Wenn der Himmel helfen muss
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Sportliche Wettkämpfe und sportliche Großereignisse sind oft verbunden mit großen Belastungen für die Wettkämpfer. Seit Jahren helfen hier Seelsorger der Kirche. Sie begleiten die Teams und Einzelkämpfer intensiv. Und dabei geht es nicht nicht nur ums Zuhören.
"In Verbindung mit der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland beauftragen wir Sie mit der seelsorgerlichen Betreuung der deutschen evangelischen Christen, die zu den Olympischen Spielen nach Helsinki reisen." Am 5. Mai 1952 erhält der Theologe Karl Zeiss den Auftrag, die bundesdeutsche Olympia-Mannschaft nach Finnland zu begleiten.
"Eröffnung der 15. Olympischen Sommerspiele, es regnete in Strömen, als die Sportjugend der Welt in das Stadion von Helsinki einzog."
Es sind die ersten Spiele für deutsche Sportler nach dem Krieg. Und auch für Karl Zeiss ist es Premiere. Der evangelische Theologe gilt als Pionier der Sportseelsorge in Deutschland. Einer seiner Nachfolger ist Thomas Weber. Er ist Sportseelsorger der evangelischen Landeskirche in Westfalen: "Sportseelsorge ist ja gewachsen - gerade in der Zeit nach dem Kriege, als so die Strukturen in der Bundesrepublik wieder angefangen haben. Und unter Seelsorge verstehe ich die Begleitung von Menschen, sowohl was den Glauben anbetrifft, aber auch was das Leben anbetrifft."
Hauptberuflich die Gemeinde und nebenbei die Sportler?
Der 61-jährige Weber ist Gemeindepfarrer in Gevelsberg und begleitet gewissermaßen nebenher seit 2006 deutsche Spitzenathleten zu internationalen Sportgroßveranstaltungen. Bei Olympia, so will es das IOC, gibt es stets ein religiöses Zentrum mit entsprechenden Räumen für die fünf großen Weltreligionen Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und Judentum.
In München 1972 erfüllt ein ökumenisches Kirchenzentrum im Olympischen Dorf diese Aufgabe. Während der Spiele finden dort internationale Gottesdienste in 14 Sprachen statt. Seither gehören zur deutschen Olympiamannschaft auch immer katholische und evangelische Sportseelsorgende.
Die Olympiapfarrerinnen und -pfarrer begleiten die deutschen Teams zu olympischen Spielen, den Paralympics und zu den Universiaden, den Weltsportspielen der Studierenden. Sie werden wie die Olympioniken mit Sportkleidung ausgestattet und sind rein äußerlich nicht als Kirchenleute erkennbar.
Als eine Art Visitenkarte stellen die beide Kirchen zu den Olympischen Spielen und Paralympics eine kleine Broschüre zusammen. Mit geistlichen Texten, Gebeten und mit Gedanken zum Sport und zum Leben. "Mittendrin" heißt das Heft.
Während die Sportseelsorger bei Universiaden zusammen mit den Athleten untergebracht werden, müssen sie bei Olympia außerhalb des Athletendorfes wohnen und sich auch selbst um eine Unterbringung kümmern. Meist werden sie in evangelischen oder katholischen Gemeinden vor Ort beherbergt.
Der Seelsorger muss Zeit haben
"Wenn Sie den Ablauf des olympischen Betriebs in der Realität erleben, gehören wir als Seelsorger zu den wenigen, die Zeit haben."
Der ehemalige katholische Sportseelsorger Hans-Gerd Schütt war bei fünf Olympischen Spielen und Paralympics dabei, im Sommer wie im Winter, von Athen 2004 bis London 2012.
Viel Zeit mitzubringen und offene Ohren zu haben für Gespräche über "Gott und die Welt" im wahrsten Sinne des Wortes - das ist eine Grundvoraussetzung für die Seelsorgenden. Sie sind für alle da, für Sportlerinnen und Sportler, deren Familien, Freunde und Bekannte, aber auch für Ärztinnen, Physiotherapeuten, Trainer, Trainerinnen und Funktionäre.
Viel Zeit mitzubringen und offene Ohren zu haben für Gespräche über "Gott und die Welt" im wahrsten Sinne des Wortes - das ist eine Grundvoraussetzung für die Seelsorgenden. Sie sind für alle da, für Sportlerinnen und Sportler, deren Familien, Freunde und Bekannte, aber auch für Ärztinnen, Physiotherapeuten, Trainer, Trainerinnen und Funktionäre.
Das große Plus der Seelsorger
Ganz wichtig ist, dass die Gespräche vertraulich und diskret behandelt werden und niemandem aufgrund seiner Offenheit Nachteile entstehen. "Mir sagen viele, wie schön es ist, mit jemandem sprechen zu können, von dem man genau weiß, dass er das, was ich ihm jetzt erzähle, auch für sich behält. 'Wie oft müssen wir erleben, wenn wir etwas von uns weitergeben, dass das in die Öffentlichkeit getragen wird.' Und das ist eben auch so ein großes Plus, das wir als Seelsorger mitbringen", sagt Thomas Weber.
Die Begegnungen finden überall statt: unterwegs im Bus, auf der Tribüne, im Café, in der Kantine oder im Deutschen Haus. Es gibt den Smalltalk auf dem Flur genauso wie das tiefgründige Vier-Augen-Gespräch. Dabei geht es meist um Lebensfragen, Karriereplanung, Partnerschaft und Familienthemen.
"Wo plötzlich Gesprächspartner zu mir sagen: 'Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben, das war für uns als Familie 'ne richtige Katastrophe.' Oder aber die Mutter einer Athletin sagt: 'Mein Mann, dem geht es nicht gut, der ist schwer erkrankt.' So ergeben sich Kontakte, weil eben die Menschen den Eindruck haben: Pfarrer - ja, der weiß schon, wie’s im Leben zugeht, und der weiß auch, wie es hinter den Fassaden unserer Lebensgeschichten aussieht."
Oft geht es um Beziehungsfragen
Insbesondere für die Älteren im Olympiabetrieb, Sportliche Leiter, Trainerinnen und Trainer etwa, so erlebt es der Siegerländer Thomas Weber immer wieder, spielen Beziehungsfragen eine große Rolle: "Ständig unterwegs zu sein, da gehen Partnerschaften in die Brüche, da gibt es Streit, da liegt man mit dem Ex-Partner, mit der Ex-Partnerin über das Sorgerecht der Kinder im Clinch, das Thema Familie und Partnerschaft, Kinder, ist schon für die Gestandeneren ein ganz wichtiges Thema."
Neben den vielen Gesprächen bieten die Geistlichen natürlich auch Gottesdienste und kleine Andachten an. Die Angebote richten sich an alle, ob gläubig oder nicht, und egal welcher Glaubensrichtung. Thomas Weber erinnert sich an eine solche Andacht: "Wir nennen das Auszeiten im hektischen Trubel auch des Großevents, und da ist tatsächlich schon passiert, dass da eine Athletin saß, und dann hab ich gesagt: 'Ich freu mich, dass du heute Abend hier bist. Wie kommt das denn?' Dann hat sie gesagt: 'Ja, ich hab morgen meinen Wettkampf und ich bin, ehrlich gesagt, schon nervös und da hab ich gedacht: Dann hör ich gerne mal 'ne Viertelstunde mal was anderes, und dann hoffe ich, dass ich gleich mit guten Gedanken ins Bett gehe und morgen 'ne gute Leistung abliefere.' Und das freut mich natürlich schon. Also das sind so wirklich Begegnungen, wo man denkt: Ja, als Exot begleite ich die Olympiamannschaft, aber es gibt auch viele, die das zu schätzen wissen.'"
Sieggebete und noch eine Beichte? - Blödsinn!
Zu den Andachten und Gottesdiensten kommen zwischen fünf und zwanzig Menschen. Das Gebet für einen Sieg oder noch schnell die Beichte, bevor es los geht - das sei Blödsinn, sagt der rheinländische Katholik Hans Gerd Schütt. Es gehe tatsächlich vor allem um Lebensfragen.
"Wenn Karrieren zerbrochen sind, Hoffnungen in die Brüche gegangen sind - dass man da einfach da ist. Und natürlich auch, wenn was passiert. Oder zum Beispiel zu Hause, ein Unglücksfall, dann ist man ähnlich wie die Feuerwehr: Hoffentlich brauchen wir sie nicht, aber wenn doch, ist es gut, dass sie da sind."
Wirkliche Notfallseelsorge ist hin und wieder auch gefragt. Während der Universiade in Bangkok 2007 muss der evangelische Olympiapfarrer Thomas Weber einem jungen Sportler und seiner Schwägerin Beistand leisten. Der Vater des Athleten war in Deutschland gestorben. Und bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 stirbt der Trainer der Slalomkanuten bei einem Autounfall. Ein erschütterndes Erlebnis.
"Dann lag natürlich auch plötzlich so eine Unsicherheit über der ganzen Mannschaft, da gab's natürlich Gesprächsbedarf, wurde an die Familie des Verstorbenen gedacht, die nach Brasilien kam, um Abschied zu nehmen, dann fand ja auch 'ne Trauerfeier statt im olympischen Dorf, und dann denke ich: Wie gut ist es dann, einfach auch Seelsorger zu haben, die mit dem Thema Tod und Sterben, ja, sich auch jeden Tag beschäftigen müssen."
Unterstützung in Enttäuschungssituationen
Seelsorgerliche Unterstützung brauchte auch die ehemalige Spitzenruderin Katrin Reinert. Heute ist sie verheiratet und heißt Meinike. Vor allem im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 in London: Sie ist völlig am Boden zerstört, als sie erfährt, dass sie nicht zum deutschen Achter gehört.
"Da hatte ich auch sehr starke, ja, Glaubenszweifel und auch Zweifel am Sport, ob das das Richtige ist, und wo ich für mich auch irgendwann an einem Punkt war, gesagt hab': 'Nee, tu dir das nicht an!' Und dann war's tatsächlich die Sportmentorin, die mich da wieder zurückgebracht hat, und die so die entscheidenden Fragen gestellt hat auch. Und, ja, wo ich dann gemerkt hab: Okay, tief in mir steckt immer noch eine Begeisterung für den Sport. Ich glaub nicht, dass ich das alles geschafft hätte, ja, auch durch die Krisenzeiten durchgekommen wäre, ja, wenn ich da nicht jemanden an der Seite gehabt hätte."
Katrin Meinike ist ein gläubiger Mensch. Sie hat als Hochleistungsathletin über die christliche Organisation "Sportler ruft Sportler", SRS, schon frühzeitig und kontinuierlich Unterstützung durch eine Sportseelsorgerin oder Mentorin erfahren.
Begleitung der Sportler nicht nur beim Sport
Der gemeinnützige Verein ist evangelisch-reformatorisch geprägt und international vernetzt. SRS ist eindeutig missionarisch ausgerichtet und möchte Sportlerinnen und Sportlern den christlichen Glauben nahebringen, ohne aber jemandem etwas aufzuzwingen, betont SRS-Leiter Hans Günter Schmidts.
"In dem Respekt, dass jeder natürlich die Freiheit hat, zu sagen: 'Da will ich was drüber hören oder nicht - in dem Respekt, dass jedem Einzelnen individuell anzubieten, egal welcher Herkunft er ist, welcher Religion er vielleicht zugehört. Es ist auch nicht Voraussetzung, dass einer den Weg dann mit uns geht, sondern wir begleiten einen Sportler oder eine Sportlerin so lange, wie er das möchte. Und wenn er den Schritt in den christlichen Glauben hinein tun möchte, dann helfen wir ihm dabei, und ansonsten stehen wir ihm genauso zur Verfügung, bis er vielleicht sagt: 'Du ich hab keine Lust mehr, lass uns mal getrennte Wege gehen.' Das passiert ja auch schon mal. Aber ansonsten ist das von uns frei von irgendwelchen Vorbedingungen."
"Sportler ruft Sportler" ist in mehr als 30 Sportarten aktiv und hat 70 haupt- und über 700 ehrenamtliche Mitarbeiter, darunter zehn angestellte Sportmentorinnen. Die sind jedoch nicht Teil des DOSB-Teams.
Das besondere Seelsorge-Modell
SRS bietet ein privates, auf Spendenbasis finanziertes Seelsorge-Modell, das jedem Sportler und jeder Sportlerin offensteht. "Kostenlos", erklärt die ehemalige Juniorinnen-Weltmeisterin im "Zweier ohne" Katrin Meinicke:
"'Sportler ruft Sportler' macht das Angebot, dass Sportseelsorge kostenlos ist. Klar, 'Sportler ruft Sportler' ist auf Spenden angewiesen, aber es ist einfach echt ein ganz großes Anliegen, dass das Angebot erstmal für alle da ist, und die Kosten keine Rolle spielen."
Im Hochleistungssport ist der Druck hoch. Immer und überall stehen die Athletinnen und Athleten unter Beobachtung: von Seiten des Trainers und der Trainingskolleginnen, die ja teilweise Konkurrentinnen sind, aber auch von Funktionären und Sponsoren. Vermeintliche Schwäche zu zeigen, ist da tabu:
"Man will immer der Starke sein, der motiviert ist, der zielstrebig ist, der gut drauf ist, aber das ist man nicht immer. Also selbst der beste motivierteste Leistungssportler hat einfach auch Phasen, wo man einfach wirklich mal überhaupt keinen Bock hat, wo alles doof läuft, und da ist es einfach superwertvoll, da jemanden zu haben, wo man auch einfach mal die Schwächen zeigen kann, und, ja, sich ausheulen kann und einfach jemanden hat zum Reden."
Keine Sonderbehandlung für Leistungssportler
Viele Athletinnen und Athleten wissen jedoch gar nicht, dass es Sportseelsorgende gibt, die jederzeit angesprochen werden können. Hier, so Katrin Meinike, gebe es noch großen Handlungsbedarf.
"Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass das einfach präsenter ist und mehr bekannt gemacht wird, dass es auch selbstverständlich ist, dass es soetwas gibt, und dass es auch selbstverständlich ist, auch soetwas in Anspruch zu nehmen. Also Sportseelsorge ist definitiv für alle Sportler, ob Leistungssportler, Breitensportler, ob jung oder alt, ob Trainer oder Sportler, ob Christ, Muslim, Jude, was auch immer, echt, ja, wichtig und sollte auf jeden Fall definitiv noch verstärkt werden."
"Sarah Poewe schwimmt ein beherztes Rennen, dritte Bahn von oben, Sarah Poewe jetzt auf Bahn drei, Bronze für Deutschland…"
Olympische Sommerspiele 2004 in Athen. Die gebürtige Südafrikanerin erringt mit der viermal 100 Meter Lagenstaffel einen ihrer größten internationalen Erfolge. Die Jüdin schwimmt seit 2002 für Deutschland. Sportseelsorge ist ihr bis heute unbekannt:
"Leider kenn ich es gar nicht, ich habe nie davon gehört. Also ich hatte einen Psychologen, der mich lange betreut hat, und das hat mir natürlich sehr, sehr geholfen. Für mich hat Sport nichts mit Religion zu tun, sondern mehr im Psychologischen Bereich, wie man vielleicht an dem Wettkampftag sich vorbereitet, wie man Niederlagen oder wie man Angst verarbeiten kann."
Nicht nur christliche Seelsorge
Religiöse Dinge sind für die heutige Nachwuchsschwimmtrainerin Privatsache, niemand in ihrem Umkreis spreche darüber.
"Beim Sport, wenn wir alle zusammen sind in der Mannschaft, ich habe noch nie das Thema Glauben mit denen besprochen, ich meine, ich war lange in der Nationalmannschaft, in Südafrika war es ein bisschen mehr ein Thema, das auf alle Fälle, aber in Deutschland, als ich mit der Nationalmannschaft unterwegs war, war das nie ein Gesprächsthema."
Ein vergleichbares institutionalisiertes Sportseelsorge-Modell mit Olympiapfarrerinnen, wie es christliche Kirchen und Organisationen praktizieren, gibt es im jüdischen Sportverband Makkabi Deutschland nicht. Und bei den muslimischen Verbänden wird in den letzten Jahren zwar die Notwendigkeit von Seelsorge mehr und mehr diskutiert, und es gibt auch einzelne Beispiele sportlicher Lebenshilfe, aber eine feste Verankerung ist auch hier nicht vorhanden.
"Noch 25 Tage bis zur Eröffnungsfeier der Paralympics in Rio. Ich bin mit großer Vorfreude und Gänsehaut auf dem Weg nach Rio. Ich freu mich, und wir freuen uns alle." - Der heute 61jährige Hans-Peter Durst ist Dreirad-Rennfahrer. Nach einer paralympischen Silbermedaille in London 2012 gewinnt er vier Jahre später in Rio zwei Goldmedaillen. Im Alter von 36 Jahren hatte ein schwerer Autounfall das ganze Leben verändert. Die Folgen: starke Gleichgewichtsstörungen, verlangsamtes Reaktionsvermögen, eingeschränkte Koordination. Zudem unvollständiges Sehfeld nach links auf beiden Augen und Bewegungseinschränkungen am rechten Bein. Ohne Hilfsmittel kann der ehemalige Brauerei-Chef nicht mehr gehen. Ein Arzt empfiehlt ein Dreirad, und nach den ersten schamvollen Versuchen radelt sich der Ehemann und Vater von zwei Kindern zurück ins Leben und an die Weltspitze der Paracycler. Dabei lernt der gläubige Protestant auch Sportseelsorge kennen und schätzen:
"Ich durfte sehr früh schon den Kontakt haben zum Seelsorger für die Paralympics, damals in London, Christian Bode, ein wunderbarer Pfarrer, ein wunderbarer Mensch, und von daher war das immer schon ein Bestandteil auch meines Sports natürlich."
Insbesondere vor dem Paralympics-Wettkampf 2012 in London ist der eigene Erwartungsdruck immens hoch. 16 Tage vorher fährt ihn ein betrunkener Radfahrer um. Die Folge: zwei Armbrüche und ein Daumenabriss. Aber der überaus ehrgeizige und zähe Sportsmann tut alles, um zu seinen ersten Paralympics zu kommen, und erhält schließlich die Zustimmung von Trainer und Medizinerin. Seelsorger Christian Bode ist gefragt, denn der eigene Erwartungsdruck und der von außen lösen Angst aus:
"Ich bin jetzt hier im Vertrauen dahin geschickt worden, und jeder erwartet jetzt was von mir. Ich war Weltjahresbester zu der Zeit. Was ist, wenn ich jetzt nicht funktioniere. Diese Angst hat er mir auch ganz toll genommen, und er hat gesagt: 'Wenn du hier nicht funktionierst, dann weiß jeder das, und da brauchst du auch überhaupt keine Sorge haben. Dann bist du trotzdem in guten Händen und du bleibst der Mensch Hans Peter Durst, der du auch vorher warst.' Das war ganz wichtig. Bedarf ist einfach da an Seelsorge, Bedarf ist da an Gesprächsbereitschaft, Bedarf ist eben da an Begleitung, und das ist gar keine Frage."
Hans Peter Durst verzichtet auf die Teilnahme an den Paralympics in Tokio. Aus Respekt vor dem japanischen Volk, und weil er es nicht mit seinen christlichen Werten vereinbaren kann.
Seelsorge ohne den Gedanken an Erfolg
"Und dann kommt der Wurf, und dann kommt die Wurftechnik, und dann ist es Bronze, großartige Leistung und herzlichen Glückwunsch an Laura Vargas Koch zu dieser Bronzemedaille."
Die Judoka Laura Vargas Koch gewinnt bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio im Mittelgewicht bis 70 Kilogramm Bronze.
"Also ich denk schon, dass es super wichtig ist, schon alleine, wenn man überlegt, wie viele Sportler ich persönlich kenne, oder die Geschichten von denen kenne, die sich selber das Leben genommen haben."
Schon ganz früh in ihrer sportlichen Karriere hatte Laura Vargas den Freitod von bekannten Judoka erleben müssen. Bis heute erfährt sie immer wieder von solchen Schicksalen.
"Also ich glaub, durch den Sport kommt man oft in Extremsituationen, und da kann ich mir sehr, sehr gut vorstellen, dass es eben wichtig und gut ist, Ansprechpartner außerhalb des Systems zu haben, denen es nicht wichtig ist, wie erfolgreich man ist. Und da ich ja jetzt persönlich nicht christlich bin, ist es für mich halt die Frage, also für mich müsste das nicht an die Kirche angegliedert sein."
Psychologische Betreuung vor allem zur Optimierung
Die promovierte Mathematikerin beendet nach einem zweiten Kreuzbandriss 2019 ihre erfolgreiche Spitzensportkarriere, was ihr überhaupt nicht leichtfällt. Aber mit Unterstützung einer Psychologin und eines tollen privaten Umfeldes meistert die 31Jährige die schwierige Situation.
Es müsse jedoch nicht immer eine psychologische Betreuung sein, zumal die Sportpsychologen als Teil des Hochleistungssportsystems oftmals vor allem die Leistungsoptimierung im Blick haben müssen. Wichtig beim Hilfsangebot sei, "dass es niederschwellig ist, dass es irgendwie jemand ist, mit dem man vielleicht schon in anderem Zusammenhang mal Berührungspunkte hatte oder so, dass man einfach mal hingehen kann oder einfach mal schreiben oder anrufen kann, und das nicht so eine große Überwindung ist, Hilfe zu suchen zu jemandem, einem komplett Fremden. Also das ist so die Erfahrung, die ich persönlich immer gemacht hab."
Die Sportlerinnen-Vertretung "Athleten Deutschland e.V." hält es für sinnvoll, über die Olympiastützpunkte Seelsorgende-Sprechstunden anzubieten.
Zu Olympia gehört auch die Olympiapfarrerin
"Die Fragestellung zum Beispiel für größere Wettkämpfe wie WMs, EMs oder Olympia sind natürlich an das Ziel gebunden. Es geht darum, dass der irgendwie auf einen vorderen Platz will. Und es geht um die feinen Stellschrauben, besonders im Spitzensport, und natürlich im Bereich Olympia geht's immer darum, dass man nochmal das Letzte rausholt, damit man gegenüber dem Konkurrenten einen minikleinen Vorteil oder auch einen großen Vorteil." Die Sportpsychologin Grit Moschke arbeitet unter anderem für den Olympiastützpunkt Rheinland und betreut auch den Paracycler Hans-Peter Durst. Sie sieht durchaus das Potential von Seelsorge im Spitzensport.
So sind Olympiapfarrer und -pfarrerinnen an kein sportliches Ziel gebunden. Sie stehen außerhalb des Systems Leistungssport, haben keine Medaillenvorgaben, und ihre Arbeit unterliegt keiner Bewertung. Besonders bei internen Problemen, etwa zwischen Athletinnen und Trainerinnen, Funktionärinnen oder Teamkolleginnen, kann ein unvoreingenommener Ansprechpartner sehr hilfreich sein.
"Wenn man sagt: 'Da ist irgendwas vorgefallen, ich möchte gar nicht hier in dem System darüber sprechen, sonst werde ich dann auch nicht zu Olympia mitgenommen.' - Ja, das kann ja auch eine Gefahr bedeuten. Das ist ja immer die Frage: Hält derjenige seine Schweigepflicht ein, bleibt das Vertrauen zwischen den beiden, und über welche Kanäle fließt es wohin. Wenn man dann da so eine neutrale Stelle hat, ist das sicher von Vorteil."
Wertschätzung anders erleben
Der Leiter von "Sportler ruft Sportler", Hans Günter Schmidts, macht auf die Ergebnisorientiertheit unserer Gesellschaft und insbesondere des Hochleistungssports aufmerksam. Nicht die Leistung, sondern das Ergebnis bestimme fast immer die Wertschätzung eines Menschen. Häufig wird selbst ein zweiter Platz bei einer WM oder eine Silbermedaille bei Olympia in persönlicher Bestleistung als Niederlage oder Versagen bezeichnet:
"Und ich finde: Da machen wir viele Fehler im gesamten Sport. Und ich nehme mich als Zuschauer da mit rein, weil: Ich werte ja auch so, ja! Und von daher glaub ich: Da könnten wir viel zu beitragen, dass ein Athlet diese Wertschätzung anders erlebt."
Der evangelische Olympiapfarrer Thomas Weber ergänzt: "Da sind junge Leute dann in einem System unterwegs, sie opfern die schönsten Jahre ihres Lebens, und wenn sie nicht Erster werden, dann gelten sie als Verlierer. - Das macht doch auch was mit der Psyche von jungen Leuten."
"Aus den Erfahrungen von der Universiade in 2019 ist mir nochmal ganz klar geworden, dass es wichtig ist, nicht nur auf die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler zu schauen, sondern den ganzen Menschen in den Blick zu nehmen, und die Seelsorgerinnen bieten einfach da die Möglichkeit zu einem vertrauensvollen Gespräch."
Homeoffice für die Seelsorgerin
Elisabeth Keilmann ist seit 2018 katholische Sportseelsorgerin. Die erste Frau bei den Katholiken. Der Priestermangel machte es möglich, denn die Bischöfe weigerten sich, Pfarrer für diese Aufgabe abzustellen. Die Pastoralreferentin muss aber weiter auf ihre erste Reise zu Olympia warten.
Bei den verschobenen Spielen in Tokio ist für die Sportseelsorgenden "Homeoffice" angesagt. Erstmals werden sie nicht das deutsche Team begleiten. Die Olympiapfarrerinnen und -pfarrer müssen Konzepte entwickeln zur digitalen Betreuung: "Wir planen auch einen Videochat in Eins-zu-eins-Begleitung, und dann auch Angebote von Gottesdienstformaten am Morgen oder am Abend. Wir sind immer ansprechbar, das ist wichtig, jetzt nur nicht präsent, sondern halt digital. Aber ich denke, dass das eine Möglichkeit ist, um risikofrei für die Sportler dann auch dort zur Verfügung zu stehen."