Kleider und Aerodynamik
Das Wolfsburger Kunstmuseum präsentiert bis zum 5. Februar unter dem Titel "Fashion & Video" Arbeiten des türkisch-zypriotischen Modeschöpfers Hussein Chalayan. Die Einflüsse des vielfach ausgezeichneten Designers sind vielfältig und reichen vom mechanischen Ballett über orientalische Ornamente bis hin zu Flugzeugstudien.
Seine Mode überwindet Grenzen, zumal wenn sie per Luftpost kommt. Ein Briefumschlag lässt sich so auseinanderfalten, dass ein schlichtes Kleid daraus entsteht. Und umgekehrt kann man dieses Kleid wieder zum Luftpostkuvert zusammenlegen. Eine der originellsten Kreationen Chalayans, dessen Ideen aus vielfältigen Quellen gespeist werden: von den Lebensweisen zwischen Orient und Okzident, von HighTech und philosophischen Gedankengebäuden.
Für eine Kollektion hat Chalayan alte Kulturen entlang der Seidenstraße studiert und die Anregungen am Computer zu Kleider-Entwürfen vereint. Der aerodynamische Zuschnitt von Flugzeugen regte ihn wiederum zu gestylter Lederkleidung an. Die gewaltigen Kragen erinnern an Kopfstützen.
Ist Chalayan nun ein Modedesigner oder doch eher ein Bildender Künstler, der bewegliche Skulpturen schafft? Annelie Lüttgens vom Wolfsburger Kunstmuseum:
"Für mich ist Hussein Chalayan ein Künstler, dessen Medium die Mode ist. Aber nicht allein die Kleider sind wichtig, sondern auch die Performance, die er zu diesen Kleidern veranstaltet, und die Videos, die er dazu entwirft."
Schon seine erste Präsentation 1993 zum Studienabschluss in London war überraschend. Denn die von ihm entworfene, mit Eisenspänen besetzte Kleidung grub er zunächst ein, holte sie später wieder aus dem Boden und stellte sie dann der Öffentlichkeit vor.
Kaum ein Quadratzentimeter Stoff, der bei Chalayan nicht einen Platz in einem großen Bedeutungsrahmen hätte. Hier taucht in seinem Ideenvorrat ein Zitat Wittgensteins auf, dort werden DNA-Analysen bemüht.
Chalayan: "Ich folge nicht einer bestimmten Philosophie - in dem Sinne, dass ich mich auf eine einzige Person, ein einziges Gedankengebäude beziehe. Ich nehme unterschiedliche Positionen auf, verarbeite sie und schaffe so die geistige Basis für meine Projekte. Ich brauche für jede Modekollektion eine markante Idee, eine Rahmenkonzeption, bin dann aber vor allem an der sinnlichen Präsentation interessiert, denn ich arbeite visuell - und da erhält manches ausgeklügelte Konzept noch einmal eine neue Richtung."
Aus Fiberglas und Holz schafft er künstliche Außenhäute, kreiert eierförmige Kopfbedeckungen, Jacken sind mit Szenen aus der Geschichte Zyperns bedruckt. Ein Freigeist mit unbändiger Innovationslust. Wie sieht er sich selbst? Als Modeschöpfer oder doch eher als Bildenden Künstler?
"Ich sehe mein Werk der Mode zugehörig, aber darin steckt eben auch eine Dualität, denn ich nehme von den Künsten sehr viele Anregungen auf. Im Grunde ist es jedoch nicht entscheidend, ob ich nun Modeschöpfer oder Künstler genannt werde - wichtig ist allein, ob einem Werk eine aufregende Idee zugrunde liegt, der kreative Prozess steht im Vordergrund, da denke ich nicht so sehr über Etiketten nach."
Da stehen ein paar Sessel und ein Tisch: die Bezüge lassen sich auch als Kleider tragen, die Ringelemente des Tisches bilden voll entfaltet ein bizarr abgestuftes Gewand, das aus dem Triadischen Ballett Oskar Schlemmers stammen könnte, und das Gestühl selbst kann man mit ein paar Handgriffen in Koffer verwandeln.
So entsteht der Eindruck von Unbehaustheit. Chalayan fühlte sich vom Kosovokrieg und vom Flüchtlingselend in vielen Teilen der Welt zu dieser Kollektion provoziert. Der 1970 auf Zypern geborene Designer hatte als Kind die Gewalt auf der geteilten Insel erlebt. Und doch wirkt seine gediegene Sphäre der Mannequins eher als Ästhetisierung all des Leids, stellt man das tatsächliche Elend der Flüchtlinge diesen Kleidern und Koffern gegenüber.
Chalayan, so könnte man immerhin schließen, will mit seiner einfach und zugleich raffiniert geschnittenen Mode eine Botschaft vermitteln.
"Von einer "Botschaft" möchte ich da nicht sprechen. Vielmehr schlage ich mit meinen Arbeiten andere Blickwinkel vor, Arten, auf den Körper und auf kulturelle Normen zu schauen. Meine Werke sind Entdeckungsreisen und ich hoffe, den Horizont für neue Sichtweisen zu öffnen."
Das Transitorische zwischen den Kulturen, Gedankenwelten und künstlerischen Disziplinen ist im Grunde seine Botschaft.
Fest verorten lässt sich Chalayan nicht, und deshalb sollte man besser nicht von seiner Identität sprechen, sondern von seinen Identitäten. Er repräsentiert die Türkei auf der diesjährigen Biennale und tritt dort auch als Videokünstler hervor. In einem Raum des Wolfsburger Kunstmuseums ziehen gleich fünf parallele Bildprojektionen die Blicke an.
Eine Frau in hellem Dress fliegt in ihrer windschnittigen Kapsel durch eine digital konstruierte Metropole und gelangt schließlich an den Bosporus. Womit auch in dieser Video-Installation wieder viele Elemente aus Chalayans Welt beieinander wären: Kunst und Mode, die moderne Technik und der Spagat zwischen Orient und Okzident.
Nicht zum ersten Mal befasst sich das Wolfsburger Museum mit den Spielarten der Mode, ungewöhnlich und auch gewöhnungsbedürftig ist die Präsentation von Kleidern und Videomannequins aber selbst bei einem ideenreichen Künstler wie Chalayan. Und sicher sind die etwas dunklen und verwinkelten Räume im Obergeschoss nicht der bestmögliche Ort für eine großzügige Vorstellung. Aber ein in vielen Tönen schillernder Farbtupfer ist diese erste Retrospektive Chalayans in jedem Fall.
Für eine Kollektion hat Chalayan alte Kulturen entlang der Seidenstraße studiert und die Anregungen am Computer zu Kleider-Entwürfen vereint. Der aerodynamische Zuschnitt von Flugzeugen regte ihn wiederum zu gestylter Lederkleidung an. Die gewaltigen Kragen erinnern an Kopfstützen.
Ist Chalayan nun ein Modedesigner oder doch eher ein Bildender Künstler, der bewegliche Skulpturen schafft? Annelie Lüttgens vom Wolfsburger Kunstmuseum:
"Für mich ist Hussein Chalayan ein Künstler, dessen Medium die Mode ist. Aber nicht allein die Kleider sind wichtig, sondern auch die Performance, die er zu diesen Kleidern veranstaltet, und die Videos, die er dazu entwirft."
Schon seine erste Präsentation 1993 zum Studienabschluss in London war überraschend. Denn die von ihm entworfene, mit Eisenspänen besetzte Kleidung grub er zunächst ein, holte sie später wieder aus dem Boden und stellte sie dann der Öffentlichkeit vor.
Kaum ein Quadratzentimeter Stoff, der bei Chalayan nicht einen Platz in einem großen Bedeutungsrahmen hätte. Hier taucht in seinem Ideenvorrat ein Zitat Wittgensteins auf, dort werden DNA-Analysen bemüht.
Chalayan: "Ich folge nicht einer bestimmten Philosophie - in dem Sinne, dass ich mich auf eine einzige Person, ein einziges Gedankengebäude beziehe. Ich nehme unterschiedliche Positionen auf, verarbeite sie und schaffe so die geistige Basis für meine Projekte. Ich brauche für jede Modekollektion eine markante Idee, eine Rahmenkonzeption, bin dann aber vor allem an der sinnlichen Präsentation interessiert, denn ich arbeite visuell - und da erhält manches ausgeklügelte Konzept noch einmal eine neue Richtung."
Aus Fiberglas und Holz schafft er künstliche Außenhäute, kreiert eierförmige Kopfbedeckungen, Jacken sind mit Szenen aus der Geschichte Zyperns bedruckt. Ein Freigeist mit unbändiger Innovationslust. Wie sieht er sich selbst? Als Modeschöpfer oder doch eher als Bildenden Künstler?
"Ich sehe mein Werk der Mode zugehörig, aber darin steckt eben auch eine Dualität, denn ich nehme von den Künsten sehr viele Anregungen auf. Im Grunde ist es jedoch nicht entscheidend, ob ich nun Modeschöpfer oder Künstler genannt werde - wichtig ist allein, ob einem Werk eine aufregende Idee zugrunde liegt, der kreative Prozess steht im Vordergrund, da denke ich nicht so sehr über Etiketten nach."
Da stehen ein paar Sessel und ein Tisch: die Bezüge lassen sich auch als Kleider tragen, die Ringelemente des Tisches bilden voll entfaltet ein bizarr abgestuftes Gewand, das aus dem Triadischen Ballett Oskar Schlemmers stammen könnte, und das Gestühl selbst kann man mit ein paar Handgriffen in Koffer verwandeln.
So entsteht der Eindruck von Unbehaustheit. Chalayan fühlte sich vom Kosovokrieg und vom Flüchtlingselend in vielen Teilen der Welt zu dieser Kollektion provoziert. Der 1970 auf Zypern geborene Designer hatte als Kind die Gewalt auf der geteilten Insel erlebt. Und doch wirkt seine gediegene Sphäre der Mannequins eher als Ästhetisierung all des Leids, stellt man das tatsächliche Elend der Flüchtlinge diesen Kleidern und Koffern gegenüber.
Chalayan, so könnte man immerhin schließen, will mit seiner einfach und zugleich raffiniert geschnittenen Mode eine Botschaft vermitteln.
"Von einer "Botschaft" möchte ich da nicht sprechen. Vielmehr schlage ich mit meinen Arbeiten andere Blickwinkel vor, Arten, auf den Körper und auf kulturelle Normen zu schauen. Meine Werke sind Entdeckungsreisen und ich hoffe, den Horizont für neue Sichtweisen zu öffnen."
Das Transitorische zwischen den Kulturen, Gedankenwelten und künstlerischen Disziplinen ist im Grunde seine Botschaft.
Fest verorten lässt sich Chalayan nicht, und deshalb sollte man besser nicht von seiner Identität sprechen, sondern von seinen Identitäten. Er repräsentiert die Türkei auf der diesjährigen Biennale und tritt dort auch als Videokünstler hervor. In einem Raum des Wolfsburger Kunstmuseums ziehen gleich fünf parallele Bildprojektionen die Blicke an.
Eine Frau in hellem Dress fliegt in ihrer windschnittigen Kapsel durch eine digital konstruierte Metropole und gelangt schließlich an den Bosporus. Womit auch in dieser Video-Installation wieder viele Elemente aus Chalayans Welt beieinander wären: Kunst und Mode, die moderne Technik und der Spagat zwischen Orient und Okzident.
Nicht zum ersten Mal befasst sich das Wolfsburger Museum mit den Spielarten der Mode, ungewöhnlich und auch gewöhnungsbedürftig ist die Präsentation von Kleidern und Videomannequins aber selbst bei einem ideenreichen Künstler wie Chalayan. Und sicher sind die etwas dunklen und verwinkelten Räume im Obergeschoss nicht der bestmögliche Ort für eine großzügige Vorstellung. Aber ein in vielen Tönen schillernder Farbtupfer ist diese erste Retrospektive Chalayans in jedem Fall.