Kleine Bühne mit großer Wirkung

Von Ariane Thomalla · 08.11.2006
Ist heute von den Kammerspielen oder Werkstattbühnen der großen Theater die Rede, ist kaum jemandem bewusst, seit wann es sie gibt und wer einst diese Idee geboren hat: kein anderer als Max Reinhardt, der große Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor, Gründer der Salzburger Festspiele und Chef eines wahrhaften Theaterimperiums.
"Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf- und davongemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen","

lautete das Credo des leidenschaftlichen Theatermanns Max Reinhardt. 1873 in Baden bei Wien als Max Goldmann geboren, hatte er sich als junger Schauspieler den Künstlernamen Reinhardt zugelegt, um im alten Wien seine Theaterkunst vor antisemitischen Feindseligkeiten zu schützen. Doch auch im Berlin der Kaiserzeit war er dagegen nicht gefeit. Als er 1905 die Nachfolge von Otto Brahm, in dessen Ensemble er fast ein Jahrzehnt mitgespielt hatte, als Direktor des Deutschen Theaters antrat, war bald aus gewissen Kreisen zu hören:

""Das Deutsche Theater ist ein undeutsches Theater geworden."

Das bestärkte Reinhardt, die finanzielle Transaktion aus dem Licht der Öffentlichkeit zu halten, als er sich entschloss anstatt zu pachten zu kaufen. Ende 1905 gelang es ihm, eine Gruppe von Geldgebern vor allem aus der jüdischen Geldaristokratie als "Stille Gesellschafter" zu gewinnen, 29 insgesamt, zwecks - wie es hieß - "Ankaufs der Häuser Schumannstraße Nr. 12, 13a, 14 und 16 und des Betriebs des Deutschen Theaters". Die Gläubiger ermöglichten Reinhardt, der ihnen nach Sensationserfolgen wie "Elektra" und "Ein Sommernachtstraum" als Theaterleiter investitionssicher erschien, das Deutsche Theater samt dem dazugehörenden Gebäudekomplex für 2,475 Millionen Reichsmark, heute 15 bis 20 Millionen Euro, zu erwerben.

Ein Novum wurde dabei die Schumannstraße 14, das ehemalige Tanzlokal "Embergs Salon", das Reinhardt, dem der Jugendstil bereits überholt schien, im schlichten Neu-Biedermeier und Neu-Klassizismus völlig umbauen ließ: seine "Kammerspiele", eine Neuschöpfung in Wort und Sache, die Idee von der kleinen Spielstätte neben der großen Bühne unter gemeinsamem Theaterdach, wo sich "gewisse klassische und moderne Dichtung mit der ganzen Intimität moderner Seelenkunst" spielen lasse. Ein kleiner Saal für maximal 290 Personen, mahagoniegetäfelt ohne Stuck und Schmuck. Die Bühne ohne Rampe und Souffleurkasten nur durch zwei flache Stufen vom Publikum getrennt, das in breiten Polstersesseln in luxuriöser Distanz zueinander sitzt, nicht ohne dafür den doppelten Eintrittspreis zu entrichten, was sich letztendlich nicht durchhalten ließ.

"Als Eröffnung hatte man nach sorgfältiger Überlegung Ibsens 'Gespenster'-Drama gewählt, das mit seiner psychischen Konzentration im Gegenüber seiner fünf Figuren die beste Gelegenheit zu schauspielerischer Kammermusik, zu einem Quintett fünf erlesener Instrumente bot","

berichtet Reinhardts enger Mitarbeiter Arthur Kahane.

""Die Besetzung stand fest: die Sorma."

Agnes Sorma, die die Helene Alwing spielte, die Frau des Kammerherrn Alwing. Alexander Moissi als Oswald Alwing, Sohn des Kammerherrn, Opfer lebenslanger väterlicher Ausschweifung, der im letzten Akt seiner Gehirnparalyse erliegend in den Wahnsinn versinkt. Ein typisches Jahrhundertwende- und Reinhardt-Thema. Lucie Höflich als Dienstmädchen und als - auch sie ein Opfer - uneheliche Tochter des Kammerherrn. Max Reinhardt und Friedrich Kayssler komplettierten als Pastor Manders und Tischler Engstrad die Starbesetzung, zu der man noch den norwegischen Maler Edvard Munch als Bühnenbildner gewann.

"Für die 'Gespenster'-Aufführung machte er nicht wie die anderen Maler Dekorationsentwürfe und Figurinen, sondern malte zwei oder drei Bilder, die die Situation des Stücks darstellten."

Dennoch hinterließ die Inszenierung der "Gespenster" zur Eröffnung der Kammerspiele des Deutschen Theaters am 8. November 1906 keinen großen Eindruck. Erst zwölf Tage später stellte sich mit der Uraufführung der Kindertragödie "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind der sensationelle Erfolg ein. Auch die folgenden Ur- und Erstaufführungen der neuromantischen Dramen von Gerhart Hauptmann und Maurice Maerlinck schlugen so ein, dass das Modell "Kammerspiele" bald von vielen Theatern kopiert werden sollte. Heute ist die kleine intime Bühne neben einer großen in einem Schauspielhaus längst eine Selbstverständlichkeit.