Kunden wieder zu Lesern machen
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Amazon beherrscht den Buchmarkt, zu Lasten der kleinen Buchhandlungen. Denen will jetzt ausgerechnet eine Online-Plattform in England helfen. Die Läden erhalten dort virtuelle Schaufenster und 30 Prozent Beteiligung. Das könnte ihr Überleben sichern.
Sam Fisher ist mutig. 2016, als die Zahl der unabhängigen Buchhandlungen in Großbritannien auf ein Rekordtief gefallen war, eröffnete er mit einem Kollegen Burley Fisher Books.
Seit der Pandemie, in der viele aufs Online-Shopping umgestiegen sind, wirkt die Entscheidung noch mutiger. Denn auch wenn insgesamt weiter viele Bücher gekauft werden, entfallen die meisten Verkäufe auf Amazon, das seinen Profit im dritten Quartal verdreifacht hat. Deshalb ist Sam Fisher froh, mit der Seite Bookshop.org auch eine zusätzliche digitale Ladenzeile zu besitzen:
"Ich kannte das Konzept aus den USA und hatte mich immer gefragt, warum es das hier nicht gibt. Dieses Jahr hat uns einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, Amazons Monopol einen unabhängigen Konkurrenten entgegenzusetzen."
Virtuelle Schaufenster, echte Bücher
350 kleine britische Buchhandlungen wie die von Sam Fisher haben auf Bookshop.org einen Auftritt. Wenn ein Kunde über ihr virtuelles Schaufenster ein Buch kauft, wird das direkt an ihn verschickt – und der Laden bekommt 30% der Einnahmen.
Verkaufen die Buchhandlungen über ihre eigenen Webseiten, ist die Gewinnmarge zwar größer. Weil Bookshop aber alle weiteren Kosten von Transaktionsgebühren bis zum Versand übernimmt, sei das für die Teilnehmer trotzdem ein guter Deal, meint zumindest Nicole Vanderbilt, Geschäftsführerin von Bookshop in Großbritannien: "Einige Buchhandlungen konnten damit ihre Miete zahlen, andere ihren Mitarbeitern einen Weihnachtsbonus."
Auf Algorithmen verzichtet Bookshop, für Buchempfehlungen setzen die Macherinnen und Macher auf kuratierte Inhalte von Kennern.
Weil alles über einen Großhandelspartner abgewickelt wird, haben die Läden außerdem Zugriff auf einen weitreichenden Katalog. Damit können sie die Kunden abfangen, die vorher wegen mangelnder Verfügbarkeit zu Amazon gewechselt waren. Meist ist ein Buch auch für den Kunden günstiger, als wenn es über die eigene Seite des Ladens kaufen würde.
Mehr in gute Literatur investieren
Bei Burley Fisher Books kostet das Buch des Jahres auf Bookshop rund 80 Cent weniger als auf der Burley Fisher-Website selbst. Wenn Kunden Sam Fisher fragen, wo sie bestellen sollen, bittet er sie trotzdem, über die Burley Fisher-Seite zu gehen: "Indem sie mir eine Mail schreiben, signalisieren sie mir ja schon, dass sie gern etwas mehr Arbeit und Geld reinstecken."
Die Pandemie hat die Diskussionen darüber, wie die Innenstädte der Zukunft aussehen werden, einmal mehr angefacht. Vielleicht werden auch Buchläden irgendwann nur noch online existieren. Vanderbilt macht klar, dass das nicht das Ziel von Bookshop sei:
"Unabhängige Buchläden sind toll und wichtig. Wir wollen ihnen einfach ein Stück von dem Markt zurückgeben, der ohnehin existiert – für den Moment, wenn man Sonntag, 23 Uhr im Schlafanzug auf dem Sofa sitzt und ein Buch kaufen will."
Nicht nur Kunde, sondern Leserin und Leser
Sam Fisher hofft, dass Bookshop dank der geballten Marketing-Wirkung dennoch auch ein paar mehr Menschen zurück in den Laden bringen wird: "Da kulturelle Räume unterfinanziert sind und immer mehr Bibliotheken schließen, werden Buchhandlungen diese Orte mehr und mehr ersetzen müssen. Es wird von uns erwartet, Events und auch Ausstellungen zu veranstalten. Das wird für das langfristige Überleben der Buchhandlungen von entscheidender Bedeutung sein. Amazon macht Leser zu Kunden, und wir wollen Kunden wieder zu Lesern machen, die Teil dieser literarischen Gemeinschaft sind."