Klassiker und Klassenkampf

Von Heinz Kersten |
Am 17. Mai 1946 hatte die DEFA als erste deutsche Filmgesellschaft nach dem Ende des NS-Regimes eine sowjetische Lizenz erhalten. Damit begann ein neues Kapitel der deutschen Filmgeschichte. In Höhen und Tiefen spiegelt es auch DDR-Geschichte. Nach den hoffnungsvollen Anfängen im Zeichen des Antifaschismus geriet die DEFA immer mehr in die Abhängigkeit einer staatlichen Kulturpolitik. Die Filmemacher bewegten sich stets im Spannungsfeld zwischen ihrem künstlerischen Anspruch, den Bedürfnissen des Publikums und den Direktiven der Partei.
"Der Film als Massenkunst muss eine scharfe und mächtige Waffe im Kampf gegen die Reaktion für die tiefgehende Demokratie, gegen den Krieg und den Militarismus, für Frieden und Freundschaft aller Völker der ganzen Welt werden."

17. Mai 1946 Filmstadt Babelsberg: In einer vom Krieg unzerstört gebliebenen Atelierhalle übergibt vor vielen prominenten Gästen, Künstlern und Vertretern der vier Besatzungsmächte der sowjetische Kulturoffizier die erste Lizenz an eine deutsche Filmgesellschaft nach dem Kriege: offizielle Geburtsstunde der DEFA.

Die Vorbereitungen hierfür begannen bereits am 17. November 1945. Damals trafen sich im ausgebombten Berliner Hotel Adlon auf Einladung der sowjetzonalen Zentralverwaltung für Volksbildung rund vierzig Regisseure, Autoren, Kameraleute und Schauspieler, aus denen sich ein sogenanntes "Filmaktiv" bildete: Kern der DEFA. Der Regisseur Kurt Maetzig erinnerte sich später:

"Es war das Kennzeichen dieser Stunde, dass die, die sich dort freiwillig zusammenfanden, von einer ungeheuren, alle Schwierigkeiten beiseite schiebenden Begeisterung erfüllt waren. Wir fühlten uns befreit, wir fühlten uns endlich in eine Zeit versetzt, in der menschliche, den Menschen dienende Kunst wieder erblühen konnte und all das, was uns an Schwierigkeiten entgegenstand, das erschien uns klein."

Bereits vor der offiziellen Gründung der DEFA, im Februar 1946, meldete sich die neue Filmgesellschaft mit einer eigenen Wochenschau auf der Kinoleinwand: "Der Augenzeuge".

Als Vorspann hatte ihr Schöpfer Kurt Maetzig, der dann 21 Spielfilme drehte, ein Motto vorangestellt, das den Unterschied zu den manipulativen Kriegswochenschauen des NS-Regimes deutlich machen sollte:

"Sie sehen selbst - Sie hören selbst - Urteilen Sie selbst!"

Zur selben Zeit fanden bereits die Dreharbeiten zum ersten Spielfilm der DEFA statt. Sein Titel: "Die Mörder sind unter uns". Regie führte Wolfgang Staudte, der die Nazizeit als Nebendarsteller und Regisseur von vier Unterhaltungsfilmen überstanden hatte. Schon in den letzten Wochen des Hitler-Reiches hatte der entschiedene Nazi-Gegner einen Stoff konzipiert, auf dessen Realisierung er nach der Befreiung brannte:

Wolfgang Staudte: "Ich wollte den Film machen. Da ich lebte im englischen Sektor, bin ich natürlich zu den Engländern gegangen, habe Kontakt mit den Franzosen aufgenommen und habe Kontakt zu den Amerikanern aufgenommen. Bei den Amerikanern war der Filmoffizier, der sagte: Herr Staudte, in den nächsten fünf, sechs Jahren wird in diesem Lande überhaupt kein Film gemacht. Und wenn, von uns."

Dieser amerikanische Filmoffizier war übrigens der Schauspieler Peter van Eyck. Doch dann kam Staudte die Gründung des "Filmaktivs" im Sowjetsektor zur Hilfe. Allerdings bedurfte es natürlich noch der Genehmigung seines Projekts durch die Besatzungsmacht.

Wolfgang Staudte: "Dann fand ich also doch den Weg zu diesem verantwortlichen Filmoffizier. Der sprach fließend deutsch, und er sagte: Ja, das wird gemacht. Ich habe es in meiner Schublade, ich habe es genau studiert und werde den Stempel nach unserem Gespräch draufdrücken."

An die Bedingungen, unter denen der erste deutsche Spielfilm nach dem Kriege entstand, erinnert sich Staudtes Hauptdarstellerin, eine damals noch ganz junge, ziemlich unbekannte Schauspielerin - Hildegard Knef:

"Wir haben sehr viel außen gedreht, und ich hab’ den Film in Amerika gesehen, auch über Kabel. Und mich riefen Freunde an und sagten: Warum habt ihr so fürchterliche Hintergründe, das ist ja grauenhaft, was die da im Studio aufgebaut haben. Und ich sagte: Ihr seid verrückt, das ist der Alexanderplatz, so sah der aus. Das kann doch nicht wahr sein. Ich sagte: Ja, es war nichts da, es war nichts, es waren nur Ratten. Und dennoch war es zur gleichen Zeit atemberaubend, weil: In diesen Trümmern entstand etwas."

Am 15. Oktober 1945 fand die Uraufführung von "Die Mörder sind unter uns" statt. Zu diesem musikalischen Auftakt sahen die Premierengäste dieses ersten deutschen Spielfilms nach dem Kriege im damaligen Haus der Deutschen Staatsoper, dem Berliner Admiralspalast, auf der Leinwand die Ruinen ihrer Stadt. In dieser authentischen Kulisse spielte die Geschichte des innerlich zerbrochen aus dem Kriege heimgekehrten Arztes Dr. Mertens. Sie endete mit der Begegnung zwischen ihm und seinem ehemaligen Kompaniechef, der an einem Weihnachtsabend im Kriege polnische Zivilisten erschießen ließ und jetzt als Fabrikant aus Stahlhelmen Kochtöpfe herstellt.

Schlussszene "Die Mörder sind unter uns":
"Ich fordere Rechenschaft, Herr Hauptmann Brückner."
"Rechenschaft, wofür Rechenschaft?"
"36 Männer, 54 Frauen, 31 Kinder, Munitionsverbrauch 347 Schuss."
"Ja was denn, da war doch Krieg, da waren doch ganz andere Verhältnisse; was habe ich denn heute damit zu tun? Jetzt ist doch Frieden, wir haben doch Weihnachten, Friedens-Weihnachten. Mensch, um Gottes willen, meine Frau, meine Kinder, die Kinder, was haben meine Kinder damit zu tun?"
"Hans!"
"Ich danke dir"."

In letzter Minute wird Mertens von der Frau, die ihn liebt, davon abgehalten, sich selbst zum Richter aufzuwerfen. Ursprünglich wollte Staudte Brückner durch Mertens erschießen lassen; aber der sowjetische Kulturoffizier, dem das Exposé vorgelegt werden musste, erhob dagegen Einspruch.

""Wir haben nicht das Recht zu richten, nein Susanne, aber wir haben die Pflicht, Anklage zu erheben, Sühne zu fordern im Auftrag von Millionen unschuldig hingemordeter Menschen."
"Was denn, was wollen Sie denn von mir? Ich bin doch unschuldig, hören Sie, ich bin doch unschuldig! Ich bin doch unschuldig…"

Für die DEFA war Staudtes Film ein programmatischer Auftakt. Er lieferte eine Bestandsaufnahme des nicht nur materiellen, sondern auch moralischen Trümmerfeldes, das die Nazis hinterlassen hatten, und sollte Mahnung sein und Verpflichtung zum Aufräumen. "Die Mörder sind unter uns", bald auch in 24 Staaten des Auslands gezeigt, begründete eine gute Tradition aufklärerischer Filme über Nazismus und Krieg.

Seinerzeit freilich war Staudtes DEFA-Debüt kein historischer, sondern ein Gegenwartsfilm, der erste einer ganzen Reihe von "Trümmerfilmen", wie man sie bald nannte. Wie in diesem Fall das Thema der Kriegsheimkehrer, behandelten andere frühe DEFA-Filme ebenfalls typische Nachkriegsprobleme, zum Teil im Gewande leichter Unterhaltung: die Wohnungsnot, Kriegswaisenkinder, Umsiedler, die Gefahr der damals weit verbreiteten Geschlechtskrankheiten oder Schwarzer Markt und Schiebergeschäfte.

Viele Künstler, die damals bei der DEFA arbeiteten, kamen aus den westlichen Besatzungszonen oder den Westsektoren Berlins. Es gab auch manche Ähnlichkeiten noch zwischen den seinerzeit dort entstandenen, politisch unverbindlichen Produktionen und manchem Babelsberger Film aus jenen Tagen. Unterschiede wurden zunächst vor allem bei der ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vergangenheit deutlich - bei der Behandlung von Stoffen aus der Gegenwart zeigten sie sich erst später.

Vom 15. bis 17. Mai 1951 - der Gründungstag der DEFA jährte sich zum fünften Mal - war auf einer Tagung des ZK der SED der "Kampf gegen den Formalismus" proklamiert worden - Nachvollzug dessen, was durch Shdanow in der Sowjetunion bereits an Reglementierung der Künste vorexerziert wurde; gleichzeitig forderte die Partei den Übergang vom Kritischen zum Sozialistischen Realismus. Auf einer eigens einberufenen "Konferenz der Filmschaffenden" redete ZK-Mitglied Hermann Axen am 17. September den DEFA-Leuten ins Gewissen:

"Die ernsten ideologisch-politischen und künstlerischen Fehler in DEFA-Filmen, alle organisatorischen und methodischen Unzulänglichkeiten sind auf das mangelnde Studium und die ungenügende Anwendung der Methoden des sozialistischen Realismus in unserem Filmschaffen im allgemeinen, auf die völlig unsystematische und oberflächliche Berücksichtigung der Erfahrungen der sowjetischen Filmkunst im besonderen zurückzuführen. Die Kunst des sozialistischen Realismus meistern, heißt, den Marxismus-Leninismus zu studieren und künstlerisch anzuwenden."

Die Anwendung des Rezepts in der Praxis hatte zur Folge: Handlungsklischees und Schwarz-Weiß-Malerei, Übertypisierung der Figuren und Verzicht auf individuelle, differenzierte Charakterisierung, formale Sterilität.

Erst mit dem nach dem Tode Stalins verkündeten "Neuen Kurs" änderte sich etwas, das sich in der Filmproduktion der Jahre 1953 bis 57 niederschlug. Konzessionen an den Publikumsgeschmack gehörten ebenso dazu wie eine teilweise Entpolitisierung. In diese Periode fällt das zehnjährige Jubiläum der DEFA.

Die Festversammlung im Haus der Ost-Berliner Volksbühne erlebte die Premiere eines neuen Films von Martin Hellberg. Der temperamentvolle Theatermann war 1951 nach Babelsberg gerufen worden und drehte bis 1964 15 Filme. Das Szenarium zu Hellbergs Jubiläumsfilm von 1956 hatte der im Oktober 1953 verstorbene Dramatiker Friedrich Wolf noch kurz vor seinem Tode vollendet, Titelheld: Thomas Müntzer.

Schlussszene "Thomas Müntzer":
"Hört des Müntzers Botschaft: Liebe Brüder, wir dürfen nicht länger schlafen. Der Meister will sein Spiel machen. Die Bösewichter müssen ran, ran, ran - dieweil ihr zaghaft. Ihr müsst den Brüdern übern Main die Hand reichen. Ganz Deutschland muss ins Spiel kommen!"

Der Aufruf war mehr als die Schlussapotheose eines monumental in Szene gesetzten historischen Bilderbogens aus dem deutschen Bauernkrieg. Er hatte durchaus auch aktuelle politische Bedeutung. Den Brüdern übern Main die Hand zu reichen, ganz Deutschland ins Spiel zu bringen: das war Mitte der fünfziger Jahre noch Ziel der DDR-Politik, und dem entsprach auch in Babelsberg eine Öffnung nach Westen. Freilich, Verhandlungen über Koproduktionen scheiterten an einem Bonner Veto. Dafür kamen in jener Zeit vier Gemeinschaftsproduktionen mit französischen Firmen zustande.

Einflüsse des italienischen Neorealismus zeigten sich in einigen gelungenen Berlin-Filmen, wie sie später genannt wurden. Vornehmlich in Geschichten Jugendlicher widerspiegelten sie die Wirklichkeit der geteilten Stadt. Herausragendes Beispiel: "Berlin - Ecke Schönhauser", Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, Regie: Gerhard Klein.

Ausschnitt "Berlin - Ecke Schönhauser":
"Wie viele Filme hast du drüben schon gesehen?"
"Mindestens hundert."
"Spezialist für heiße Sachen."
"Und wie ist das mit deiner Lehrstelle?"
"Ich kriege ja keene. Ich bin zweimal sitzen geblieben, und jetzt nimmt mich keener, noch nicht mal die VEB, höchstens als Schlachterlehrling."
"Das ist doch gut!"
"Nee, kann keine Tiere umbringen."
"Haltet die Klappen!"
"Was möchtest denn du gerne werden?"
"Mechaniker oder Flugzeugführer."
"Mit de Kiste würde ich aber nicht fliegen."
"Hör mal zu, mein Junge, um die Lehrstelle werde ich mich kümmern, aber um die Strafe für die Laterne kommst du natürlich nicht rum."
"Schade."
"Tut mir leid, für mich können sie gar nichts tun. Ich stehe in fester Arbeit und ernähre mich selbst."
"Großartig, da redest du gar nicht mit mir?"
"Ich habe schon einen Bruder bei der Volkspolizei, der erzählt mir genug, was mich nicht interessiert."
"Was interessiert dich denn überhaupt? Das würde mich interessieren."
"Das lässt sich schwer sagen. Motorräder."
"Und sonst?"
"Fußball."
"Und sonst?"
"Sonst nichts, und am besten ist, Sie lassen uns in Ruhe."

Kritik an "Berlin - Ecke Schönhauser" wurde laut auf einer Filmkonferenz im Juli 1958, die noch einmal versuchte, die Entwicklung zurückzudrehen.

Autoren und Regisseure traf der Vorwurf von "Tendenzen des Opportunismus und Revisionismus". Die in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern zu beobachtende und von internationalen Erfolgen begleitete Befreiung des Films aus doktrinärer Enge zwang jedoch auch die SED zu einem Überdenken ihrer Filmpolitik, wenigstens in ästhetischen Fragen.

Nach der Abschottung der DDR durch den Bau der Mauer am 13. August 1961 gewannen vor allem Drehbuchautoren und Dramaturgen an politischem Selbstbewusstsein. Der Westen als Störfaktor im argumentativen Diskurs war reduziert worden, nun begann man sich größere Freiräume zu erobern, wollte den eigenen Staat auch durch Kritik attraktiver machen.

Konrad Wolfs Verfilmung von Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel" war 1964 eine der letzten DEFA-Produktionen, die sich mit den aus der deutschen Teilung erwachsenen menschlichen Problemen befasste. Gleichzeitig wurde hier die Auseinandersetzung mit den Dogmatikern in den eigenen Reihen geführt.

Ausschnitt "Der geteilte Himmel":
"Ich fasse zusammen: Strenge Bestrafung von Sigrid und Rita, weil sie unser Vertrauen missbraucht haben. Wir sind weiter der Meinung, dass Sigrid mit dem Verschweigen der Republikflucht ihrer Eltern nicht die moralischen Qualitäten einer zukünftigen Erzieherin junger Menschen besitzt. Wir fordern deshalb ihren Ausschluss vom Institut."
"Für wen sprechen Sie, für die Genossen?"
"Es gibt einen Beschluss, einen Beschluss, in dem festgelegt ist -"
"Was für einen Beschluss? Und was sagt ihr über die Gründe von Sigrids Verhalten, warum hat sie kein Vertrauen zu uns?"
"Warum? Weil sie die Parteilinie nicht versteht, darum."
"Was stellen Sie sich unter Parteilinie vor, Genosse Mangoldt?"
"Nicht den Widersprüchen ausweichen, zuspitzen, den Kern bloßlegen, das ist parteigemäß."
"Sorgen Sie lieber dafür, dass eine Sigrid merkt: für sie ist die Partei da."

Einige führende Genossen der Partei beobachteten freilich die Zunahme kritischer Tendenzen in DEFA-Gegenwartsfilmen mit gesteigertem Argwohn. Im Dezember 1965 beschäftigte sich das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED mit solchen unerwünschten Erscheinungen in Babelsberg.

Einigen beanstandeten Filmen wurde der Weg in die Kinos versperrt, andere zum Teil vielversprechende Arbeiten fielen einem verfügten Produktionsstopp zum Opfer: der schlimmste Kahlschlag in der Geschichte der DEFA. Meistgenannter der in der Versenkung verschwundenen Filme: "Das Kaninchen bin ich" von Kurt Maetzig. Konrad Naumann, damals Sekretär des Zentralkomitees der SED und Leiter der Abteilung Parteiorgane, später 1. Bezirkssekretär von Berlin, entrüstete sich:

"Man hat uns gestern den Film gezeigt und sicher mit Absicht, Kaninchen, Kaninchen bin ich, heißt er. Es ist folgende Schweinerei: das ist doch nicht nur schlechthin sozusagen ne ideologische Verwilderung. Das ist, nebenbei gesagt, für mich auch Wirtschaftsverbrechen. Solche Dinger entstehn, da stehen Gedanken dahinter, da schreibt man - gibt’s denn da nicht jemand, der den an die Seite nimmt: Komm mal her, was hast du überhaupt geschrieben. Und wenn er nicht hört, dass er nicht hört, was das Leben fordert, das, was die Linie des Sozialistischen Realismus fordert, dann kriegt der überhaupt keene Tribüne. Aber bei uns kriegt er Technik, da kriegt der dufte Kameramänner, da kriegt der Mäuse und dazu dann interne Vorführungen, von dem die Menschheit nicht hat, nich e mal, wenn wir’s könnten, sage ich ganz ehrlich, sollten sich noch mehr an den Film erzürn. Genossen, in dem Film wird außerdem Berlin beleidigt. Ich will auch mal ganz offen sagen: So ’ne primitive italienisch sozialkritische Masche gähnt und kotzt mich an!"

Der so attackierte Regisseur Kurt Maetzig erinnert sich an die Vorführung seines Films:

"Es ertönten Rufe: Sofort verhaften und ähnliches. Nur Christa Wolf widerstand damals diesem Klima, der Hexenjagd, die entfesselt wurde. Und ich glaube, es hängt wohl damit zusammen, dass man die negative Hauptgestalt dieses Films, diesen karrieristischen Richter, identifizierte mit der Justiz der DDR überhaupt. Das war ein sehr empfindliches Gebiet, und vielleicht ist das der Grund, dass der Film so an die Spitze der Kritik geriet."

Die von oben beförderte Verunsicherung der Filmemacher hatte einen zeitweisen Rückzug in nicht zu Verdächtigendes zur Folge.

Ausschnitt "Spur des Falken":
"Sie morden unsere Büffel und geben sie den Geiern zum Fraß, wir sollen verhungern. Wenn die weißen Diebe glauben, dass wir ihrem feigen Büffelmord zusehen, irren sie. Hört ihr das Feuerross? Es bringt neue Diebe und Mörder. Wir werden ihnen zeigen, was es heißt, uns herauszufordern!"

Man entdeckte in Babelsberg ein neues Thema, das sich bald als ebenso publikumswirksam wie exportträchtig erweisen sollte. 1966 begann eine Serie von zwölf Indianerfilmen. Auch historische Abenteuerfilme und Utopisches auf 70 mm kamen von der DEFA in die Kinos. Einen Besucherrekord mit drei Millionen Zuschauern erzielte die von den Kulturhütern der Partei ungeliebte "Legende von Paul und Paula", noch heute ein Kultfilm, musikalisch begleitet von der immer noch aktiven Rockgruppe der Puhdys.

Musik: Die Puhdys aus "Die Legende von Paul und Paula":
"Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen. Geh zu ihr, denn du lebst ja nicht vom Brot allein. Augen zu, dann siehst du nur diese eine, halt dich fest und lass deinen Drachen steigen."

In der "Legende von Paul und Paula" steckte weit mehr als die fast moritatenhafte Liebesgeschichte, die da von Heiner Carow und seinem Szenaristen Ulrich Plenzdorf erzählt wurde. Dieser Film war auch eine Reflexion über die Liebe, über Bevormundung und Anpassung, über die Dialektik von Ideal und Wirklichkeit und am Rande auch über das Kino selbst.

Ein Erfolg, der dann ähnlich nur noch einmal 1980 mit Konrad Wolfs letztem Spielfilm "Solo Sunny" erreicht wurde. Der Regisseur wollte diese von Wolfgang Kohlhaase geschriebene Geschichte einer unangepassten Schlagersängerin auch als einen Appell an die Gesellschaft verstanden wissen und schrieb den Gegnern gelebter Individualität ins Stammbuch:

"Unsere Gesellschaft, der Sozialismus, ist auf Dauer nicht nur darauf zu orientieren, die menschliche Erwartung, den Persönlichkeitsanspruch und das Angebot so einer Sunny zu dulden oder auch anzustreben. Sie ist auf Dauer angewiesen auf solche Charaktere."

Ein weiterer Kommentar Konrad Wolfs zu seinem Film wirkt heute fast wie eine Vorwegnahme aktueller Diskussionen:

"Für mich ist die schleichende, alltäglich-selbstverständliche Brutalität in den Beziehungen viel aufregender und bedrohlicher als jeder unverhüllte Extremfall. Diese Mischung aus Gleichgültigkeit, Empfindungsarmut, Ich-Bezogenheit, aus der sich Katastrophen vorbereiten, deren Ursachen keiner mehr entschlüsseln kann."

Auffallend häufig standen in den siebziger und frühen achtziger Jahren Frauen im Mittelpunkt der Filme, und nicht vergessen werden sollte die kontinuierliche Produktion gelungener Kinderfilme. Ein bemerkenswertes Phänomen vieler DEFA-Filme vor der "Wende" dann: Ihre Helden scheitern zugleich in ihrem beruflichen Engagement und ihren privaten Beziehungen - eine Vorwegnahme des Scheiterns des großen Experiments DDR. Ein Beispiel: "Die Architekten".

Ausschnitt "Die Architekten":
"Wie soll man sich in einem Land wohlfühlen, wo ein Neubau aussieht wie der andere, die Kaufhalle in Neubrandenburg genau wie in Doberlug-Kirchhain oder in Leipzig."
"Bitte lassen Sie das. Ich habe nicht vor, mit Ihnen über unsere Baupolitik zu streiten, und Ästhetik-Debatten führen Sie auch nicht mit mir."

Als "Die Architekten" - Regie: Peter Kahane - Ende Mai 1990 in die Kinos kamen, interessierte sich kaum noch jemand für sie - ein Schicksal, das der Film mit allen anderen der letzten DEFA-Produktionen teilte, die noch bis zur zwei Jahre später erfolgten Abwicklung der Firma entstanden. Ihr bisheriges Publikum hatte jetzt andere Sorgen, genau wie der DEFA-Nachwuchs - Regisseur Peter Welz:

"Das, was wir vor der Wende drehen wollten, wäre, ich würde mal sagen, zu neunzig Prozent sinnlos zu drehen, weil es innerhalb einer Gesellschaft angesiedelt war und auch kritisch angesiedelt war, wo, glaub’ ich, es keinen Zweck hat, jetzt noch Worte zu verlieren oder Filme zu verlieren. Ich glaub’, da kann man auch jeden bundesdeutschen Filmemacher fragen, also wie er sich da durchschlägt oder so. Für uns ist das Problem, dass wir das alles noch nicht so drauf haben, dass wir uns damit neu konfrontieren müssen und erst mal lernen, wie man klar kommt, Verbindungen knüpfen zu Produzenten, irgendwie ans Geld rankommen."

Einigen jüngeren DEFA-Regisseuren gelang es, auch in der veränderten Situation weiter zu arbeiten, die meisten älteren fanden mit neuen Produktionen keine Gegenliebe bei Produzenten oder Fernsehanstalten, konnten bis zum Ende der DEFA nur noch vorher konzipierte Projekte realisieren, die sich kritisch mit der DDR auseinander setzten.

Egon Günther, einer der profiliertesten und innovativsten DEFA-Regisseure, drehte damals, 1991, unter dem Titel "Stein" in Babelsberg einen Film über die innere Emigration in der DDR. Er selbst hatte nach zunehmenden Schwierigkeiten mit der Kulturbürokratie Ende der siebziger Jahre die DDR verlassen und in der Bundesrepublik Filme vorwiegend für das Fernsehen gemacht. Sein letzter Kinofilm entstand 1998: "Die Braut" über Goethe und Christiane Vulpius. Auf die Frage "Was war die DEFA?" antwortete Egon Günther einmal im Rückblick:

"Sie war natürlich mein Leben, das ist gar keine Frage. Das heißt ja nicht, dass man in dem Moment, wo man keine Filme macht, nicht mehr Filmemacher ist. Das war wirklich Heimat. Und dieses totale Kennen eines solchen Geländes wie dieses DEFA-Gelände ist ja nicht nur, dass man die Gebäude kennt oder die Ateliers oder die Mitarbeiter alle kennt. Ich bin sicher, dass in solchen Institutionen etwas entsteht, was man nicht real erklären kann. Der Geist des Ortes. Es ist der Geist des Ortes, den konnten die Faschisten nicht zerstören, den konnte Hugenberg nur ahnen, der das Studio gegründet hat, das konnten die Oberkommunisten nicht zerstören, das war schon Heimat."

Die Filmemacher der DDR standen stets im Spannungsfeld zwischen den politischen Postulaten der Partei, den Bedürfnissen und dem ästhetischen Rezeptionsvermögen ihres Publikums sowie den eigenen künstlerischen Ansprüchen. Sie haben unter diesen Bedingungen wesentliche Leistungen des deutschsprachigen Films nach dem Zweiten Weltkrieg erbracht. Dieses Erbe verwaltet jetzt eine DEFA-Stiftung. Vorstandsvorsitzender Helmut Morsbach formuliert ihre Aufgaben:

"Die eine, die Erhaltung des Materials selbst, meint vor allem in erster Linie Benutzbarmachung, dass wir diese Filme auch zeigen können. Die zweite Aufgabe ist Förderung von Künstlern, vor allem von jungen deutschen Künstlern. Das Geld aus der Verwertung wird dann in Fördermittel gegeben, und es können Stipendien und Förderprojekte beantragt werden."

In ihren Filmen lebt die DEFA weiter.

"Vor allem in den Programmkinos werden Filme gezeigt, und da bin ich unserem Auswerter dankbar, Progress-Filmverleih, der für uns die Rechteauswertung vornimmt, und es gibt einen zweiten Auswerter, das ist die Icestorm Entertainment, die bringt die Filme auf DVD und vermarktet relativ erfolgreich diesen ganzen Teil. Eine der Höhepunkte im letzten Jahr war eine Retrospektive im Museum of Modern Art in New York. Da haben wir gemerkt, wie groß das Interesse auch im Ausland ist. Anlässlich der 60 Jahre DEFA sind wir in diesem Jahr fast zwei Monate in einem kommunalen Kino in Basel in der Schweiz gewesen, wir waren in Paris, werden im Mai noch mal im Filmmuseum Austria in Wien sein. Und ich meine, da schließt sich der Kreis, dass Filme nicht nur im Inland, sondern zunehmend im Ausland gezeigt werden."

Musik: Puhdys aus "Legende von Paul und Paula":
"Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt, es wird Zeit, dass er geht."
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