"Ich werde bestimmt Geigerin - in Deutschland"
Das kleine Land Georgien hat eine beachtliche Zahl von herausragenden Musikern hervorgebracht - allen Krisen und Kriegen zum Trotz. Wo liegt das Geheimnis? - Wir haben eine Musikschule für besonders begabte Kinder in Tiflis besucht.
Die 15-jährige Anna steht in einem großen, lichten Raum und spielt die Carmen-Fantasie von Pablo de Sarasate. Sie sind an der Zakaria-Paliashvili-Musikschule in Tiflis. Die gilt als die Talentschmiede Georgiens. Derzeit ist sie in einem alten Backsteingebäude untergebracht, das hoch am Berg über der Altstadt von Tiflis thront. Die Gitter vor den Fenstern im Erdgeschoss sind verrostet, die Treppenstufen aus Terrazzo bröckeln und sind völlig abgetreten. Der äußerlich schlechte und völlig veraltete Zustand der Schule korrespondiert allerdings so gar nicht mit dem, was sich in ihr abspielt.
Anna: "Diese Schule bedeutet mir sehr viel. Die Atmosphäre ist wundervoll, der Direktor ist so warmherzig. Es kommt auf die Atmosphäre an. Es ist ein Vergnügen, die Schule zu besuchen, auf der schon Katia Buniatishvili und Lisa Batiashvili waren, die zu den berühmtesten Musikern der Welt gehören. Es ist toll, hier zu studieren."
"Wir machen alles für die Kinder"
Direktor der Schule ist Nador Jvania. Er hat viele Jahre in Ingolstadt gelebt, wo er Teil des georgischen Orchesters war, das sich der Audi-Konzern leistet. Der heute 73-Jährige ist vor einigen Jahren nach Tiflis zurückgekehrt. Er unterrichtet Geige und gehört zu den vielen Musiklehrern an der Schule, die längst jenseits des Rentenalters sind und hier die jungen Ausnahmetalente unterrichten.
Nador Jvania: "Ich habe gedacht, dass ich nach Georgien zurückkommen muss und etwas machen muss für unsere Kinder. Und ich bin glücklich. Viele Schüler machen internationale Karriere. Meine Kollegen und ich, wir machen alles für die Kinder."
Die begabten Schüler orientieren sich stark in Richtung Westeuropa. Anna hat schon Kurse in der renommierten Kronberg-Akademie bei Frankfurt belegt, und sie ist begeistert von Deutschland:
"Ich werde ganz bestimmt Geigerin, und ich sehe mich selbst in Deutschland. Das ist für mich das Zentrum der klassischen Musik. Ich werde Geigerin, ganz bestimmt."
An der Zakaria-Paliashvili-Schule war auch Dudana Mazmanishvili. Schon mit sechs Jahren kam sie an die Begabtenschule und spielte zwei Jahre später das erste Mal mit einem großen Orchester. Heute repräsentiert sie ihr Land als Kulturattaché an der georgischen Botschaft in Berlin. Dass Georgien so viele Musiker von Weltklasse hervorbringt, erklärt sie mit der Gesangskultur des Landes.
"Wenn Sie mit einer georgischen Familie am Tisch sitzen, eine Supra, so ein Essensfest erleben, dann werden sie erleben, wie jeder singt. Wir haben zu Hause auch sehr viel gesungen. Wenn man so früh mit der Musik aufwächst, fällt auch in der klassischen Musik einiges leichter."
Georgischer Gesang ist UNESCO-Welterbe
Der georgische, sehr komplexe polyphone Gesang, von dem Strawinsky gesagt haben soll, er sei das achte Weltwunder, gehört längst zum UNESCO-Welterbe. Zu einer Supra, einem Festmahl, hat Vakhtang Kakhidze, der Dirigent des Symphonieorchesters von Tiflis, ins Haus seiner Familie eingeladen. An die Tafel, die sich unter georgischen Delikatessen nur so biegt, hat er auch das Rustavi Ensemble gebeten. Der Männerchor tourt viele Wochen im Jahr durch die ganze Welt. Das Geheimnis des Ensembles: Alle Mitglieder haben von Kindesbeinen an in ihren Familien gesungen.
Vakhtang Kakhidze: "Vor dem 10. Jahrhundert fand die Musik hier vor allem in der Kirche statt, so wie auch die Literatur oder die Kultur des Weines dort angesiedelt waren. Im 2. Jahrtausend änderte sich das. Die Kirche wurde demokratischer, es entstanden Volkslieder über die Arbeit, über Liebe und andere Themen des Lebens. So entstand eine Tradition der Folklore, in jeder Familie entwickelte sich eine andere."
Und ein weiteres sehr eindrucksvolles Gebäude zeugt von der Bedeutung klassischer Musik für die Georgier: das Staatliche Zakaria-Paliashvili-Theater für Oper und Ballett. Der Bau von 1896 mutet mit seinen Türmchen und Bögen orientalisch an. Die Eingangshalle verzaubert mit Fensterglasmosaiken in grün, rot und blau, der Zuschauersaal mit vergoldeten Balkonen. Auf der Bühne wird gerade geprobt "Keto und Kote", die komische Oper des georgischen Komponisten Viktor Dolidze soll die Saison eröffnen.
Gute Sängerin ist auch für die Geige geeignet
Von den repräsentativen Spielorten zurück zu bescheideneren Gemäuern: die Musikschule. Anna hat ihr Instrument und erzählt, wie sie zum Geigenspiel gekommen ist. Bei der Aufnahmeprüfung an der heimischen Musikschule hatte sie noch gar kein Instrument beherrscht:
"Bei meiner Aufnahmeprüfung habe ich einfach gesungen, und sie haben gesagt, Du hast eine tolle Stimme."
Und man gab ihr eine Geige. Das war der Beginn ihrer musikalischen Karriere. Das Singen hat sie schon sehr früh in ihrer Familie gelernt. Gemeinsam mit einer Lehrerin der Schule stimmt sie ein altes Volkslied an, andere Umstehende fallen ein.