Verkaufsschlager Schreckschusspistole
Viele Bürger fühlen sich offenbar seit den Ereignissen von Köln nicht mehr sicher: Immer mehr stellen einen Antrag auf den Kleinen Waffenschein. Damit darf der Besitzer beispielsweise eine Schreckschuss-Pistole bei sich tragen. In manchen Läden wird der Bestand knapp, so auch in Berlin-Lichtenberg.
Beim Magazinwechsel klingt sie wie eine scharfe Waffe. Sie sieht auch so aus, liegt genauso schwer in der Hand. Verkäufer André zeigt seinem Kunden eine Walther P99, ein detailgetreuer Nachbau der klassischen deutschen Polizeipistole. Der einzige Unterschied zur scharfen Waffe: Der Lauf ist gesperrt, für diese Schreckschusspistole gibt es nur Platzpatronen oder Gasmunition, keine Projektile.
"P22 habt ihr nicht mehr?"
Der Kunde: Ein junger Mann, höchstens Anfang 20, schlaksig, zeigt auf die magere Auslage. Nur drei Pistolen liegen vor ihm in der Glasvitrine. Da, wo sonst locker 20, 30 Schreckschusswaffen auf neue Besitzer warten. Verkauft, sagt André, wann sie wieder reinkommen, völlig unklar. Händler und Hersteller kommen der Nachfrage nicht hinterher, bundesweit.
"Die nehme ich…"
Der schlaksige Mann mit den etwas zu weiten Klamotten entscheidet sich für ein amerikanisches Modell.
"Belehrung, dass wir uns abgesichert haben, Transport mit Kabel, sonst strafbar…"
Bevor er die Pistole zahlt, zückt er seinen Personalausweis. Er muss sein Alter nachweisen, wird belehrt. Denn kaufen darf er die Waffe zwar ab 18, in der Öffentlichkeit bei sich führen aber nur mit kleinem Waffenschein. Weiß er, sagt er und zieht 170 Euro aus dem Portemonnaie.
Weil er den nicht vorweisen kann, packt Verkäufer André die Waffe penibel ein. Kabelbinder um den Waffenkoffer ist das Minimum, besser noch: Plastikfolie, zugeklebt. Die Pistole soll unbenutzt bleiben und am besten nicht ausgepackt werden, bis der Kunde wirklich zu Hause ist. So will es das Gesetz.
Pistole nur mit kleinem Waffenschein
Nur wer einen kleinen Waffenschein besitzt, darf eine Schreckschusswaffe in der Öffentlichkeit mit sich führen. Aber auch dann nur verdeckt. Eingesetzt werden darf sie auch nur im Notfall.
"Soldier of fortune" steht in großen roten Buchstaben über dem Eingang.
Von Schreckschuss- und scharfen Handwaffen über Messer, Airsoftgewehre, Schwerter und Armbrüste bis hin zu Schlagstöcken und Pfefferspray reicht das Angebot. Alles verschlossen hinter Glas, vor verspiegelten Wänden.
Pavel Sverdlov, der Chef, freut sich natürlich als Händler über die guten Umsätze. Als Mensch und Bürger aber, sagt er, macht ihm der Ansturm auf seinen Laden besonders seit Silvester Sorgen.
"Das Verhalten hat sich sehr geändert, die Kunden sind entschlossener geworden und reden offener und ehrlicher… dass die sich nicht wohlfühlen, Gefahren spüren, dass sie nicht an Macht von Staat und Polizei glauben, dass die Gesellschaft reichlich geschützt ist."
"Ich möchte gerne Pfefferspray für 5,98 Euro haben… Das haben wir hier…"
Eine ältere Dame kommt entschlossen durch die Tür. Sie möchte Pfefferspray für unterwegs dabei haben oder wenn sie allein in ihrem Garten ist, sagt sie.
"Weil ich das schon gesehen habe, dass eine Dame belästigt wurde, vor 14 Tagen. Eine ältere Dame ist das gewesen, von jemanden angesprochen worden, allerdings Ausländer, und bedrängt worden."
Pfefferspray-Angebot ist stark dezimiert
Reine Vorsichtsmaßnahme, sagt sie. Und ist damit nicht allein. Auch das Pfefferspray-Angebot ist stark dezimiert: Fünf statt 20 Sorten stehen in der Vitrine neben der Kasse.
Früher war das hier ein nahezu reiner Männerladen eher für das jüngere Publikum, sagt Chef Sverdlov. Jetzt kommen auch immer mehr Frauen, jeden Alters, quer durch alle Bevölkerungsschichten. Und Männer kaufen das Spray für ihre Verlobten, Ehefrauen und Töchter. Gut vor allem fürs Gefühl.
"Wenn die Frau eine Dose Pfefferspray in der Tasche hat. Ob das hilft, wenn 5, 10 oder 20 Männer sie umkreisen, da zweifele ich sehr."
Der nächste Kunde hat offenbar gerade Mittagspause.
Vor dem Laden parkt sein Lieferwagen. Dort und auf seiner Jacke dieselben Buchstaben. Er ist Paketzusteller. André drückt ihm einen DIN A4-Zettel in die Hand: Den Antrag für den kleinen Waffenschein.
Der Paketzusteller kommt aus Köpenick, erzählt er, ganz im Osten Berlins. Er will sich nur informieren, sagt er, wie das so läuft mit dem Antrag für den kleinen Waffenschein
"Ohne gleich rassistisch zu klingen: Wir haben jetzt sehr viele Asylantenheims bei uns, es ist da nicht mehr sicher. Autos werden vor der Tür geklaut, war vorher nicht. Und jetzt muss ich meine Familie, will ich ja auch irgendwie schützen."
Warten auf Nachschub
Der Antrag ist schnell ausgefüllt: Name, Adresse, Passnummer, Wohnorte der letzten fünf Jahre, eine Frage nach schon gültigen Waffenscheinen, eine nach körperlicher und geistiger Eignung. Den Antrag gibt’s im Internet, geprüft – z.B. nach einem Blick ins Vorstrafenregister – und bearbeitet wird er bundesweit von unterschiedlichen Behörden.
In Berlin ist die Polizei verantwortlich. Die meisten Anträge werden auch erteilt, sagt Chef Pavel Sverdlov. Das zahlt sich immerhin aus.
Sein Mitarbeiter André poliert die fast leere Vitrine mit den drei übrig gebliebenen Schreckschusswaffen – und macht sie bereit für den Nachschub. Wenn der irgendwann mal wieder kommt.