Zollunion könnte Demokratie ins Wanken bringen
Kirgistan wird 2015 der Zollunion der Eurasischen Wirtschaftsunion beitreten. Das könnte der darbenden Wirtschaft helfen, sagt Britta Utz von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Allerdings gebe es im Land Bedenken, Russland könne dann politisch Einfluss nehmen.
Die Demokratie in Kirgistan kann nach Einschätzung von Britta Utz, Leiterin der Friedrich Ebert Stiftung in dem zentralasiatischen Land, nur dann Erfolg haben, wenn gleichzeitig die sozialen Probleme gelöst werden.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Utz, die wirtschaftliche Lage in Kirgistan sei prekär. Ein derzeitiges Wachstum von drei bis vier Prozent sei viel zu wenig, um die Armut abzubauen, die Armutsrate liege momentan bei 37 Prozent. Zudem sei die Regierung instabil, die Drei-Parteien-Koalition in wesentlichen Fragen nicht einig. Dennoch funktioniere die Demokratie, es gebe Meinungsfreiheit "und die Zivilgesellschaft ist agil und kommentiert das alles".
Das "Experiment Demokratie" werde in Kirgistan daran gemessen werden, ob es gelinge, schnell den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern, betonte Utz.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Man könnte das Land eine demokratische Insel in Zentralasien nennen: Kirgistan. Im Oktober 2015 sind dort Wahlen und das Land bliebe gerne unabhängig, aber wirtschaftliche Gründe zwingen den Staat in ein Bündnis mit Russland, denn das alte Modell eines Transit-Landes, das ist nicht mehr tragfähig. Im nächsten Jahr tritt Kirgistan der Zollunion mit Russland bei und Walerij Dill, der ist dort stellvertretender Premierminister in Kirgistan, ein Mann mit deutschen Wurzeln, der hat bei uns im Programm in der vorigen Woche über die Zollunion Folgendes gesagt:
"Natürlich werden die ersten zwei, drei Jahre schwierig für uns. Aber schauen Sie sich unsere geografische Lage an. Mit unseren Nachbarn Usbekistan, Tadschikistan, China und Kasachstan haben wir keine Alternative zur Zollunion. Und wenn die Leute sagen, dass wir mit dem Beitritt zur Zollunion und zur Eurasischen Union unsere Unabhängigkeit verlieren, dann sagen wir: Die Zollunion ist ein rein wirtschaftliches Bündnis. Sie hat keinen Einfluss auf die Politik. Wir treten ohne Furcht bei."
von Billerbeck: Der stellvertretende Premierminister Walerij Dill. Gegen seine Ansicht steht die geopolitische Analyse des kirgisischen Politologen Mars Sarijew, der glaubt nämlich, die Ukraine sei nur der aktuelle Schauplatz im Ringen um Einflusssphären, als Nächstes wird Zentralasien in den Fokus rücken und damit also auch Kirgistan. Sein Land habe nur die Wahl, entweder zu einer chinesischen Provinz zu werden, sich enger an Russland zu binden oder der Gruppe der Instabilen anzugehören, wie eben etwa Afghanistan oder Pakistan.
Britta Utz ist in Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans, die Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung und mit ihr will ich jetzt über die Lage und die Aussichten für Kirgistan sprechen. Schönen guten Morgen!
Britta Utz: Ja, schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Frau Utz, wie schätzen Sie die politische Lage Kirgistans ein derzeit, vor dem Beitritt zur Eurasischen Zollunion?
"Im Moment ist die wirtschaftliche Lage sehr prekär"
Utz: Die politische Lage ist natürlich auch stark verknüpft mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Im Moment ist die wirtschaftliche Lage sehr prekär. Für 2014 wird nur ein Wachstum von ungefähr drei bis vier Prozent erwartet, letztes Jahr waren es noch zehn Prozent, das ist bei Weitem viel zu wenig, um auch armutsreduzierende Faktoren oder Effekte zu erwirtschaften.
Wir haben eine aktuelle Regierungskoalition aus drei Parteien, die seit ungefähr zwei Jahren regiert, seit September 2012, und es ist so, dass diese Regierung wie auch die generelle Lage im Land immer noch instabil ist. Die Regierung ist sich in großen Entwicklungsfragen des Landes im Moment nicht einig, in der Zollunion ja oder über die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, über die wir noch sprechen werden, aber beispielsweise gibt es einen großen Streit um Nationalisierung der großen Goldminen des Landes, und in den letzten Wochen gab es auch mehrere Rücktritte aus dem Kabinett.
Sprich, die wirtschaftliche Lage ist prekär, die Regierung ist sich in vielen Fragen nicht einig und trotzdem ist die Demokratie da und die funktioniert. Es gibt Meinungsfreiheit und die Zivilgesellschaft ist agil und kommentiert das alles.
von Billerbeck: Daran hat ja auch eine Stiftung wie die Ihre sicher ihren Anteil, denn Sie sind ja dort aktiv in Kirgistan. Nun haben Sie schon ein bisschen was davon erzählt, wie die Lage ist. Welche ökonomischen Vorteile hat denn nun der Beitritt zur Eurasischen Zollunion?
Zollunion schafft "gute Chancen für den Export"
Utz: Der Beitritt zur Zollunion und zur Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft hat sowohl Chancen und Risiken für Kirgistan. Die Chancen liegen zunächst darin, dass natürlich nach dem Beitritt die Binnenzölle für Russland, Kasachstan und Belarus ab Januar entfallen. Diese Länder sind gleichzeitig die Haupthandelspartner Kirgistans, das heißt, es ergeben sich gute Chancen für den Export der Agrarprodukte Kirgistans und auch Produkte der Leichtindustrie, die dann ab Januar günstiger anzubieten sind auf diesen Märkten, allerdings nur, wenn man natürlich schafft, die neuen Qualitätsstandards einzuhalten. Das ist bisher nicht der Fall und wird noch Jahre dauern.
von Billerbeck: Nun haben Sie das bestätigt, was ich ja am Anfang sagte, dass Kirgistan eine Insel der Demokratie in dieser Region ist. Welche Chancen geben Sie denn Demokratie nach dem Beitritt zu dieser Wirtschaftsunion und zu der Zollunion? Wird sich da etwas ändern? Wird Russland da Einfluss nehmen?
Utz: Gut, zunächst ist klarzustellen, dass es sich im Moment um eine wirtschaftliche Union handelt. In Kirgistan wird ja auch stark die Zollunion diskutiert. Der Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft wird etwas später erfolgen, voraussichtlich im Mai, und hier sind ja auch viel mehr Fragen offen als beim Beitritt zur Zollunion, wo ganz klar ist, was wirtschaftlich passiert.
Das heißt, im Prinzip gibt es erst mal diese negativen wirtschaftlichen Folgen, aber eben auch Vorteile für die Demokratie. Ich denke schon, dass das Experiment Demokratie daran gemessen werden wird, ob schnell sozioökonomische Entwicklungen oder Errungenschaften für die Bevölkerung geliefert werden können, und hier ist der Einfluss eben der Zollunion eventuell negativ. Der Re-Export, von dem Kirgistan sehr stark lebt, von Waren aus China wird zurückgehen, damit sind viele Arbeitsplätze in Gefahr. Es wird eine höhere Inflation erwartet.
Also, die sozialen Folgen können immens sein. Damit kann es auch vielleicht wieder zu sozialen Unruhen und Protesten kommen. Die Armutsrate ist jetzt schon bei 37 Prozent. Sozial schwache Gruppen können weiter marginalisiert werden. Das heißt, die Demokratie kann sozusagen oder die Stabilität besser kann von dieser Richtung in Gefahr kommen.
Und auf der anderen Seite gibt es natürlich viele Bedenken vonseiten der Zivilgesellschaft, was den politischen Einfluss Russlands betrifft. Hier gibt es Angst, dass dieser Einfluss steigen wird, dass sozusagen das negative Einflüsse hat auf die Demokratie.
von Billerbeck: Das heißt also, das sind sich widersprechende Erwartungen, die da an diese Zollunion, an die Eurasische Wirtschaftsunion gerichtet sind. Wie soll sich denn Europa nun verhalten in dieser Situation, um Kirgistan möglicherweise auch zu stärken?
Europäisches Engagement ausbauen
Utz: Ja, Europa wie auch andere Partner Kirgistans haben natürlich ein prioritäres Interesse an Frieden, an Stabilität und Wohlstand in dieser Region. Zunächst einmal, muss man sagen, ist natürlich Europa im Vergleich zu den großen geopolitischen Akteuren in der Region, China, Russland, aber auch USA oder Türkei, weit weg. Auch besteht natürlich für Kirgistan keine Beitrittsperspektive.
Dennoch ist Kirgistan natürlich ein privilegierter Partner in der Region und es sind natürlich die gemeinsamen Werte, Demokratie, parlamentarisches System. Die EU ist hier stark engagiert und sollte eben dieses Engagement auch weiter ausbauen. Also im Bereich Rechtsstaat ist man hier engagiert, Bildung, Grenzschutz, Drogenhandel. Innerhalb der EU-Zentralasien-Strategie geht man gemeinsam die Herausforderungen im Bereich der Sicherheitspolitik an. All das soll weiter initiiert werden.
Und es ist auch zu begrüßen, dass die lettische Ratspräsidentschaft, die ja 2015 im ersten halben Jahr kommen wird, auch schon angekündigt hat, dass die EU stärker nach Zentralasien blicken möchte. Das ist zu begrüßen, und auch die EU und der Westen und Deutschland sollten weiterhin diesen Land im Transitionsprozess helfen und das schützen, gerade weil, wie beschrieben, die Zeiten vielleicht etwas turbulenter werden könnten.
von Billerbeck: Einschätzungen von Britta Utz waren das, Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Ich danke Ihnen!
Utz: Ja, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.