Vogelschutz im Kirchturm
Zu diesem Kirchturm haben Vögel wie die Dohle noch Zugang – die allermeisten aber sind inzwischen vergittert. Manche Kirchen helfen dafür mit eigenen Brutkästen aus. © picture alliance / blickwinkel / R. Sturm
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08:42 Minuten
Seit den 1970er-Jahren haben viele Gemeinden die Schalllöcher in Kirchtürmen vergittert – um Tauben abzuhalten. Doch damit verlieren auch seltene Greifvögel ihre Nistplätze. Ein Projekt des NABU will das ändern.
Wir stehen vor der Distelrather Kapelle am Stadtrand der rheinischen Stadt Düren. Den offiziellen Namen aber benutzt eigentlich niemand. Jeder kennt sie im rheinischen Dialekt eigentlich nur als „Uhledömche“, Eulendömchen, denn die habe es hier eben schon immer gegeben, meint Heinz Schäfer, der die Kirche seit über 40 Jahren als Küster betreut: „Ich kenne das gar nicht anders. Die Eulen waren auch hier im Schiff drin. Schleiereulen, Käuzchen, alles war hier drin.“
Kaum noch natürliche Nistplätze für Eulen
Heute hat Heinz Schäfer sich an der Kirche mit Herrn Bergrath verabredet, der sich hier in der Region für den Naturschutzbund Deutschland, kurz NABU, um Eulen kümmert. Denn natürliche Nistplätze, die früher von Eulen genutzt wurden, gebe es kaum noch, meint Bergrath.
„Früher gab es ja noch genügend alte Bäume mit Hohlräumen, mit Astlöchern. Früher haben die Eulen darin gebrütet, aber heute wird ja alles abgeholzt. Man sieht ja nirgendwo mehr einen riesengroßen Baum, wo Löcher drin sind, das wird ja alles weggemacht. Deshalb ist die Eule ja den Menschen gefolgt in die Stallungen. Und die Kirchtürme sind natürlich entsprechend optimal für diese Tiere, weil die hoch gelegen sind.“
30 Brutkästen auf Kirchtürmen
Dass Eulen oder andere Vögel einfach im Kirchturm nisten, wie es jahrhundertelang zum Beispiel hier im Uhledömche für Mensch und Tier ganz normal war, gibt es heute fast nirgendwo mehr, erklärt Experte Bergrath: „Früher war das einfach, die Schalllöcher der Kirchen waren ja alle offen. Heute sind die ja zu 99 Prozent mit Draht vergittert, sodass die Tauben nicht rein können – was heutzutage auch ein Problem darstellt für die anderen Tiere, die man gerne ansiedeln möchte.“
Deshalb ist man dazu übergegangen, spezielle Kästen anzubringen, die den Tieren das Nisten erlauben. Über hundert solcher Brutkästen betreut Bergrath in der Region in unterschiedlichsten Gebäuden. Etwa 30 davon hat er auf Kirchtürmen platziert.
Jahrzehntelang war er bei der Berufsfeuerwehr in Köln, jetzt, als Rentner, hat er sich dem Eulenschutz verschrieben. „Rein in die gute Stube“, sagt Bergrath, und führt über Treppen nach oben unters Dach der Kirche.
Je näher wir an den Brutkasten kommen, umso leiser müssen wir sein, um die Tiere nicht zu erschrecken. Oben angekommen, im Kirchenschiff über den Gewölben, hat er einen Schleiereulen-Kasten installiert. Und der ist auch belegt mit der Schleiereule.
Nur wenige Prozent der Kirchen für Vögel geöffnet
2007 begann der NABU bundesweit mit der Aktion „Lebensraum Kirchturm“. Damals eigentlich erst mal nur zur Unterstützung des Turmfalken, der von den Umweltschützern damals zum Vogel des Jahres gekürt worden war. Die Aktion war ursprünglich nur für ein Jahr konzipiert, erinnert sich Marc Süsser, der Vogelexperte des NABU:
„Und dann war das aber so, dass das so gut angenommen wurde bei den Gruppen, die so begeistert mitgemacht haben, dass das vor Ort dann einfach weiterlief, also die Gruppen weiterhin Kirchgemeinden angesprochen haben und da auch weiterhin Nachfrage nach diesen Plaketten war, mit denen die Kirchengemeinden, die mitgemacht haben, ausgezeichnet werden konnten.“
Die Aktion lief also „im Untergrund“ weiter und die Bundesgeschäftsstelle entschied sich schließlich, sie weiterhin mit Materialien und mit den genannten Plaketten zu begleiten. Die Tierschützer klapperten die Kirchgemeinden ab und ihr Anliegen sprach sich herum. Mittlerweile sind dadurch nicht nur Turmfalken in Kirchtürmen eingezogen, sondern auch Schleiereulen, Dohlen und Fledermäuse.
„Seit Start der Aktion 2007 sind rund 1150 Kirchen mit unserer Plakette ausgezeichnet worden“, erklärt Marc Süsser. Was sich im ersten Moment nach viel anhört, relativiert sich aber bei genauerem Hinsehen. Niemand, weder die Kirchen noch das Statistische Bundesamt, können sagen, wie viele Kirchtürme es in Deutschland gibt. Schätzungen zufolge dürften es zwischen vierzig und fünfundvierzigtausend sein. Die aktuelle Zahl der Gemeinden, die ihre Kirchen den bedrohten Arten öffnen, liegt damit im kleineren einstelligen Prozentbereich.
In der Bibel sind die Vögel Vorbilder für den Menschen
Und das, obwohl dem Vogel im Christentum eine wichtige Beziehung zukommt: „Die Vögel loben Gott immerdar durch ihren Gesang und sie werden in der Bibel an anderen Stellen den Menschen zum Vorbild gemacht. Mit ihrem schönen Gesang, mit ihrem eleganten Flug, mit ihrem Nestbau, mit ihrer Versorgung der Jungen: In vielerlei Art werden sie als Beispiele für unser Leben gewertet“, erklärt Anneliese Hergenröther.
Bis letztes Jahr war sie Pfarrerin der Kirche Finkenkrug in der brandenburgischen Gemeinde Falkensee am Rande von Berlin. 2015 wurde ihre Kirche als Lebensraum für Turmfalken ausgezeichnet. Für den Gottesdienst, den die Gemeinde aus diesem Anlass feierte, hatte sie extra noch mal nach entsprechenden Bibelstellen gesucht.
Und da stehe schließlich in Psalm 84: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaot, meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn. Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.“
„Und dann kommt“, fährt sie fort: „‚Der Vogel hat – ich füge ein: auch – ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen.“
Geh aus mein Herz und suche Freud‘
Hier in der Kirche sind Dohlen und Turmfalken zu Hause. Um mir sie anzusehen, bin ich mit Jörg Romanski verabredet. Im Hauptberuf ist er der Umweltbeauftragte der TU Berlin. Und auch hier in der Gemeinde ist er für Umweltthemen zuständig.
Auf dem Weg in den Turm kommen wir an der Orgel vorbei. Ehrenamtlich spiele er hier manchmal auch, meint Jörg Romanski, setzt sich ans Instrument und spielt ein passendes Stück. "Geh aus mein Herz und suche Freud‘", ein geistliches Sommerlied von Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert.
Im Text heißt es: „Die Lerche schwingt sich in die Luft, das Täublein fliegt aus seiner Kluft und macht sich in die Wälder, die hochbegabte Nachtigall ergötzt und füllt mit ihrem Schall Berg, Hügel, Tal und Felder.“
Es geht um mehr als nur um Tierschutz
Noch mal zurück ins rheinische Düren. Neben dem Uhledömche, das den Eulen Schutz bietet, steht auf dem Flachdach der mit 50 Metern höchsten Kirche der Stadt, St. Anna, auch ein Nistkasten für Turmfalken. Hans-Otto von Danwitz, der Pfarrer der katholischen Gemeinde, führt mich bis ganz nach oben.
Das hier sei eben nicht nur praktischer Tierschutz, erklärt er, und beruft sich dann mit Blick auf die Stadt auf seinen obersten Dienstherrn: „Wenn wir im Moment zum Beispiel einen Papst haben, der in der Enzyklika Laudato si’ ganz ausdrücklich für den Erhalt der Schöpfung eintritt, der sagt, wir sind ein gemeinsames Haus und da sollen alle Geschöpfe drin Platz haben – das wird dann natürlich in wunderbarer Weise hier konkret, wenn wir das Haus Gottes für diese Geschöpfe Gottes zur Verfügung stellen.“