Kirk D. Strosahl / Patricia J. Robinson: In diesem Moment. Stress überwinden und achtsam werden. Das 5-Stufen-Programm neurowissenschaftlich belegt
Verlag Trias / Thieme, 2016
180 Seiten, 19,99 Euro
Einfach mal tief durchatmen
Ein Fragebogen steht am Anfang des Buches "In diesem Moment" von Kirk. D. Strosahl und Patricia J. Robinson. Und mit ihm startet auch der Selbstversuch von Frank Kaspar. Mithilfe des Buches versucht er Seufzen gegen tiefes Durchatmen und Stress gegen Achtsamkeit einzutauschen.
Kirk Strosahl und Patricia Robinson verstehen es, ihre Leser abzuholen. Ihr Buch beginnt mit einem Fragebogen, der verraten soll, wie gestresst ich bin.
"Kreuzen Sie jede Aussage an, die auf Sie zutrifft."
Ich lese, kreuze an und sehe: Die beiden Autoren lesen mich.
"Kreuzen Sie jede Aussage an, die auf Sie zutrifft."
Ich lese, kreuze an und sehe: Die beiden Autoren lesen mich.
"Am Ende eines typischen Tages fühle ich mich wie erschlagen."
Hmm. Ich bin ein offenes Buch für sie.
"Ich habe das Gefühl, ständig beim Multitasking zu sein, auch zu Hause."
Hmm. Ich bin ein offenes Buch für sie.
"Ich habe das Gefühl, ständig beim Multitasking zu sein, auch zu Hause."
Na ja.
"Es fällt mir schwer, mich für Dinge zu motivieren, die gut für meine Gesundheit wären."
"Es fällt mir schwer, mich für Dinge zu motivieren, die gut für meine Gesundheit wären."
"Ich seufze häufig."
Täglicher Stress schadet der Gesundheit
Wenn ich mehr als einmal "Ja" angekreuzt habe, bin ich reif für das Trainings-Programm "Stress überwinden und achtsam werden". Denn es sind nicht die großen Schicksalsschläge oder einzelne Lebenskrisen, die Wohlbefinden und Gesundheit am meisten gefährden, schreiben Robinson und Strosahl. Weitaus schädlicher sei der tägliche Stress. Stress kann auf Dauer zu Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, begünstigt Diabetes oder Krebs. Gegen die Dauerbelastung zermürbender Routinen und die ständige Sorge, nicht genug zu leisten, helfen nur regelmäßige Übungen und Aufmerksamkeit für die eigenen Gefühle und Lebensziele, so die Autoren.
"Ihr Auftrag lautet: Leben Sie bewusst, absichtsvoll und in diesem Moment."
Das kann damit anfangen, sich morgens selbst ein Lächeln zu schenken.
"Sie lächeln ein wenig, nur so viel, dass sich Ihre Mundwinkel leicht heben. Wenn Sie wollen, denken Sie an jemanden oder etwas, der oder das Sie glücklich macht."
Die Botschaft der Autoren ist einfach und einleuchtend: Stress geht nicht davon weg, dass man ihn ignoriert. Im Gegenteil, wer Stress abbauen will, der muss ihn wahrnehmen, ernst nehmen, und sich selbst ausreichend Zeit zugestehen für Ruhepausen, in denen der Verstand die Kontrolle abgibt, so dass Körper und Seele neue Kraft schöpfen können. Und sei es in der Fantasie, indem man sich vorstellt, dass man sich in eine blaue Decke hüllt.
"Komm, kleiner Papa. Jetzt packst du dich mal schön warm ein."
"Mmmmhhh."
"Mmmmhhh."
"... genießen Sie das Gefühl, von der Decke umhüllt zu sein."
Das Wort "Neuro-" ist zur Marke geworden
Merkst du noch was, oder funktionierst du nur? Robinson und Strosahl geben viele praktische Hinweise, wie man aus dem "Autopilot"-Modus herauskommt. Tabellen, Checklisten und einfache Merksätze sollen dabei helfen, auf Kurs zu bleiben und sich den Takt nicht allein vom Stress vorgeben zu lassen. Als Psychologen und Verhaltens-Therapeuten kennen die Autoren konkrete Fallbeispiele. Und dann ist ihr 5-Stufen-Programm ja auch noch "neurowissenschaftlich belegt". Im ersten Kapitel bekomme ich einen Schnellkurs in Gehirn-Anatomie und erfahre, in welchen Lebenslagen angeblich welche Areale aktiviert sind. Muss das sein? Ja, leider, sagt der Pharmakologe und Neurowissenschaftler Felix Hasler.
"Was man wirklich beobachten kann, das ist bis heute ungebrochen, dass dieses "Neuro"-Wort selbst ein Label geworden ist - das ist eine Marke geworden."
"Was man wirklich beobachten kann, das ist bis heute ungebrochen, dass dieses "Neuro"-Wort selbst ein Label geworden ist - das ist eine Marke geworden."
Ob "Neuro-Pädagogik", "Neuro-Marketing" oder "Neuro-Yoga" - alle möglichen Wissensgebiete und Praktiken suchen heute Anschluss an die Hirnforschung.
"Und immer ist dieselbe Botschaft: Eigentlich will ich meine uralten Ideen, die ich schon ewig habe oder die ich gut finde – sei das irgendeine Coaching-Technik oder was auch immer - will ich verkaufen und setze dieses "Neuro" davor. Und das geht wiederum deshalb, weil ich natürlich immer irgendwelche Pseudo-Informationen finde – die Amygdala ist dann mein "Angst-Zentrum", und der frontale Cortex, da denke ich, und das Limbische System, da sind meine Gefühle..."
"Wenn es um Ihre Reaktion auf Stress geht, ist der dorsolaterale präfrontale Kortex Ihr Freund. Er ist eng verbunden mit dem parasympathischen Nervensystem. Wird der Parasympathikus aktiviert, atmen Sie langsamer, Ihr Herz schlägt ruhiger und das Blut fließt wieder in Ihr Gehirn."
Im Alltag einen Gang zurück schalten tut gut
Kann man heute nicht tatsächlich nachweisen, dass mentale Vorgänge mit Veränderungen im Gehirn verbunden sind? Ja, das schon, sagt Felix Hasler.
"Natürlich kann man sagen: Jede Form der menschlichen Erfahrungen wird zu einer neuroplastischen Umgestaltung führen, irgendwie muss da was passieren. Nur, was genau? Hat man überhaupt keine Ahnung! Sie können nicht hingehen und da irgendwelche Elektroden ins Gehirn stecken an einer ganz bestimmten Stelle, Strom drauf geben, und plötzlich sprechen Sie Französisch. Es gibt kaum Möglichkeiten der Manipulation von außen, das heißt: Alle diese Behauptungen lassen sich nicht wirklich falsifizieren, aber auch nicht beweisen."
"Natürlich kann man sagen: Jede Form der menschlichen Erfahrungen wird zu einer neuroplastischen Umgestaltung führen, irgendwie muss da was passieren. Nur, was genau? Hat man überhaupt keine Ahnung! Sie können nicht hingehen und da irgendwelche Elektroden ins Gehirn stecken an einer ganz bestimmten Stelle, Strom drauf geben, und plötzlich sprechen Sie Französisch. Es gibt kaum Möglichkeiten der Manipulation von außen, das heißt: Alle diese Behauptungen lassen sich nicht wirklich falsifizieren, aber auch nicht beweisen."
Früher sagte man: Atmen Sie mal tief durch und kommen Sie wieder runter! Heute heißt es: Aktivieren Sie Ihren Parasympathikus, damit Ihr Gehirn nicht ständig in Alarmbereitschaft ist! Den Ratschlägen von Robinson und Strosahl tut das keinen Abbruch. Was auch immer dabei genau unter der Schädeldecke geschieht, ich merke doch, dass es gut tut, im Alltag auch mal einen Gang zurückzuschalten.
"Suchen Sie sich eine Tätigkeit aus und versuchen Sie, diese so langsam auszuführen, dass sie doppelt so lange dauert."
Wer den Moment nicht genießen kann, verpasst das Beste am Leben. Jetzt sehe ich's ein!
Wer den Moment nicht genießen kann, verpasst das Beste am Leben. Jetzt sehe ich's ein!
Weitere aktuelle Literatur zum Thema:
Mike Annesley, Anleitung zur Achtsamkeit, mit der Fachberatung von Ken A. Verni und Illustrationen von Trina Dalziel, übersetzt von Christoph Trunk, Dorling Kindersley Verlag, München 2016, 224 Seiten, 19,95 Euro
Michael E. Harrer/ Halko Weiss, Wirkfaktoren der Achtsamkeit: Wie sie die Psychotherapie verändern und bereichern, Schattauer, Stuttgart 2015, 357 Seiten, 49,99 Euro
Halko Weiss/ Michael E. Harrer/ Thomas Dietz (Autor), Das Achtsamkeits-Buch, Klett-Cotta, Stuttgart 2016, Taschenbuch, 303 Seiten, 12,95 Euro
Karolien Notebaert/Peter Creutzfeldt, Wie das Gehirn Spitzenleistung bringt - Mehr Erfolg durch Achtsamkeit - Methoden und Beispiele für den Berufsalltag, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt/Main 2015, 224 Seiten, 24, 90 Euro
Martin Boroson, One Minute Meditation: Stille in einer hektischen Welt, übersetzt von Frances Hoffman, Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 2016, 240 Seiten, 9,99 Euro