Kirill Petrenko

Nationale Misstöne der Musikkritik

Der russische Dirigent Kirill Petrenko
Kirill Petrenko zieht antisemitische Kommentare auf sich © dpa / picture alliance / Frank Leonhardt
Von Uwe Friedrich · 29.06.2015
Kirill Petrenko wird 2018 Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Einige feierten die Entscheidung als mutig, doch zum Teil mischten sich nationalkulturelle Misstöne in die Kritik. Empörend sei das, meint Uwe Friedrich.
Jüdischer Gnom demütigt germanischen Gott. So beschrieb in der vergangenen Woche eine Musikjournalistin im Norddeutschen Rundfunk das Verhältnis zwischen den Dirigenten Kirill Petrenko und Christian Thielemann nach der Chefdirigentenwahl der Berliner Philharmoniker.
Inzwischen betont sie auf der Website von NDR Kultur, eine Gleichsetzung von Kirill Petrenko mit Richard Wagners Opernfigur Alberich sei nicht beabsichtigt gewesen. Ja, was denn sonst? Ohne diese Gleichsetzung ist ihr Beitrag vollkommen witzlos.
Mit ihren antisemitischen Klischees steht sie aber nicht allein auf weiter Flur. Auch der Musikjournalist der Tageszeitung "Die Welt" wies wie beiläufig darauf hin, dass nun gleich drei Chefdirigentenposten in Berlin mit Juden besetzt seien, was sachlich stimmt, musikalisch aber vollkommen unerheblich ist, und dass Kirill Petrenko angeblich im vergangenen Sommer eine Affäre mit einer Bayreuther Sängerin gehabt habe.
Das geht uns erstens wirklich überhaupt nichts an, zweitens weiß aber der gebildete Antisemit noch aus Julius Streichers antisemitischem Hetzblatt "Der Stürmer", dass der stets lüsterne Jude vorzugsweise naive Mädel in den moralischen Abgrund stürzt. Da reicht eine unsubtile Anspielung, um beim einschlägigen Publikum ein wissendes Grinsen hervorzurufen.
Geschmackloses, antisemitisches Spiel mit Klischees
Das sind nur zwei besonders eindeutige Beispiele für das geschmacklose Spiel mit Klischees auch im Musikjournalismus. Dabei wissen wir noch nicht mal, ob Petrenko selbst sich als Jude, Russe, Österreicher oder gar als Deutscher bezeichnet oder ihm nationale und ethnische Zuschreibungen vollkommen egal sind, denn er gibt ja keine Interviews.
Und bei dieser Art Musikjournalismus muss man auch nicht lange rätseln, warum. Den Vorwurf des manifesten Antisemitismus würden diese Journalisten sicher weit von sich weisen, man wird ja wohl noch sagen dürfen, was aus absolut verlässlicher Quelle zugetragen wurde.
Vielleicht ist es auch tatsächlich nicht in erster Linie Judenfeindlichkeit, sondern ganz einfach ein tief verankerter deutscher Kulturchauvinismus. Ganz ähnliche Vorwürfe wie nun Kirill Petrenko hat sich schließlich auch der Brite Simon Rattle immer wieder anhören müssen.
Als Vertreter einer oberflächlichen Spaßgesellschaft anglo-amerikanischer Prägung könne dieser zwar die zweitklassige Musik seines Heimatlandes oder den welschen Tand eines Debussy ganz passabel dirigieren, für Brahms, Beethoven und Bruckner fehle es ihm aber an "Tiefe", an jener ominösen "Tiefe", die sich im ebenso schwer definierbaren "deutschen Klang" manifestiere, den dann eben doch nur deutsche Musiker so richtig hinbekommen.
Zum persönlichen Gefühl bekennen
Musiker wie Christian Thielemann eben, jener germanische Gott. Aus solchen zumindest chauvinistisch, wohl auch rassistisch grundierten Zuschreibungen spricht allerdings zuallererst eine tiefe Verunsicherung, was denn "deutsch" und "echt" ist.
Offenbar überfordert es eine große Anzahl von Liebhabern und auch Journalisten der klassischen Musik, wenn eine Beethoven-Symphonie unter, sagen wir mal Simon Rattle auf einmal ganz anders klingt als beispielsweise unter Wilhelm Furtwängler. Und wer sonst keine Kriterien für die ästhetische Beurteilung hat, muss eben auf die ethnische Herkunft des Musikers zurückgreifen.
Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich hat jeder einzelne Hörer das Recht, Rattles, Petrenkos oder auch Thielemanns Interpretationen nicht zu mögen. Dazu muss man noch nicht mal Noten lesen können, sollte dann aber wenigstens den Mut haben, sich zu seinem persönlichen Gefühl zu bekennen, statt in billigste Klischees zurückzufallen.

Uwe Friedrich, wuchs in Köln auf und studierte Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Germanistik an der Freien Universität Berlin. Nach seiner journalistischen Ausbildung beim Bayerischen Rundfunk arbeitete er als Opernredakteur für den Saarländischen Rundfunk. Seit einigen Jahren lebt der Musikjournalist wieder in Berlin und produziert neben seiner Tätigkeit als Rezensent regelmäßig Musikdokumentationen für Deutschlandradio und den ARD-Hörfunk. Uwe Friedrich ist häufig Jurymitglied bei Gesangs- und Instrumentalwettbewerben und moderiert regelmäßig Konzerte.

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