Mutmaßlich rechtsextreme Erzieherin
In einem Kindergarten sollten Werte vermittelt werden. Kann das auch jemand tun, der privat diese Werte nicht vertritt? (Symbolbild) © Getty Images / E+
Wer darf auf Kinder aufpassen?
09:47 Minuten
Wer sein Kind in eine Kita gibt, muss darauf vertrauen, dass es in guten Händen ist. Doch was, wenn die Erzieherin mit einem bekannten Rechtsextremen liiert ist und ihr Gewalt gegen Journalisten vorgeworfen wird? Elternvertreter zeigen sich entsetzt.
Ein brauner Flachbau mit gelbem Fensterrahmen unweit der Saale in Halle. Hier, in einer Kita der Volkssolidarität, wird nach einem Jahr Suspendierung eine mutmaßlich rechtsextreme Frau wieder als Erzieherin eingesetzt, die sich auf Querdenker-Protesten bereits gewaltbereit gezeigt hat. Ein Aushang an der Tür hat darüber informiert. Die Nachricht hat im Elternchat schnell die Runde gemacht.
Verunsicherung bei Familien
Karin und Peter (beide heißen in Wirklichkeit anders), sind Elternvertreter an der Kita. Als feststand, dass diese Erzieherin wieder Kinder betreut, habe das viele Familien verunsichert, sagt Mutter Karin. Das habe sogar dazu geführt, dass Eltern ihre Kinder aus Sorge nicht mehr zur Betreuung brachten. Andere hätten sich versichern lassen, dass die Frau nicht auf ihre Kinder aufpasst.
Es sind zwei Dinge, die der Erzieherin vorgeworfen werden. Zum einen die Gewaltbereitschaft, die mittlerweile aktenkundig ist. Zum anderen: ein rechtsextremes Weltbild. Vater Peter stützt sich auf Bilder eines links-aktivistischen Online-Portals. Diese zeigten die Frau mit dem SS-Logo der "Schwarzen Sonne" auf ihrem Telefon:
“Das ist für uns nicht mit den Werten vereinbar, die in der Kita verbracht werden. Die wir verbringen wollen. Und auch für einen Teil der Kinder mit Migrationshintergrund, und auch andere Eltern, die fühlen sich dann auch dort richtig gefährdet. Und dann sollen die ihre Kinder dort abgeben?“
Partnerin eines bekannten Neonazis
Persönlichen Kontakt haben die Eltern zu der Frau nicht. Coronabedingt geben sie ihre Kinder an einer Schleuse ab. Über die Arbeit der mutmaßlich rechtsextremen Erzieherin selbst habe es bisher keine Beschwerden gegeben. Auf Deutschlandradio-Anfrage über ihren Arbeitgeber lässt sie mitteilen: Sie wollen sich öffentlich zu den Vorwürfen der Eltern nicht äußern.
Zur Vorgeschichte muss man wissen: Die Erzieherin war bis Ende 2020 in einer anderen Kita in Halle beschäftigt. Dann tauchten im Internet Aufnahmen der großen Querdenker-Demo in Leipzig auf. Zu sehen ist die Erzieherin, wie sie zusammen mit ihrem Partner, dem rechtsextremen Blogger Sven L., einen Fotografen der linken Szene erst festhält und dann mit dem Handy in der Hand zuschlägt. Anschließend wurde sie vom Kita-Träger, der Volkssolidarität „Saale-Kyffhäuser e.V.“ für ein Jahr beurlaubt.
Doch inzwischen ist die Frau wieder im Dienst, nur eben in einer anderen Kita des Trägers. Doch die Schlägerei auf der Demo hat ein juristisches Nachspiel. Ein Sprecher des Amtsgerichts Leipzig bestätigt: Die Erzieherin wird sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten müssen. Zusammen mit ihrem Freund, Sven L., der als Mann aus der Neonazi-Szene der 90er Jahre gilt.
Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt attestiert ihm ein „latent hohes Aggressionspotenzial“. Es laufen derzeit mehrere Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Körperverletzung gegen den Blogger. Die Erzieherin ist nicht nur seine Freundin, die beiden leben auch zusammen.
Neue Vorwürfe gegen Erzieherin
Valentin Hacken, Sprecher vom Bündnis „Halle gegen rechts“ erlebt sie regelmäßig bei Demonstrationen, auf denen Corona wahlweise geleugnet oder die Impfung dagegen mit einem Genozid verglichen wird. Das belegen Fotos und schriftliche Dokumentationen von „Halle gegen rechts“, so Hacken.
Die Staatsanwaltschaft Halle antwortet auf Deutschlandradio-Anfrage: Auch aus dem Jahr 2021 liegt ein Ermittlungsverfahren gegen die Erzieherin vor – der Zeit ihrer Beurlaubung. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung. Zusammen mit Sven L. soll sie ein Impfteam in Querfurt attackiert haben. Noch habe die Staatsanwaltschaft aber keine Entscheidung getroffen, es gelte die Unschuldsvermutung.
Jugendamt schaltet sich ein
Mittlerweile ist das Jugendamt der Stadt Halle im Fall der gewaltbereiten und mutmaßlich rechtsextremen Erzieherin eingeschaltet. So heißt es auf Anfrage, man habe den Träger auf möglichen internen Handlungsbedarf hingewiesen. Die erste Maßnahme: Die Erzieherin wird nur zu Kernzeiten eingesetzt, damit sie spätnachmittags Kinder nicht alleine betreut. Alles Weitere müsse der Träger beantworten.
Dirk Jürgens, Geschäftsführer der Volkssolidarität „Saale Kyffhäuser e.V.“ schreibt:
„Wir können Ihnen versichern, dass alle Mitarbeiter unseren internen Verhaltenskodex unterschrieben haben und eine Verletzung dieses Verhaltenskodexes disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Folgen hat. Bestandteil des Kodex ist, dass weder diskriminierendes, gewalttätiges noch grenzüberschreitendes sexualisiertes Verhalten in Wort und Tat toleriert werden.“
Versetzung an eine andere Kita
Zurück zu Karin und Peter, den beiden Elternvertretern. Ihr Protest und vor allem ein offener Beschwerdebrief der Eltern haben Wirkung gezeigt. Seit ein paar Tagen arbeitet die Erzieherin nicht mehr in ihrer Kita unweit der Saale, sondern in einer anderen Kita der Volkssolidarität in Halle. Die Elternvertreter befürchten, dass die Erzieherin irgendwann in ihre Kita zurückrotieren könnte.
Die Erzieherin wiederum wehrt sich juristisch gegen den offenen Brief der Eltern. Darin wird ihr vorgeworfen, sie verharmlose den Holocaust. Die Erzieherin habe deswegen Anzeige wegen Verleumdung erstattet, berichtet ihr Chef. Mittlerweile seien drei Anwaltskanzleien mit dem Fall der gewaltbereiten und mutmaßlich rechtsextremen Erzieherin beschäftigt.
Dirk Jürgens erklärt, dass auf neue Sachverhalte umgehend mit Personalgesprächen, Betriebsrat und Anwälten reagiert werde. Man dürfe jedoch nicht vergessen, dass Anklagen nicht dasselbe wie Verurteilungen seien. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sei das eben eine schwierige Sache.
Ist das so? Uwe Bitter ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Magdeburg. Er sagt: grundsätzlich habe es einen Arbeitgeber nicht zu interessieren, was seine Beschäftigten nach Feierabend machen: „Das heißt auch hier ganz konkret: Nazis, auch da gibt es erst mal kein Berufsverbot. Wichtig ist nur, wenn Sie einen bestimmten Beruf ausüben, wie den eines Erziehers oder eines Lehrers, dann haben Sie sich auch entsprechend außerdienstlich zu verhalten. Tun Sie das nicht, können Sie gekündigt werden und das ist auch gut so.“
Die Beschuldigte schweigt
Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung in Leipzig, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Halle, ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung: Gerne hätte man gewusst, wie die Erzieherin dazu steht, doch eine Deutschlandradio-Anfrage lässt die Frau auch nach mehreren Tagen unbeantwortet.
Inzwischen hat sich der Paritätische Gesamtverband in Berlin in den Fall der gewaltbereiten und mutmaßlich rechtsextremen Erzieherin eingeschaltet, zu dem der Kita-Träger Volkssolidarität e.V. gehört. Der „Paritätische“ hat Dirk Jürgens angeschrieben, mit der Bitte, das Arbeitsverhältnis mit der Erzieherin in Halle zu beenden. In dem Schreiben vom Freitag vergangener Woche, das dem Deutschlandradio vorliegt, heißt es:
„Der gesamte Vorgang ist seit längerem sehr öffentlich. Ihn weiter hinauszuziehen wäre für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit unserer Verbände alles andere als förderlich. Wir möchten Sie bitten, auch diesen Aspekt in seiner ganzen Tragweite zu bedenken.“
Anfang dieser Woche meldet sich Dirk Jürgens, Chef des Kita-Trägers noch einmal per Mail. Das Ergebnis des letzten Personalgesprächs: Die Erzieherin werde weiter beschäftigt, man prüfe den Sachverhalt gründlich nach arbeitsrechtlichen Maßstäben und werde sich nicht von außen beeinflussen lassen.
Heißt im Klartext: Die mutmaßlich rechtsextreme Erzieherin wird in Halle bis auf weiteres Kinder betreuen.