Am Samstag, den 24.6.2019, dirigiert Kirill Petrenko Beethovens Neunte bei einem kostenlosen Open-Air-Konzert vor dem Brandenburger Tor.
Gelungener Teufelsritt mit dem neuen Meister
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Mit Beethovens Neunter und Alban Bergs „Lulu“ spannte der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker einen enormen dramaturgischen Bogen, den das Publikum mit freudigen, teilweise staunend lächelnden Ovationen quittierte. Ein grandioser Auftakt.
Die Spannung war enorm und spürbar in der Berliner Philharmonie an diesem strahlenden Spätsommerabend. Alle Ohren aufs Schärfste gespitzt, saßen die Orchestermusiker mit wachen Augen auf der Stuhlkante, um jeden kleinen Wink, jede tänzelnde Geste und jedes Augenzwinkern von Kirill Petrenko in Klang umsetzen zu können.
So wenig außergewöhnlich Beethovens Sinfonie Nr. 9 als zweites Werk nach der Pause erscheinen mochte, so verstörend unpopulär war die Wahl von Alban Bergs "Lulu-Suite" zu Beginn des Abends.
Petrenko zeigte sich hier alles andere als anbiedernd, denn obwohl er mit großer Freude an der Sinnlichkeit die kammermusikalisch schwelgenden Gefühle des in Lulu verliebten Alwa zum Klingen brachte, baut sich in der knapp 40-minütigen Lulu-Suite ein zerstörerischer Sog auf.
Sinnlichkeit bis zum mörderischen Exzess wird hier hörbar, und Marlis Petersen gab mit kühl-klarer Stimme der Lulu den dazu passenden lupenreinen Klang. Alban Bergs Oper, wie auch die daraus entnommenen fünf symphonischen Stücke der Suite gipfeln in der totalen Zerstörung, ja, im Todesschrei einer menschlichen Seele. Berg hat dafür den leeren Klang der Quinte gewählt, und mit diesem Klang beginnt auch Beethovens 9. Sinfonie.
Petrenkos uneingeschränkter Wille zur Durchleuchtung
Eine große Fallhöhe, ein enormer dramaturgischer Bogen war da zu erleben, der zum Nachdenken anregte und die schroffen, ja bisweilen regelrecht hässlich-martialischen Töne in den kriegerischen Passagen von Beethovens ersten beiden Sätzen rechtfertigte.
Petrenkos uneingeschränkter Wille zur Durchleuchtung der Partituren war auch hier zu hören, ungewöhnlich prominente Mittelstimmen, galoppierende Tempi und ein mit unaufhaltsamer Kraft sich entwickelnder Fluss gipfelten in der vom Rundfunkchor Berlin wunderbar homogen gesungenen "Ode an die Freude" mit dem brillanten Solisten-Ensemble.
Ein Götterfunken–Feuerwerk wurde da am Schluss gezündet, das das Publikum mit freudigen, teilweise staunend lächelnden Ovationen quittierte. Ein gelungener Teufelsritt mit dem neuen Meister am Pult der Berliner.