Kein 1968 ohne 1956
Klaus Theweleit hat immer wieder über den am Wochenende gestorbenen Chuck Berry geschrieben. Denn die wirkliche Befreiung der jungen Bundesrepublik kam nicht durch die US-Soldaten, meint der Kulturtheoretiker. Sondern erst durch den Rock'n'Roll.
Ohne Rock'n'Roll im Allgemeinen und Chuck Berry im Besonderen hätte es keine 1968er-Revolte gegeben, sagt Klaus Theweleit.
"Amerika, würde ich sagen, hatte mehere Sklavenbefreiungen. Und 1955/56 befreit der Rock'n'Roll mit den Texten Chuck Berrys die amerikanischen Teenager aus der Sklaverei der amerikanischen Elternhäuser", so der Kulturtheoretiker im Deutschlandradio Kultur. "Und das wiederholt sich etwa ein Jahr später in Europa, speziell in Deutschland."
Der radikalste Generationenbruch der Geschichte
Diese Entwicklung könne man natürlich nicht allein Chuck Berry zuschreiben, räumt Theweleit ein. "Er ist nur der exakteste auf dieser Ebene."
Das Programm, das über die Musik Chuck Berrys umgesetzt wurde, hieß: sich vom Alten befreien.
"Schule raus, Treppe runter, Straße, gleich zur Juke-Box, was eingeworfen: 'with the one you love you make romance' - es ist ja auch sofort gesagt, es geht um Sexualität, es geht um Liebe zwischen diesen Teenagerkörpern. Und das sind die Dinge, die 1955/56/57 den rabiatesten, den radikalsten Generationenbruch machen, den die Geschichte, glaube ich, je gesehen hat."
Eine klassenlose Jugendrevolte
Bemerkenswert findet Theweleit an diesem Generationenbruch außerdem, dass er nicht nur einzelne Klassen oder Gruppen von Teenagern erfasst habe, sondern dass von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle von Rock'n'Roll ergriffen wurden.
Eine weitere Voraussetzung für die Jugendrevolte sei die Erfindung der Pille Anfang der 1960er-Jahre. "Ohne diesen Vorlauf, ohne diesen Aufbruch im Rock'n'Roll und der Sexualität mit der Pille hätte es die 68er-Rebellion meiner Meinung nach nicht oder nicht so gegeben. Das waren Voraussetzungen."