menschen in ihren Raum hineinzuholen, deren Weltsicht sie überhaupt nicht akzeptiert haben. Und insofern muss man schon sagen, dass wir Teil des kolonialen Projekts waren."
Mit der Bibel in der Hand
Das Missionarstum war keine amtskirchliche Aktivität, sondern ging von freien christlichen Vereinen aus. Den Missionaren ging es dabei in erster Linie um die Verbreitung ihrer "guten Botschaft", aber zu ihren Anliegen gehörte auch – mit der Bibel in der Hand – die Verbesserung des Bildungsniveaus. Ein Ziel, das immer wieder als ‘positiver‘ Effekt der Missionierung genannt wird. Doch die exportierten Bildungswerte seien nur imperiale Unterwerfungsmuster gewesen, sagt Maureen Maisha Auma:
"Was haben sie gelesen? Die Bibel. Als Modell für Familie, für Leben und für Arbeit – auf Kosten von anderen Optionen."
Mark Terkessidis bezweifelt zudem, dass die "Zivilisierungsmissionen" rein idealistische Beweggründe hatten:
"Es gab damals in der Bevölkerung eine ganz erhebliche Kolonialbegeisterung, die die Missionsgesellschaften ausnutzen wollten. Sie waren ja auf Spenden angewiesen und man wusste genau, wenn man jetzt in die Kolonien geht, kann man das Spendenaufkommen erhöhen. Also, ganz so uneigennützig war dieses Engagement nicht."
Die Mission heute sollte nicht von oben herab agieren
Natürlich agieren Missionsgesellschaften im 21. anders als im 19. Jahrhundert. Sie verstehen sich mittlerweile als interkulturelle Netzwerke und arbeiten mit Partnerkirchen rund um den Globus zusammen. Die zentrale Frage, sagt Ravinder Salooja, laute nun:
"Wie können wir das machen, ohne dem anderen imperial und von oben herab zu begegnen? Das ist, glaube ich, unsere Herausforderung."
Das historische Unrecht ließe sich nicht ungeschehen machen, auch deshalb sei "Mission heute" eine schwierige Aufgabe.
Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragte der EKD, sieht das Problem in tieferen Schichten:
"Auch, wenn wir in den evangelischen Missionsgesellschaften jetzt schon 50 Jahre versuchen, postkolonial zu denken, kommen wir aus bestimmten Gefälle-Situation nicht heraus. Und das lässt mich fragen, wie weit diese Ambivalenzen uns heute eigentlich noch bestimmen."
Platz für die koloniale Wunde schaffen
Koloniale Denkmuster sind in vielen Missionsgesellschaften nach wie vor verbreitet. Missionstätigkeit, betrachtet aus schwarzer Perspektive, sagt Maureen Maisha Auma, sei "White Charity". So wie die Plakatwerbung einer christlichen Blindenmission, die sie alle Jahre wieder sehe:
"‘Spenden Sie Licht!‘ – dazu ein schwarzer Mann mit Augenschlitzen, die andeuten, dass da eine Münze eingeworfen werden kann. Das ist Mission heute! Und deswegen haben Leute nicht so viel Lust auf Mission."
Im Prozess von "truth and reconciliation", dem Prozess der Aussöhnung, sei es enorm wichtig, dass sich die Akteure von einst zu ihren Taten bekennen:
"Endlich auszusprechen: ‘Was hab‘ ich gemacht? Und was war die Wirkung davon?‘ Ich denke, dass viel gewonnen ist, wenn Platz für die koloniale Wunde, die unter Mitwirkung von Missionsgesellschaften und der Kirche verursacht wurde, wenn Platz dafür geschaffen wird."
(tif)