Kitschige Vergangenheitsbewältigung
Noch bis 1950 wurden in der Schweiz Kinder als Arbeitskräfte verkauft. Diese Geschichte beleuchtet das Kinderbuch "Die Schwarzen Brüder". Das Musical feierte nun Premiere - herausgekommen ist ein uninspiriertes, klischeebeladenes Musiktheater.
Am idyllisch gelegenen Walensee zwischen Zürich und Chur feierte 2005 das Open-Air-Musical "Heidi" Triumphe. An diesen Erfolg will man nun mit den "schwarzen Brüdern" anknüpfen, einem Stoff, der das schwere Schicksal der Schweizer "Verdingkinder" aufarbeitet. Die Premiere fand allerdings unter widrigen Umständen statt.
Der Walensee und die steil aufragenden Berge, die Churfirsten, sind in der Tat eine großartige Naturkulisse – aber manchmal schlägt die Natur auch zurück. Schwere Wolken zogen bei Vorstellungsbeginn über die Felswände, ein herber Wind fauchte über den See, es begann zu regnen. Tapfer sang das Ensemble gegen das aufkommende Unwetter an, aber nach der Pause brach man die Vorstellung ab – man wollte im Sturm niemanden gefährden.
Ein wirklicher Verlust war das nicht: Selten hat man ein so uninspiriertes, flaches, klischeebeladenes Musiktheater gesehen wie dieses. Vor drei Jahren wurde das Stück schon in Schaffhausen gespielt, jetzt hat es ein so genanntes "Kreativteam" um den Regisseur Holger Hauer für die Seebühne neu zugeschnitten.
Nicht genug damit, dass sich hier ein ganzer Landstrich unter dem Label "Ferienregion Heidiland" prostituiert; man möchte mit anbiedernd kleingeistigen Musicals offenbar auch möglichst viel Kasse machen. Im Presseheft rangiert der gewesene Tourismusdirektor der Region und jetzige Musical-Unternehmer Marco Wyss nebst seiner Buchhalterin und Marketing-Leiterin noch vor den Künstlern.
Stolz wird reportiert, wie viel "Brutto-Wertschöpfung", Umsatz und "Beschäftigungs-Volumen" das letzte "Heidi"-Musical angeblich erbrachte; 16.000 "zusätzliche Übernachtungen" sind eine stolze Bilanz.
Zusätzliche Übernachtungen wird auch das neue Musical sicher erbringen. Man möchte einfach zu Bett gehen und weinen über so viel Flachsinn: Dass hier ein tragischer Stoff möglichst effektiv finanziell ausgemolken werden soll, kann einen nur depressiv machen.
"Die schwarzen Brüder" von Lisa Tetzner: Das ist einerseits ein bekanntes Kinderbuch in der Schweiz – und gleichzeitig ein verdrängtes Kapitel Schweizer Geschichte. Denn das Schicksal der sogenannten Verdingkinder, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts und noch bis 1950 auf Märkten öffentlich feilgeboten und von ihren Erwerbern, meist Bauern, dann sklavenartig ausgenutzt wurden, wird erst seit Kurzem wissenschaftlich untersucht.
In Tetzners Buch geht es um zwei Buben aus dem Tessin, die von ihren Eltern nach Italien, nach Mailand, verkauft werden und dort als Kaminfeger arbeiten müssen, als "Spazzacamini", lebende Besen, die durch rußige Schornsteine kriechen. Das kann der Gesundheit nicht gut tun: Alfredo stirbt, Giorgio kehrt mit Glück heim ins liebliche Tessin.
Zuvor aber haben die beiden mit Schicksalsgenossen den solidarischen Geheimbund der "schwarzen Brüder" geschlossen, der sich gegen Mailänder Straßenjungs zur Wehr setzt, haben die Schikanen ihrer Kaminfegermeister überstanden und sich von kranken Mädchen erzählen lassen, dass es ein besseres Leben geben muss.
Im Kinderbuch, das eigentlich von dem deutschen Emigranten Kurt Held stammt (dem Autor der "Roten Zora"), ist das ganz spannend; in der Bühnenfassung wird daraus eine Ansammlung von kitschigen Klischees - mit Guten und Bösen, Hausdrachen und lieben Engelein und Versen wie "kein schöner Land als mein Tessin / wo Wolken über Berge ziehn".
Musikalisch wird ein unsäglich süßlicher Stilmix darübergekippt, angerührt von Georgij Modestov. Die bedauernswerten Darsteller singen und springen, aber es bleibt nur schlechter Kinderfunk, wie diese alten DDR-Kinderfilme nach der "Sendung mit der Maus". Und die Musical-Form wurde ganz offensichtlich gewählt, um die Scham über die trüben Seiten der Schweizer Geschichte hinreichend abzudämpfen. Geistig bleibt der Zuschauer an der Seebühne sträflich unterfordert: Grauen, dein Name ist Walenstadt.
Zum Thema:
Homepage des Musicals
Der Walensee und die steil aufragenden Berge, die Churfirsten, sind in der Tat eine großartige Naturkulisse – aber manchmal schlägt die Natur auch zurück. Schwere Wolken zogen bei Vorstellungsbeginn über die Felswände, ein herber Wind fauchte über den See, es begann zu regnen. Tapfer sang das Ensemble gegen das aufkommende Unwetter an, aber nach der Pause brach man die Vorstellung ab – man wollte im Sturm niemanden gefährden.
Ein wirklicher Verlust war das nicht: Selten hat man ein so uninspiriertes, flaches, klischeebeladenes Musiktheater gesehen wie dieses. Vor drei Jahren wurde das Stück schon in Schaffhausen gespielt, jetzt hat es ein so genanntes "Kreativteam" um den Regisseur Holger Hauer für die Seebühne neu zugeschnitten.
Nicht genug damit, dass sich hier ein ganzer Landstrich unter dem Label "Ferienregion Heidiland" prostituiert; man möchte mit anbiedernd kleingeistigen Musicals offenbar auch möglichst viel Kasse machen. Im Presseheft rangiert der gewesene Tourismusdirektor der Region und jetzige Musical-Unternehmer Marco Wyss nebst seiner Buchhalterin und Marketing-Leiterin noch vor den Künstlern.
Stolz wird reportiert, wie viel "Brutto-Wertschöpfung", Umsatz und "Beschäftigungs-Volumen" das letzte "Heidi"-Musical angeblich erbrachte; 16.000 "zusätzliche Übernachtungen" sind eine stolze Bilanz.
Zusätzliche Übernachtungen wird auch das neue Musical sicher erbringen. Man möchte einfach zu Bett gehen und weinen über so viel Flachsinn: Dass hier ein tragischer Stoff möglichst effektiv finanziell ausgemolken werden soll, kann einen nur depressiv machen.
"Die schwarzen Brüder" von Lisa Tetzner: Das ist einerseits ein bekanntes Kinderbuch in der Schweiz – und gleichzeitig ein verdrängtes Kapitel Schweizer Geschichte. Denn das Schicksal der sogenannten Verdingkinder, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts und noch bis 1950 auf Märkten öffentlich feilgeboten und von ihren Erwerbern, meist Bauern, dann sklavenartig ausgenutzt wurden, wird erst seit Kurzem wissenschaftlich untersucht.
In Tetzners Buch geht es um zwei Buben aus dem Tessin, die von ihren Eltern nach Italien, nach Mailand, verkauft werden und dort als Kaminfeger arbeiten müssen, als "Spazzacamini", lebende Besen, die durch rußige Schornsteine kriechen. Das kann der Gesundheit nicht gut tun: Alfredo stirbt, Giorgio kehrt mit Glück heim ins liebliche Tessin.
Zuvor aber haben die beiden mit Schicksalsgenossen den solidarischen Geheimbund der "schwarzen Brüder" geschlossen, der sich gegen Mailänder Straßenjungs zur Wehr setzt, haben die Schikanen ihrer Kaminfegermeister überstanden und sich von kranken Mädchen erzählen lassen, dass es ein besseres Leben geben muss.
Im Kinderbuch, das eigentlich von dem deutschen Emigranten Kurt Held stammt (dem Autor der "Roten Zora"), ist das ganz spannend; in der Bühnenfassung wird daraus eine Ansammlung von kitschigen Klischees - mit Guten und Bösen, Hausdrachen und lieben Engelein und Versen wie "kein schöner Land als mein Tessin / wo Wolken über Berge ziehn".
Musikalisch wird ein unsäglich süßlicher Stilmix darübergekippt, angerührt von Georgij Modestov. Die bedauernswerten Darsteller singen und springen, aber es bleibt nur schlechter Kinderfunk, wie diese alten DDR-Kinderfilme nach der "Sendung mit der Maus". Und die Musical-Form wurde ganz offensichtlich gewählt, um die Scham über die trüben Seiten der Schweizer Geschichte hinreichend abzudämpfen. Geistig bleibt der Zuschauer an der Seebühne sträflich unterfordert: Grauen, dein Name ist Walenstadt.
Zum Thema:
Homepage des Musicals