Natur. Nach Humboldt
Seit Jahrhunderten benennen Wissenschaftler Lebewesen mit lateinischen Namen. Nun forschen zwei Künstlerinnen nach indigenen Bezeichnungen für Pflanzen aus dem Botanischen Garten in Berlin. Ihre 360°-Sound-Installation ist vom 24. Januar bis zum 2. Februar zu erleben. Den Abschluss bildet eine „Art meets Science“-Matinee.
Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine zarte Seerose. Mit ihren filigranen Blüten bevölkert sie Sümpfe und Wasserflächen in Südamerika. Die westliche Wissenschaft nennt sie: Nymphoides humboldtiana, Humboldts Seekanne. Mindestens ebenso gut steht ihr aber der Name Yvoty mboporã pónhuregua: "Fünfblättrige Blume des Geistes der Felder und Wälder: Du wirst eines Tages fortgehen, aber ich nicht." Diese Bezeichnung stammt von dem Guarani-Lehrer Maximino Rodrigues. Seine Vorfahren lebten in Südamerika, lange bevor Humboldt dort auftauchte.
Die Künstlerin Maria Thereza Alves und die Komponistin Lucrecia Dalt suchen nach indigenen Namen für die Pflanzen im Botanischen Garten Berlin. Mit ihrer Installation öffnen sie einen Raum für die vielschichtigen Stimmen des Urwalds – organisch und anorganisch, menschlich und nicht-menschlich, spekulativ und real. Dabei zeigen sie auch, wie diese Stimmen durch europäische Kolonisatoren zum Schweigen gebracht wurden.
Öffnungszeiten
24. Januar bis 16. Februar 2020
Mo-Do 14-19 Uhr; Fr-So 11-19 Uhr
Eingang: Botanischer Garten, Königin-Luise-Platz, 14195 Berlin
Botanischer Garten, Unter den Eichen 5-10, 12203 Berlin
Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. Ab 17 Uhr 3 Euro.
Ausleihstation Kopfhörer/Sound-Units im Foyer Victoriahaus (kostenfrei)
Keine Anmeldung oder Reservierung
24. Januar bis 16. Februar 2020
Mo-Do 14-19 Uhr; Fr-So 11-19 Uhr
Eingang: Botanischer Garten, Königin-Luise-Platz, 14195 Berlin
Botanischer Garten, Unter den Eichen 5-10, 12203 Berlin
Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. Ab 17 Uhr 3 Euro.
Ausleihstation Kopfhörer/Sound-Units im Foyer Victoriahaus (kostenfrei)
Keine Anmeldung oder Reservierung
Art meets Science – Matinee in den Gewächshäusern am 2. Februar von 11.00 bis 14.00 Uhr
Künstlerinnen und Künstler entwerfen gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in kurzen Gesprächen oder Performances Perspektiven auf ihren eigenen Zugang zur Natur. Eine abschließende Podiumsdiskussion fragt nach dem Wandel von Naturerkenntnis und Naturerleben seit Humboldt.
Künstlerinnen und Künstler entwerfen gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in kurzen Gesprächen oder Performances Perspektiven auf ihren eigenen Zugang zur Natur. Eine abschließende Podiumsdiskussion fragt nach dem Wandel von Naturerkenntnis und Naturerleben seit Humboldt.
Hier finden Sie das vollständige Programm.
Deutschlandfunk Kultur sendet am 6. März um 0.05 Uhr eine Radiofassung der Klanginstallation.
Deutschlandfunk Kultur sendet am 6. März um 0.05 Uhr eine Radiofassung der Klanginstallation.
"Natur. Nach Humboldt" ist ein Kooperationsprojekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Botanischen Gartens und des Botanischen Museums Berlin, des CTM-Festivals for Adventurous Music and Art, von Deutschlandfunk Kultur und Die Junge Akademie.
Deutschlandfunk Kultur beteiligt sich an dem Projekt im Rahmen der Deutschlandradio-Denkfabrik. Mit der Denkfabrik bietet der bundesweite Hörfunk einen Raum für die großen gesellschaftlichen Debatten. In diesem Jahr setzen sich die Deutschlandradio-Programme in Beiträgen, Sendereihen, Diskussionen und Veranstaltungen mit dem Schwerpunktthema "Eine Welt 2.0 – ‚Dekolonisiert euch!‘" auseinander. An der Abstimmung über das diesjährige Denkfabrik-Thema hatten sich 17.000 Hörerinnen und Hörer beteiligt.
"Sie nehmen am internationalen Kunstdiskurs teil, während Siedler auf sie schießen"
Maria Thereza Alves im Gespräch mit Caren Miesenberger
Was hat die Benennung von Pflanzen mit Kolonialismus zu tun? Wie hängt das Trend-Essen Jackfruit mit Versklavung zusammen? Die brasilianische Künstlerin Maria Thereza Alves erklärt, warum Deutschland seinen Blick auf die Botanik korrigieren muss.
Maria Thereza Alves im Gespräch mit Caren Miesenberger
Was hat die Benennung von Pflanzen mit Kolonialismus zu tun? Wie hängt das Trend-Essen Jackfruit mit Versklavung zusammen? Die brasilianische Künstlerin Maria Thereza Alves erklärt, warum Deutschland seinen Blick auf die Botanik korrigieren muss.
Deutschlandfunk Kultur: In Ihrem Projekt benennen Sie Pflanzen um. Warum?
Maria Thereza Alves: Im Tropenhaus des Botanischen Garten gibt es eine Pflanze, die nach Goethe benannt wurde. Und eine Pflanze, die nach dem deutschen Botaniker Hoffmann benannt wurde. Und eine mit dem Namen des Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx. Aber es gab keine Pflanzen mit den Namen indigener Führer oder Aktivisten. Ich habe mich gefragt: wieso ist das so einseitig? Vor allem, weil es sich um Pflanzen aus den Regionen indigener Menschen handelte. Also habe ich mir einen Weg überlegt, die Geschichte hineinzubringen, die normalerweise außen vorgelassen wird: Die Umbenennung der Pflanzen durch Europa.
Deutschlandfunk Kultur: Wie haben Sie das gemacht?
Maria Thereza Alves: Ich habe mit den Guaraní aus Grosso do Sul in Brasilien, gesprochen, mit denen ich seit 1980 arbeitete und gefragt, ob sie daran interessiert wären, daran mitzuarbeiten, den Botanischen Garten zu dekolonialisieren. So weit wie das möglich ist. Sie waren sehr interessiert.
Deutschlandfunk Kultur: Welche Pflanzen wurden beispielsweise umbenannt?
Maria Thereza Alves: Insgesamt sind es sechsundzwanzig. Es gibt eine Pflanze, die auf Latein Calathea lietzei heißt. Auf Guaraní heißt diese Pflanze: "Hogue-pe ndive ojoupe", was auf Deutsch bedeutet: "Pflanze von doppelter Bedeutung: Starke Farben sind die Schönheit der Frau. Schwache Farben sind die Schwäche des Mannes." Eine andere Pflanze, die auf Latein Aechmea gracilis heißt, heißt auf Guaraní "Yvoty pere poty jehexa nga'u". Das bedeutet auf Deutsch "Blume, die alle Männer, Frauen und Kinder verzaubert." Eine Andere heißt auf Latein: "Costus cuspidatus". Der Guaraní-Name lautet "Temitý-gue apere ñemopu'ã", was auf Deutsch mit "Pflanze mit der Blume voll Essenz, die den Menschen bessert. Es ist eine Pflanze, die durch ihre farbenreichen Blüten, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht, die durch Selbstverschulden hervorgerufene schwere Zeiten durchleben".
Deutschlandfunk Kultur: Der Titel der Arbeit, die Sie gemeinsam mit Lucrecia Dalt im Botanischen Garten zeigen, lautet "You will go away one day but I will not". Was ist die Geschichte dahinter?
Maria Thereza Alves: Die Arbeit ist benannt nach einer Pflanze, die nicht im Botanischen Garten steht. Aber weil diese Ausstellung sich Humboldt widmet, habe ich eine Pflanze gesucht, die nach ihm benannt ist. Die "nymphoides humboldtiana", wie sie auf Latein heißt, stammt aus Peru. Ich arbeite mit Guaraní, die leben dort nicht. Ich habe mit den Guaraní gesprochen und gesagt: Ich weiß, dass diese Blume nicht aus eurer Region ist. Sondern von etwas weiter nördlich. Aber ich würde sie gerne verwenden. So erhielt sie den Namen "Fünfeckige Blume, die das Wesen der Felder und Wälder widerspiegelt. Du wirst eines Tages fortgehen, aber ich nicht".
Deutschlandfunk Kultur: Sie arbeiten schon sehr lange mit Guaraní-Gruppen. Wie hat dieser künstlerische Prozess begonnen?
Maria Thereza Alves: Ich war eine der ersten in meiner Familie, die an der Universität studiert hat. Und habe mich dann gefragt, was ich studieren könnte, damit es meinen Leuten nützt. Also widmete ich mich Fragen der Menschenrechtsverletzung indigener Gruppen und ging zum International Indian Treaty Council. Ich wollte schon immer die Anführer der Guaraní-Community kennenlernen. Ein Teil meiner Familie ist Guaraní, ein anderer Teil ist aus Paraná. Ich habe mich mit Marçal Tupã-i in Mato Grosso do Sul getroffen. Er ist eigentlich aus dem Reservat Jaguapiru. Aber er wurde durch die brasilianische Regierung von seiner Familie getrennt und ins Exil in ein anderes Reservat gezwungen, weil er Aktivist war. Ich habe mit ihm gesprochen, weil ich mit dem International Indian Treaty Council eine nationale indigene Organisation gründen wollte. Er sagte dann, dass so eine Organisation gerade gegründet wurde. Aber das stand nicht in den Zeitungen, weil diese Informationen dort nicht landen. Ich dachte dann wow, was soll ich jetzt machen?
Deutschlandfunk Kultur: Und was haben Sie gemacht?
Maria Thereza Alves: Internationale Politik studiert. Ich bin auch Künstlerin. Und ich betrachte Kunst oder Politik nicht als verschiedene Kategorien.
Deutschlandfunk Kultur: Ist Ihnen während Ihrer Recherche eine Pflanze begegnet, deren Geschichte Sie besonders beeindruckt hat?
Maria Thereza Alves: Nicht in dieser Arbeit, aber in einer früheren Arbeit, die hieß "When they come, flee". Damals habe ich mich mit der Jackfruit beschäftigt. Diese Pflanze hat riesige Früchte. In Deutschland kann man die in asiatischen Supermärkten finden. Eigentlich kommen die aus Asien, aber sie wurden durch die portugiesischen Kolonialherren nach Brasilien gebracht. Und zwar als günstiges Protein für versklavte Menschen. Jackfrucht wurde über die gesamte Ostküste angebaut, in dem brasilianischen Küsten-Regenwald. Das ist problematisch, weil Pflanzen aus der Region zerstört wurden. Und diese Pflanze, die aus Asien kommt und mit dem Sklavenhandel zusammenhängt, wächst dort sehr stark. Sie nimmt die Flächen der lokalen Pflanzen ein. Also habe ich eine Arbeit darüber gemacht.
Deutschlandfunk Kultur: Dekolonialisierung ist momentan ein Trend in westeuropäischen Kunstinstitutionen. Wie sehen Sie diese Entwicklungen?
Maria Thereza Alves: Schwierig. Es gibt die Sydney Biennale, die zum ersten Mal von einem indigenen Künstler kuratiert wird. Das ist sehr interessant, denn indigene Künstlerinnen und Künstler werden in das Mainstream-Business eingebettet, im Rahmen des zeitgenössischen Diskurses zitiert und nicht ins Ghetto der Außenseiterkunst gesteckt. Auch in Brasilien haben wir in der Pinakothek in São Paulo zum ersten mal einen indigenen Künstler als Kurator einer Ausstellung. Und das war auf Initiative des deutschen Chefs der Pinakothek von São Paulo.
Deutschlandfunk Kultur: Jochen Volz, der vorher unter anderem das riesige brasilianische Open Air-Museum Inhotim leitete und der auch Grada Kilomba in die Pinakothek von São Paulo holte.
Maria Thereza Alves: Genau. Er macht seine Arbeit großartig. Es gab kürzlich auch eine sehr wichtige Ausstellung in Rio de Janeiro, die von einem indigenen Kurator kuratiert wurde. Die Pinakothek in São Paulo ist die erste, die eine indigene Person in den internationalen zeitgenössischen Kunstdiskurs bringt. Geleitet von einem deutschen Direktor. Nicht von einem brasilianischen Siedler. Jetzt hat auch das Museu de Arte in São Paulo das erste Mal einen indigenen Kurator eingestellt. Das ist das Ergebnis dieser Entwicklung. Auf bestimmte Teile der brasilianischen Gesellschaft wurde Druck ausgeübt wurde, sich zu öffnen. Aber es war nicht ihre Entscheidung.
Deutschlandfunk Kultur: Wie ist die Situation in dem Reservat, mit dem Sie gearbeitet haben?
Maria Thereza Alves: Es ist sehr hart. Am 3. Januar kam die Polizei in das Reservat und erschoss sechs Personen. Einer wurde in ein Notfallkrankenhaus mit rassistischem Personal gebracht, das sagt, das sei Krankenhaus für Weiße. Wenn man also nicht von der Polizei erschossen wird, landet man dort. Das Gebetshaus im Reservat wurde durch Brandstiftung vernichtet. Dieses Haus ist sehr wichtig, als Kulturzentrum. Dort kommt nachts die ganze Gemeinschaft zusammen. Die Kinder spielen, die Teenager machen Musik. Es ist ein sehr starker Bezugsort im Alltag. Nachdem Bolsonaro gewählt wurde, kamen weiße Farmer in das Reservat, schossen und verwundeten 15 Menschen. Das ist die aktuelle Situation in dem Reservat, das all diese erstaunlichen Songs hervorgebracht hat. Sie haben uns erlaubt, 30 Liedern für die Arbeit im Botanischen Garten zu verwenden. Einige davon wurden in einem neuen Gebetshaus produziert, was sie neu aufbauen mussten. Sie nehmen am internationalen Kunstdiskurs teil, während Siedler auf sie schießen.
Deutschlandfunk Kultur: Sollen alle Pflanzen ihre ursprünglichen Namen zurückbekommen?
Maria Thereza Alves: Ich denke, wir sollten die Gemeinden fragen, wie sie sich wünschen, dass man damit umgeht. Fragen Sie die Menschen, die dort oder dort leben. Wie gehen wir mit dieser Situation um, in der all diese Dinge nur unter westlicher Idee stehen? Man muss die Communities einladen, diese Diskussion zu führen.
Das Gespräch für Deutschlandfunk Kultur führte Caren Miesenberger.
Lucrecia Dalt ist Komponistin und Soundkünstlerin. Gemeinsam mit Maria Thereza Alves hat sie die 360°-Installation "You will go away one day but I will not" komponiert.
Deutschlandfunk Kultur: Sie sind Soundkünstlerin, Maria Thereza Alves ist vor allem bildende Künstlerin. Wie sah die Arbeitsteilung zwischen Ihnen aus?
Lucrecia Dalt: Es war klar, dass ich den Sound mache, denn das ist, was ich ohnehin tue. In ihrem Fall war es ein Prozess der Recherche, aber auch ein Sound-Beitrag. Das lag an ihrer Recherche, die sie bereits mit der Gemeinschaft begonnen hatte. Ich habe dazu mit meiner Komposition korrespondiert.
Deutschlandfunk Kultur: In Ihrer Komposition haben Sie den Titel der Arbeit – "You will go away one day but I will not" – von verschiedenen Menschen einsprechen lassen.
Lucrecia Dalt: Ja. Die Arbeit hat viele Elemente, Loops und Aufnahmen, die ich gemacht und komponiert habe. In ihr sind auch Elemente, die ich gefunden habe. Um es etwas mehr mit dem Titel zu verbinden, habe ich überlegt, dass ich Beiträge von Menschen aus den tropischen Orten der Welt in nicht-kolonialen Sprachen haben wollte. Es gibt zwei Orte im Botanischen Garten, an denen diese Sätze auftauchen. Sie sagen den Satz "You will go away one day but I will not" in ihren Sprachen. Die Beiträge kommen aus den Amerikas, aus Afrika, aus Asien.
Deutschlandfunk Kultur: Was sind andere Elemente der Arbeit?
Lucrecia Dalt: Die Arbeit besteht aus vielen kleinen Fragmenten. Sie komponiert sich quasi selbst, während man geht und diese verschiedenen Elemente trifft. Alle sind rhythmische Muster, die aus Geräuschen bestehen: aus dem Wald, von Vögeln, von Tieren.
Deutschlandfunk Kultur: Die Arbeit komponiert sich selbst, während man durch das Tropenhaus geht. Aber sie wird auch im Radio laufen. Wie verändert sich dadurch die Hörerfahrung?
Lucrecia Dalt: Die Erfahrung hier und im Radio werden sich komplett voneinander unterscheiden. Aber die Aufnahme fürs Radio mache ich selbst. Und zwar, indem ich durch das Tropenhaus laufe. So kann man der Installation nahekommen, ohne selbst hier zu sein.
Deutschlandfunk Kultur: Woher haben Sie die Sounds, die Sie in Ihrer Arbeit verwenden?
Lucrecia Dalt: Ich war vor Kurzem bei einer Residenz in Kolumbien, also habe ich dort viele Feldaufnahmen im Wald gemacht. Außerdem habe ich Sounds aus Datenbanken für Geräusche benutzt, zum Beispiel für Vögel und andere Tiere. Diese Geräusche habe ich dann verarbeitet. Ich wollte diese sehr pulsierende Energie für die Arbeit haben. Wenn es einen Vogel gibt, dann gibt es ein Muster in dem Vogel. Seines Rhythmus. Das Muster korrespondiert mit einem Rhythmus von Zikaden, die vorher kommen. Aber alles folgt in gewisser Art der rhythmischen Regel, die ich für die ganze Arbeit gesetzt habe.
Das Gespräch für Deutschlandfunk Kultur führte Caren Miesenberger.