Erika und Klaus Mann: "Das Buch von der Riviera"
Kindler Verlag, Berlin 2019
176 Seiten, 16 Euro
Die sorglosen Tage sind gezählt
06:08 Minuten
1931 reisen Erika und Klaus Mann an der Côte d'Azur und schreiben einen Reiseführer. Es gelingt ihnen ein gut beobachtetes und manchmal erschreckendes Gesellschaftsbild der frühen 30er-Jahre: "Kein Wort über Politik, sonst gäbe es viele und böse Worte."
Man hat sie buchstäblich vor Augen, die beiden Mann-Geschwister, wie sie im offenen Ford auf der palmengesäumten Küstenstraße entlang der Côte d'Azur sausen, die "herrlichste des Kontinents", weil keine andere mit "einem solchen Schwung und solcher Grandezza dem Meer entlang" führe.
Es ist das Jahr 1931, Erika und Klaus Mann, die ältesten Kinder von Katia und Thomas Mann, beide Mitte zwanzig, erledigen an der Riviera eine Auftragsarbeit: Sie schreiben einen Alternativ-Reiseführer, "was nicht im 'Baedeker' steht". Dabei feiern die beiden Künstlernaturen par excellence – Schauspielerin, Tänzer, Reporterin und Romancier – nichts Geringeres als das südliche Leben selbst, das großzügige Dolce-far-niente an der Riviera, unter "solcher Sonne, solcher milden Luft, mit solchem Meer". Als wollten die beiden noch einmal in rasender Hast durch diesen "mondänen Zauber und bourgeoise Gemütlichkeit" reisen, bevor alles untergeht.
"Das Buch von der Riviera" beginnt mit allergrößter Leichtigkeit: "Warum fahren wir hin, immer wieder?" Von Marseille - hier "schlendert man lüstern, neugierig" - geht es über Nizza - ,"eine gestürzte Königin" - und Monte Carlo mit seinen Kasinos - einer "Mischung aus Nervosität und Traulichkeit" - bis hin zur italienischen Riviera: "Hinter Monte kommt nicht mehr viel".
Beiläufig skizzierter Gesellschaftsklatsch
Es sind fein beobachtete Gesellschaftsstücke der frühen Dreißigerjahre, im Plauderton hingeworfen, in schönster Beiläufigkeit skizzierter Gesellschaftsklatsch: "Drinnen aber schäkert der König von Dänemark mit Chaplins geschiedener Frau".
Und doch wird spürbar, dass die rauschenden, sorglosen Tage gezählt sind. In den Kinos laufen Kriegsfilme, in den Buchläden liegen Kriegsbücher aus.
Schon zwei Jahre später werden an der Côte d'Azur Emigranten Zuflucht suchen, die Deutschland verlassen mussten. Es scheint, als wären die Mann-Geschwister die Vorhut all derer, die sich hier später einfinden werden: Marseille, Sanary-sur-Mer, bloß ohne jenes Gefühl der Unbeschwertheit und Freiheit.
Von den Geschwistern noch als "sommerlicher Treffpunkt der parisisch-berlinerisch-schwabingerischen Malerwelt" beschrieben, wird Sanary-sur-Mer ab 1933 für die Familie Mann erster Fluchtpunkt, später für viele andere Schriftsteller zur Hauptstadt der deutschen Exilliteratur.
Erschreckend aktuell
Bemerkenswert macht dieses Buch gerade seine Ambivalenz. So findet sich in der Darstellung sommerlicher Unbeschwertheit manch feine Beobachtung, die bis heute gilt, etwa, dass die Wesenszüge des Südfranzosen schon italienisch anmuten, aber eben "ohne die cäsarischen Größenwahnkomplexe".
Wesentlich für die heutige Lektüre aber ist, dass es uns die Augen öffnet, wie fragil Zustände, wie bizarr und leise die Anzeichen der Veränderung sein können.
Unbedingt begrüßenswert ist also, dass "Das Buch von der Riviera", das alle paar Jahre neu erscheint, im der Edition des Kindler-Verlags nicht nur mit Bildern aus den 30er-Jahren ergänzt wird, sondern den italienischen Teil der Reise nicht ausspart. Was Erika und Klaus Mann 1931 in Genua beobachten, liest sich erschreckend aktuell:
"Meistens tut sich etwas Militärisches, ein Umzug von Schwarzhemden, eine kleine Parade. Schweigen wir hiervon, kein Wort über Politik, sonst gäbe es viele und böse Worte."
18 Jahre später wird Klaus Mann seinem Dasein hier an der Riviera, in Cannes, ein Ende setzen, tief verzweifelt, des Lebens müde.