Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 06. März 2022
Soziale Ungleichheit
Seit den Protesten der „Gelbwesten“ in Frankreich ist das Bewusstsein für soziale Gegensätze wieder stärker entwickelt. © imago / PantherMedia / U Pixel
Klassenbewusstsein - ein verstaubter Begriff erlebt eine Renaissance
54:54 Minuten
Wer heute noch oder wieder zur Arbeiterklasse zählt, ist nicht leicht zu bestimmen. Dem Begriff „Klassenbewusstsein“ haftet ein nostalgischer Klang an. Eine Recherche zu sozialer Ungleichheit in Deutschland und Frankreich.
Eine Gruppe von deutsch-französischen Studierenden des Master-Studiengangs „Transnationaler Journalismus“ an der Universität Mainz und der Sorbonne-Nouvelle in Paris haben sich mit der Aktualität der Klassenfrage beschäftigt und in Deutschland und Frankreich in verschiedenen Bereichen recherchiert.
„Gelbwesten“ haben Klassenfrage gestellt
In Frankreich scheint das Bewusstsein für soziale Gegensätze heute (noch oder wieder) stärker entwickelt zu sein als in Deutschland. Spätestens seit den Protesten der „Gelbwesten“ steht das Thema auf der Tagesordnung. Allerdings haben die traditionellen Arbeiterparteien im linken politischen Spektrum bislang nicht von dieser Bewegung profitieren können. Im Gegenteil: Es ist eher den rechten Parteien wie dem „Rassemblement national“ gelungen, die Gelbwesten zu vereinnahmen.
Traditioneller Demo-Ort Place de la Bastille
Dennoch haben in Frankreich von Gewerkschaften organisierte Demonstrationen verstärkt Zulauf. So jedenfalls nehmen es einige der jungen Gesprächspartner wahr, die auf einer lautstarken Demo auf der Place de la Bastille, dem traditionellen Ort für soziale Proteste, anzutreffen waren.
Im Deutschland hat die Journalisten-Gruppe hingegen kaum Menschen getroffen, die sich ganz bewusst als Teil einer „Klasse“ sehen. Das gilt auch für so genannte „prekär“ Beschäftigte wie einen Kurier, der in einer Stadt im Rhein-Main-Gebiet mit dem Fahrrad Essen ausliefert. Er sieht die Tätigkeit als Job, den er nur für einen begrenzten Zeitraum ausübt. Dafür nimmt er auch die mangelnde soziale Absicherung in Kauf.
Neue Formen des (Zusammen-)Wohnens
Wohnen ist ein wichtiger Bereich der Existenzsicherung. Um den steigenden Mieten in den Ballungsräumen zu entkommen, hat ein Pariser die französische Hauptstadt verlassen und ist in der mittelgroßen Stadt Le Mans in ein generationenübergreifendes Wohnprojekt eingestiegen. Alternativen zum Wohnen in beengten Apartments probieren mehrere Familien auf einem Hofgut in Mecklenburg-Vorpommern aus, wo sie eine eigene Tischlerei eingerichtet haben und kulturelle Veranstaltungen organisieren.
Frankreichs elitäres Schulsystem
Frankreichs Bildungssystem ist vom Geist der „Meritokratie“ geprägt: jeder soll nach seinen Fähigkeiten gefördert werden und Zugang zu Bildungseinrichtungen haben. In der Praxis sieht das aber so aus, dass die Möglichkeit, eines der prestigeträchtigen Pariser Elitegymnasien zu besuchen, immer noch stark von der Herkunft der Eltern abhängt. Eine Umfrage in den säulengeschmückten Hallen des „Lycée Henri VI“, direkt neben dem Pantheon, hat ergeben, wie schwierig es für junge Leute aus einer schlecht beleumundeten Banlieue noch immer ist, trotz guter Leistungen dort unterzukommen. Viele kommen schon gar nicht erst auf die Idee, dass sie für eine derartige Schullaufbahn geeignet sein könnten. Daran müsse sich etwas ändern.