Kleine Juwelen der indischen Literatur
Bhupoti und Tscharulota sind ein glückliches Paar. Zumindest glauben sie das. Doch Bhupoti ist auch mit seiner Zeitung verheiratet. Tscharulota fühlt sich vernachlässigt und lässt sich von ihrem Schwager Omol verzaubern, der für sie Geschichten schreibt. Doch als Omol seine Erzählungen veröffentlicht, bricht ein emotionales Chaos über die drei.
Rabindranath Tagore (1861-1941) ist ein sanfter und lakonischer Autor. Und ein raffinierter: Sein Kurzroman "Das zerstörte Nest" kommt einfach daher wie eine Legende, erweist sich aber als beunruhigend doppelbödig. Vordergründig handelt er vom Zerfall einer Ehe. Der bengalische Literaturnobelpreisträger von 1913 spielt Katz und Maus mit der Erwartung des Lesers, gleich werde es zum Seitensprung der Ehefrau kommen. Doch dem jungen Tscharulota bedeutet die Literatur alles. Es geht also um viel mehr als um Liebe.
Tscharulota wird von ihrem Ehemann Bhupoti vernachlässigt und freundet sich mit dessen jüngerem Bruder an, dem Studenten Omol. Sie ermutigt ihn zum Schreiben und erfreut sich an seinen Texten – bis Omol ihr eines Tages stolz eine literarische Zeitschrift mit einer seiner Erzählungen zeigt. Tscharulota ist zutiefst enttäuscht und verfasst nun, um Omol zurück zu gewinnen, ebenfalls Geschichten. Doch dieser lässt auch ihre Erzählungen ohne ihr Wissen veröffentlichen. Dann verliert Bhupoti durch einen betrügerischen Verwandten sein Vermögen. Er sorgt dafür, dass Omol vorteilhaft verheiratet wird und zum Studium nach England gehen kann. Tscharulota trauert, und weil Omol ihr nicht schreibt, versetzt sie für ein Telegramm mit teurer Rückantwort aus London all ihren Schmuck. Nun erkennt Bhupoti seine Lage.
Der Kurzroman ist gebaut wie eine Fuge. Zweimal, erst durch Omols, dann durch Tscharulotas Erzählungen, stellt sich Intimität her und geht durch die Veröffentlichungen verloren. Zweimal wiederholt Tagore beides als Farce: Der verarmte Bhoputi wirbt mit eigenen literarischen Versuchen um Tscharulota. Doch sie verzehrt sich nach Zeilen von Omol, der schließlich in dem für ihn bezahlten Telegramm knapp kundtut: "Mir geht es gut." Unverfänglicher kann man Katastrophen nicht auslösen.
Den Verwerfungen im Gefühlshaushalt entsprechen politische: Die Regierung werfe, heißt es zu Beginn, in einer "Grenzfrage" "jegliche Zurückhaltung" über Bord, sie überschreitet also eine Grenze. Tscharulota dagegen will mit der Literatur eine Grenze gegenüber der Außenwelt ziehen, die Omol durch Veröffentlichungen ignoriert. Die bengalische Gesellschaft ist in Bewegung geraten. Da hilft kein reinigender Monsunregen, nur eine neue Grenzziehung. Tscharulota schleudert sie ihrem Gatten entgegen und beendet mit ihr den Roman: "Lassen wir das!" Ein modernes Buch aus dem Jahr 1901.
Rabindranath Tagore: Das zerstörte Nest
Kurzroman. Aus dem Bengali übersetzt von Gisela Leiste
Manesse Verlag, Zürich 2006
112 S., 9,90 Euro
Tscharulota wird von ihrem Ehemann Bhupoti vernachlässigt und freundet sich mit dessen jüngerem Bruder an, dem Studenten Omol. Sie ermutigt ihn zum Schreiben und erfreut sich an seinen Texten – bis Omol ihr eines Tages stolz eine literarische Zeitschrift mit einer seiner Erzählungen zeigt. Tscharulota ist zutiefst enttäuscht und verfasst nun, um Omol zurück zu gewinnen, ebenfalls Geschichten. Doch dieser lässt auch ihre Erzählungen ohne ihr Wissen veröffentlichen. Dann verliert Bhupoti durch einen betrügerischen Verwandten sein Vermögen. Er sorgt dafür, dass Omol vorteilhaft verheiratet wird und zum Studium nach England gehen kann. Tscharulota trauert, und weil Omol ihr nicht schreibt, versetzt sie für ein Telegramm mit teurer Rückantwort aus London all ihren Schmuck. Nun erkennt Bhupoti seine Lage.
Der Kurzroman ist gebaut wie eine Fuge. Zweimal, erst durch Omols, dann durch Tscharulotas Erzählungen, stellt sich Intimität her und geht durch die Veröffentlichungen verloren. Zweimal wiederholt Tagore beides als Farce: Der verarmte Bhoputi wirbt mit eigenen literarischen Versuchen um Tscharulota. Doch sie verzehrt sich nach Zeilen von Omol, der schließlich in dem für ihn bezahlten Telegramm knapp kundtut: "Mir geht es gut." Unverfänglicher kann man Katastrophen nicht auslösen.
Den Verwerfungen im Gefühlshaushalt entsprechen politische: Die Regierung werfe, heißt es zu Beginn, in einer "Grenzfrage" "jegliche Zurückhaltung" über Bord, sie überschreitet also eine Grenze. Tscharulota dagegen will mit der Literatur eine Grenze gegenüber der Außenwelt ziehen, die Omol durch Veröffentlichungen ignoriert. Die bengalische Gesellschaft ist in Bewegung geraten. Da hilft kein reinigender Monsunregen, nur eine neue Grenzziehung. Tscharulota schleudert sie ihrem Gatten entgegen und beendet mit ihr den Roman: "Lassen wir das!" Ein modernes Buch aus dem Jahr 1901.
Rabindranath Tagore: Das zerstörte Nest
Kurzroman. Aus dem Bengali übersetzt von Gisela Leiste
Manesse Verlag, Zürich 2006
112 S., 9,90 Euro