Kleber Mendonça Filho

"Ich fühle mich sehr geehrt"

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Der Regisseur Kleber Mendonça Filho © picture alliance / dpa / Frédéric Dugit
Kleber Mendonça Filho im Gespräch mit Susanne Burg |
Im Cannes-Wettbewerbsfilm "Aquarius" geht es um eine Frau, die sich gegen die Gentrifizierung in ihrer Heimatstadt wehrt. Regisseur Kleber Mendonça Filho hat damit die sozialen Probleme seiner Heimat aufgenommen und spricht im Interview über die politische Lage Brasiliens.
Susanne Burg: Im Wettbewerb sind viele Regisseure, die schon häufig hier waren: Pedro Almodovar, die Dardennes, Jim Jarmusch, Ken Loach. Sie und Maren Ade sind die Newcomer, führen aber mit Ihren beiden Filmen den Kritikerspiegel an. Wie groß ist der Druck nun so kurz vor der Preisverleihung?
Kleber Mendonça Filho: Ich hatte noch keine richtige Zeit, mir das bewusst zu machen. Ich fühle mich sehr geehrt, dass mein Film im Wettbewerb ist, auch weil viele der Wettbewerbsregisseure mich überhaupt erst zum Filmemachen gebracht haben. Und nun hat man diese Situation, dass die Werke von zwei Debütanten sehr gut aufgenommen wurden. Das macht mich schon glücklich, weil mein Film auch ein sehr persönlicher Film ist. Und ich freue mich, dass sich Dinge auch erneuern. Ich komme aus einer sehr aktiven Filmszene in Brasilien, wo wir alle paar Jahre einen neuen Namen hören. Ich freue mich über frischen Wind.
Susanne Burg: Sie sagen, dass ist ein sehr persönlicher Film, den Sie gemacht haben. Im Zentrum steht Clara. Sie wohnt in einem Häuserkomplex, wo um sie herum schon alle Wohnungen entmietet wurden. Alle raten ihr, auszuziehen. Sie kämpft aber dafür, dass sie bleiben kann. Wie würdevoll ist ihr Kampf, aber wie bockig ist sie auch?

Bockigkeit bewahren

Kleber Mendonça Filho: Ich finde, Bockigkeit etwas, das wir bewahren und pflegen sollten. Dann bezieht man immerhin eine Position. Heutzutage werden viele Entscheidungen gleich als politisch interpretiert, auch wenn man das gar nicht so gemeint hat. Ich finde, Aktivismus ist wichtig, aber ich wollte, dass Clara eine praktische Aktivistin ist und keine politische. Das Wort Aktivismus taucht nicht einmal im Film auf. Wenn Clara jemanden trifft, würde sie sich so auch nicht vorstellen. Sie würde nicht sagen: "Hallo, ich bin Clara und Aktivistin." Nein. "Ich bin Clara und ich lebe hier." Das war eine der Ideen für den Film.
Susanne Burg: Das ist ja ein Problem, was es überall gibt, das der Gentrifzierung. Es soll teurerer Wohnraum geschaffen werden. Gleichzeitig: wie ignorant ist Recife gegenüber seiner eigenen Geschichte?
Kleber Mendonça Filho: Recife ist interessant, weil es eine sehr historische Stadt ist. Vieles wurde bewahrt, aber noch viel mehr wurde zerstört. Heutzutage gibt es dort zwar Stadtplaner und Gesetze, aber darum kümmert sich keiner. Die wirtschaftliche Macht ist stärker und sie findet immer einen Weg. Darum geht's mir. Und darum ging's mir auch schon in anderen Filmen – zum Beispiel in "Cold Tropics", ein Kurzfilm aus dem Jahr 2009, da beschreibe ich das ganze städtebauliche Chaos der Stadt, in der ich ja auch lebe. Recife scheint sich für den Markt zu rüsten.
Zum Beispiel gibt's ein Schild, das sagt: dies ist ein historisches Viertel, es nennt die Partnerstädte – und auch das Einkaufszentrum, das gleich um die Ecke ist. Das ist doch verrückt. Das sollte nicht auf einem Schild stehen. Wir leben in einer tropischen Stadt. Das Wetter ist gut, es gibt einen Strand. Aber die Leute werden entmutigt, sich auf die Straße zu begeben. Weil man nicht auf der Straße sein soll, sondern in geschlossenen Privaträumen wie in Einkaufszentren. Viele dieser Ideen sind auch ins Drehbuch eingeflossen, vor allem auch der Druck von außen auf Clara. Jemand hat beschlossen, dass sie dort nicht mehr leben soll. Das ist absurd. Sie soll leben, wo sie will. Aber sie ist von allen Seiten umzingelt.

"Leute, die jetzt an die Macht kommen, sind korrupt"

Susanne Burg: Bei der Premiere gab es auch viele Schilder, die Sie hochgehalten haben. Sie haben die Gelegenheit genutzt, um auf die politische Situation in Brasilien aufmerksam zu machen. Warum?
Kleber Mendonça Filho: Weil die großen brasilianischen Medien einseitig berichten. Bei uns findet gerade ein sehr kalter und zynischer Staatsstreich statt. Die Opposition war 13 Jahre lang weg von der Macht. Sie haben in jeder Wahl in den letzten vier Jahren verloren. Und sie sind verrückt nach Macht. Sie haben einen Weg gefunden, die Regierung zu sabotieren und Präsidentin Dilma Rousseff aus dem Amt zu drängen mit dem Vorwurf der Korruption. Die Leute, die jetzt an die Macht kommen, sind korrupt. Dokumente beweisen das.
Es ist eine absurde Situation, die aber die Demokratie, die wir in den letzten dreißig Jahren nach der Militärdiktatur sehr vorsichtig aufgebaut haben, ins Wanken bringt. Und jetzt sehen wir, wie rechte Ideologien immer stärker werden. Das ist erschreckend.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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