Klassische Konzerte in Zeiten von Corona

Winterschlaf statt Weihnachtstrubel?

06:24 Minuten
Drei Orchestermusiker mit Masken. Alle drei spielen einen Kontrabass.
Klassische Konzerte sind zur Zeit nicht überall in Deutschland möglich - und wenn, dann nur unter strengen Auflagen. © imago / Hans Lucas
Von Leonie Reineke |
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Die Hürden vor einem klassischen Konzert sind in Deutschland zur Zeit hoch, mancherorts darf es gar keine Konzerte geben. Deutschland, ein Flickenteppich. Die Reaktionen der Orchester und Veranstalter reichen von Verständnis bis hin zu Resignation.
Ein groß besetztes Orchester, direkt vor den eigenen Augen und Ohren: für Musikliebhaber ist das mittlerweile ein seltener Genuss. Manche von uns haben vielleicht kürzlich erst wieder angefangen, in die Philharmonie zu gehen. Andere haben schon wieder aufgehört.
Die Gründe sind vielfältig: zu hohe Corona-Inzidenzen; abgesagte Konzerte wegen Einreiseproblemen von Musikern; Appelle von Seiten der Politik, Veranstaltungen zu meiden; oder sogar komplett geschlossene Konzerthäuser. Wie sieht die Orchesterkultur in Deutschland aktuell aus?
Ulrich Hauschild, Manager des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks sagt: "Ab einer 1000er-Inzidenz dürfen wir kein Publikum mehr zulassen. Ich habe mit meinem Orchester vereinbart: Wir spielen bis 999 mit Publikum, weil es eben so total sicher ist, im Konzertsaal zu sein."

Ein Viertel der Publikumsauslastung in München

In der Tat dürften Konzerte in München momentan vergleichsweise sicher sein. Für Musiker und Publikum gilt „2G plus“ – also geimpft oder genesen mit zusätzlichem Test. Im Saal greifen Abstandsregeln, Hygienekonzepte und eine gute Klimatisierung.
Bei all diesen Sicherheitsmaßnahmen ist es Hauschild schleierhaft, weshalb nur eine Publikumsauslastung von 25 Prozent zugelassen ist.
Er hat eine Vermutung, weshalb die Politik sich nach wie vor nicht besonders stark für den Kulturbetrieb einsetzt. "Die Luftfahrtgesellschaft hat eine Lobby, die Automobilindustrie hat eine Lobby, die Fußballclubs haben eine Lobby. Die sitzen im Vorzimmer der Machthaber und das haben wir in der Kultur so nicht."
Er hat auch eine These, warum die Kultur das nicht habe: "Weil die Kultur ein historisch föderal verzweigtes Kulturgeflecht ist. Und dieses Geflecht hat viele Gesichter im positiven Sinne – viele Identitäten, viele Farben und viele Genres. Und diese Vielfalt ist dafür verantwortlich, dass es keine einheitliche Lobby und Sprachregelung gibt", so Hauschild.
Das Leipziger Gewandhaus ist innen beleuchtet. Draußen ist es dunkel.
Bis zum 6. Januar finden im Leipziger Gewandhaus keine Konzerte statt.© picture alliance / dpa / Jan Woitas
Die mangelnde Lobbyarbeit der Kulturbranche sieht auch der Direktor des Leipziger Gewandhauses, Andreas Schulz, als Krux an der Sache. In seinem Bundesland allerdings hat man aktuell noch andere Sorgen: Die Inzidenz in Sachsen ist schwindelerregend hoch. Und so hat die Stadt Leipzig schon im November alle städtischen Kultureinrichtungen komplett geschlossen – bis zum 9. Januar.

Geschlossenes Gewandhaus in Leipzig

Für diesen Schritt hat Schulz Verständnis. Trotzdem stellt er sich die Frage, ob es nicht unfair ist, dass gleichzeitig die Großindustrie mal wieder unangetastet bleibt.
"Wir haben ein wirklich sehr gutes Hygienekonzept, wir haben auch einen sicheren Saal auf Grund der Klimatisierungsanlage", sagt er. Seit Ausbruch der Pandemie sei kein einziger Fall ins Gewandhaus nachverfolgt worden, dass sich jemand im Großen Saal oder im Mendelssohn-Saal angesteckt hätte. "Da ist es bedauerlich, dass wir zumachen müssen. Weil gerade jetzt im November, Dezember sind viele unserer Veranstaltungen: Weihnachtsoratorium, Beethovens Neunte, viele Chorkonzerte, et cetera, die nun leider ausfallen."
Die Weihnachtszeit ist für Konzerthäuser normalerweise ein wichtiger Baustein im Spielplan. Aber auch dieses Jahr muss Leipzig ohne Weihnachtsoratorium und ohne die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven auskommen.
Immerhin werden die Konzerte aufgezeichnet und im MDR-Hörfunk übertragen. Außerdem bespielen an den Adventssamstagen Orchestermusiker Hinterhöfe und Parkplätze von einem Bus aus.

Essen: Gäste geben Karten zurück

In manchen anderen Bundesländern wirkt die Lage weniger dramatisch und der Spielbetrieb läuft weiter. In Nordrhein-Westfalen etwa dürfen die Säle noch vergleichsweise großzügig ausgelastet werden. Trotzdem ist an Normalität nicht zu denken.
Auch das Publikum ist wieder ängstlicher geworden, meint Christoph Dittmann zu beobachten, der Leiter der Pressestelle der Philharmonie Essen.
Im Vordergrund leuchtet der Schriftzug der Philharmonie Essen. Im Hintergrund steht das erleuchtete Konzerthaus.
In Essen sind noch Konzerte möglich. Das Publikum wird aber vorsichtiger.© picture alliance / blickwinkel / S. Ziese
"Wir können durchaus beobachten, dass in den vergangenen Tagen Gäste die ersten Karten auch wieder zurückgeben." Zudem habe die Nachfrage für die nächsten Wochen nachgelassen. "Das war vor drei, vier Wochen oder auch zu Beginn der Spielzeit noch etwas anderes. Die Begeisterung war sehr groß."
Wer zu den Veranstaltungen und Konzerten sei auch "enthusiastisch und von einer großen Begeisterung beseelt", sagt Christoph Dittmann. "Die, die da sind, wissen das sehr zu schätzen und freuen sich, aber es wird doch etwas zurückhaltender."

Von gestresst bis zuversichtlich

Es ist wie das Drehbuch einer sehr schlechten, unglaubwürdigen Fernsehserie, deren vierte Staffel nur noch überflüssig wirkt: Die Coronawellen- und Verordnungs-Déjavus nehmen kein Ende – vor allem für das Kulturleben nicht.
Und so unübersichtlich und unvorhersehbar die Lage aktuell ist, so heterogen ist auch das Stimmungsbild bei den Konzerthäusern: von "gestresst, aber zuversichtlich" bis "frustriert" oder "entrüstet über politische Entscheidungen" ist alles dabei. Und jede dieser Positionen hat sicherlich ihre Berechtigung.
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