Verzaubertes Piano
Diese Woche mal anders. Musikchef Holger Hettinger beschäftigt sich mit Klassik-Neuerscheinungen. Ein wahres Erlebnis sei Bachs Präludium a-moll aus dem "wohltemperierten Klavier" in der Interpretation der Pianistin Dina Ugorskaja, findet er.
Johann Sebastian Bach: Aus dem "Wohltemperierten Klavier": Präludium a-moll
Dina Ugorskaja, Klavier
Man braucht ein paar Takte, bis man es erkennt: Stimmt ja, das ist das a-moll Präludium aus dem zweiten Band von Bachs "Wohltemperierten Klavier". So ganz anders, als man es kennt: Hier dominiert keine Motorik, hier wird keine Struktur verdeutlicht, das ist auch keine "tönend bewegte Form".
Nein, die Pianistin Dina Ugorskaja macht aus diesem Präludium eine verinnerlichte Meditation. Sie leuchtet die Nebenstimmen aus, die, man ahnt es, eigentlich gar keine Nebenstimmen sind, taucht auf der Suche nach Klangvaleurs und Abtönungen in den Notentext ein – man muss sich, wie gesagt, ein wenig hineinhören in diese sehr subjektive Interpretation, aber dann funktioniert der Zauber.
In einer stattlichen Box sind diese Kostbarkeiten versammelt: die Gesamteinspielung des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach durch Dina Ugorskaja.
Muss man gehört haben? Ja, mehr noch: Muss man erlebt haben.
Christina Pluhar: "Orfeo cháman" – daraus: "La selva”
Ensemble "L’arpeggiata" / Luciana Mancini, Sopran
Orpheus, der Sänger, Seelensucher, Weltenwander, der… - ach, was weiß denn ich. Die Orpheus-Geschichte ist sehr en vogue auf Europas Bühnen und so ist man dankbar, dass Christina Pluhar mit ihrer Oper "Orfeo Chamán" die alte Geschichte neu erzählt: Orpheus als Schamane!
Sie verknüpft den alten griechischen Mythos mit einer Erzählung aus der präkolumbianischen Mythologie. Hört sich erstmal wild und aufregend an, aber je länger man sich in die CD hineinhört, desto mehr ist die Luft raus: nette folkloristische Melodien treffen auf gefällige Gesangsdarbietungen, um einen Mythos neu zu erzählen, ist das etwas wenig.
Um fair zu bleiben: Das ist der Eindruck, den ich beim Hören der CD hatte. Betrachtet man das Booklet mit den farbenfrohen Kostümen und Bühnenbildern, dann könnte man vermuten, dass das alles zusammen sehr gut funktioniert.
Also: muss man definitiv nicht gehört haben – aber sehr wohl mal gesehen. Im November bietet sich eine schöne Reise nach Paris an: Dann wird Christina Pluhars "Orfeo Chamán" in der Salle Gaveau gezeigt.
Joseph Haydn: Klaviertrio g-Dur Hob. XV:25 – 3. Satz
Riccardo Minasi / Maxim Yanychev / Federico Toffano
Ich stelle mir das so vor: Da probt ein Klaviertrio das "Zigeunertrio" von Joseph Haydn, den ganzen langen Tag und nimmt es dann auf. Dann, so stelle ich mir das jedenfalls vor, trinken die Musiker das hochverdiente Belohnungsbier und noch eins und noch eins und dann greifen sie wieder zu den Instrumenten, während zufällig die Mikrofone noch eingeschaltet sind. Dann bekommt das flotte Rondo am Schluss genau jenen waghalsigen Bums, jene mitreißende Kraft, die man sich im Konzertsaal oder im Aufnahmestudio nie trauen würde.
Okay, das mit dem Bier ist jetzt ein wenig ungerecht, denn Riccardo Minaso, Maxim Yanychev und Federico Toffano spielen viel zu präzise, aufeinander horchend und tonschön, um auch nur in die Nähe einer Bierflasche gekommen zu sein, aber dieses Hochrisiko-Spiel mit sehr, sehr glücklichem Ausgang: Ja, das muss man gehört haben! Unbedingt!