Kleingärten in Gefahr

Laubenpieper schauen in eine unsichere Zukunft

12:10 Minuten
Blick auf die Kleingartenanlage am Plänterwald in Berlin, im Hintergrund ist ein Neubaugebiet zu sehen.
Nicht nur zur Erholung: Kleingartenanlagen dienen in Berlin auch als Frischluftschneise. © Imago / Arnulf Hettrich
Von Wolf-Sören Treusch |
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Grün weg und Beton drauf? In Berlin fehlen 200.000 Wohnungen − sie könnten dort entstehen, wo sich Kleingärten befinden. Es gibt einen Entwicklungsplan für den Erhalt der meisten Gärten, dennoch herrscht Verunsicherung bei den Besitzern.
Eine Kleingartenanlage im Berliner Stadtteil Wilmersdorf: Vögel zwitschern, Krokusse lugen aus der Erde. In den Gärten zeigt sich das erste zarte Grün.
Wenige Meter entfernt lärmen Schleifmaschinen. Auch hier befanden sich einst Kleingärten. Nun ragen sechs- und achtgeschossige Gebäude in die Höhe. 973 Eigentums- und Mietwohnungen entstehen hier. Erbaut von der Groth-Gruppe, einem Projektentwickler mit Sitz in Berlin. Ein hoher Bauzaun trennt das neue Wohngebiet vom Rest der Kleingartenanlage.

Fassungslosigkeit bei Kleingärtnern

"Das soziale Umfeld wurde gekappt. Zwischen den Nachbarn", erklärt Kleingärtner Peter Beloch.
Heidemarie Kaap pflichtet ihm bei: "Das war auch unser Hauptfahrweg. Denn da war dann unser Vereinshaus mit dem großen Platz, und hier kam dann die Müllabfuhr, die Bierwagen und alles, was so war, das war immer unser Hauptfahrweg hier."
Peter Beloch und Heidemarie Kaap blicken immer noch fassungslos über den Bauzaun hinüber. Auch Festwiese und Gaststätte fielen damals den Abrissarbeiten zum Opfer.
Wohnungen statt Kleingärten? In der Wilmersdorfer Kolonie Oeynhausen ist die Frage in Teilen mit ja beantwortet worden. Von ursprünglich 436 Gärten sind 286 übrig geblieben. 150 Pächter mussten im Januar 2016 ihre Parzellen räumen.

Tränen beim Auszug

"So viele Tränen, wie ich da erlebt habe, möchte ich nicht noch mal erleben. Alteingesessene Gärtner, die schon 40, 45 Jahre hier sind", berichtet Peter Beloch.
"Zweite, dritte Generation sogar."
Die beiden Kleingärtner Peter Beloch und  Heidemarie Kaap, Kleingärtner stehen in einer Kleingartenkolonie vor einem Zaun.
Die Kleingärtner Peter Beloch und Heidemarie Kaap kritisieren die Folgen eines Neubauprojekts in ihrer Kolonie.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
"Und die haben geheult wie Schlosshunde. Also: so was möchte ich nicht noch mal erleben. Echt nicht."
Aber auch die verbliebenen Kleingärtner schauen in eine unsichere Zukunft. 150 von ihnen haben ihre Parzelle auf einem Areal, das ebenfalls der Groth-Gruppe gehört. Der Investor hatte damals zwar zugesagt, auf diesem Grundstück nicht zu bauen unter der Voraussetzung, auf dem anderen dafür höher bauen zu dürfen.

Zusage des Landes fehlt

Aber rechtlich verbindlich ist seine Zusage nicht. Die Kleingärtner fordern deshalb, dass dieser Teil der Kolonie endlich als dauerhafte Grünanlage im Bebauungsplan des Bezirks ausgewiesen wird.
"Es ist noch Verbitterung da, und wir sind auch noch nicht zufrieden damit, weil wir von der Politik immer noch nichts bekommen haben, dass das da wirklich ein bisschen sicher gemacht wird. Dass das als Grünfläche ausgewiesen wird. Der Teil von dem Groth-Gelände, was gekauft wurde, hat uns die Politik versprochen, dass das dafür jetzt festgeschrieben wird als Kleingartenland und dass das kein Bauland wird. Und das fehlt immer noch, da haben wir bisher immer noch nichts bekommen. Obwohl Groth mittlerweile alles hat, was er haben wollte an Genehmigungen", sagt Heidemarie Kaap.
Ein Blick auf die Kleingartenkolonie Oeynhausen: vorne sind Gärten, im Hintergrund sind Neubauten zu sehen.
Musste zum Teil abgerissen werden: Die Kleingartenkolonie Oeyenhausen in Berlin-Wilmersdorf.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Doch damit nicht genug: Neuerdings ist auch der dritte und letzte Teil der Kleingartenanlage in Frage gestellt. Der befindet sich auf einem landeseigenen Grundstück. Und gehört laut aktuellem Entwurf aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu den Berliner Kleingartenkolonien, die mittelfristig, also innerhalb von sieben Jahren, für den Wohnungsbau bereitgestellt werden könnten.
Der Kampf ums Grün geht also weiter für die Wilmersdorfer Laubenpieper. Hoffen lässt sie der Kleingartenentwicklungsplan aus dem Hause der Umweltsenatorin.

Senat beruhigt Kleingärtner

"Das Wichtige ist, für Wohnungsbau werden erstmal keine Kleingärten in Anspruch genommen, sondern nur für soziale und verkehrliche Projekte."
Regine Günther, parteilos, den Grünen nahe stehend, hat den Entwurf soeben vorgestellt. Für die Kleingartenanlagen, die sich auf landeseigenen Grundstücken befinden, läuft 2020 der Bestandsschutz aus. Er soll bis 2030 verlängert werden.
Demnach bleibt die überwiegende Mehrheit der Kleingärten erhalten, nur knapp 900 Parzellen sollen verschwinden. Das sei gerade mal ein Prozent aller Kleingärten in Berlin, so die Umweltsenatorin. Die Kolonie Oeynhausen gehört nicht dazu.
"Es wird nur ein Bruchteil der Kleingärten wirklich in Anspruch genommen, einerseits für soziale und andererseits für Verkehrsprojekte. Das heißt für Kitas, Schulen. Das ist das, was die Bezirke gemeldet haben, und andererseits auch für dringende Verkehrsprojekte, beispielsweise wie bei dem Bau oder Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke. Da kommen wir nicht drum rum. Diese Kleingärtnerinnen und Kleingärtner bekommen aber einerseits eine Entschädigung und andererseits natürlich auch Ersatz. Insofern glauben wir, dass wir hier ein sehr gutes Maßnahmenpaket geschnürt haben, was den Bedarf in der Stadt kombiniert mit den Rechten der Kleingärtnerinnen und Kleingärtner."

Baukammer will mehr Wohnraum

"Mag ja sein, dass die eine oder andere Maßnahme natürlich wichtig und vielleicht auch zwingend ist," entgegnet Ralf Ruhnau, Präsident der Baukammer Berlin, der Standesvertretung aller im Bauwesen tätigen Ingenieure. Ruhnau ist mit der Strategie der Umweltsenatorin gar nicht einverstanden.
"Ich persönlich finde es wichtiger und sinnvoller, im Moment den Wohnraum zu schaffen als Spielplätze oder irgendwelche Infrastrukturmaßnahmen durch Kleingärten zu legen."
Der Präsident der Baukammer Berlin, Ralf Ruhnau, sitzt an seinem Schreibtisch und schaut in die Kamera.
Verständnis für Kleingärtner: Trotzdem würde der Präsident der Baukammer Berlin, Ralf Ruhnau, auf den Grundstücken der Kleingärten Wohnungen errichten.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Deshalb appelliert der Baukammerpräsident an den rot-rot-grünen Senat in Berlin, wenigstens die Ränder der Kleingärten auf den landeseigenen Grundstücken für Wohnbebauung freizugeben. Die eigneten sich hervorragend dazu.

Gärten stehen auf Bauland

"Wenn ich preiswerten Wohnraum schaffen will, dann muss ich überlegen: wie kann ich an Bauland kommen, das billig ist, wenn ich Bauland habe, was mir schon gehört, ist das zunächst ja mal ein Pfund, mit dem ich wuchern kann, wenn ich dann noch Bauland habe, das schon an erschlossenen Straßen liegt, wo ich sämtliche Versorgungsleitungen habe, dann kann ich an dieser Stelle hervorragend preiswert Wohnraum schaffen. Es gibt diese Zahl, die wir genannt haben, um den Stein ins Rollen zu bringen. Wenn man also kleine Wohnungen unter 50 Quadratmeter baut und die Gesamtfläche der Kleingärten hochrechnet und mal zwanzig Prozent nimmt, dann kommen eben 200.000 Wohnungen ungefähr raus", erklärt Ruhnau.
200.000 – so viele Wohnungen fehlen zurzeit in Berlin. Dementsprechend heftig wird in der Stadt nun wieder einmal debattiert. Berlins Kleingärtner okkupieren wertvolles Bauland, sagen die einen. Berlin braucht die grünen Oasen, sonst erstickt die Stadt, argumentieren die anderen.
"Insofern kann ich die Kleingärtner sehr gut verstehen, und ich kann auch verstehen, wie man um jeden Strauch kämpft. Aber wenn ich meinen Garten um ein Stückchen opfern müsste, um der Gemeinschaft was Gutes zu tun, dann wäre ich zumindest bereit darüber nachzudenken und darüber zu verhandeln", sagt Ruhnau.

Senat soll Konzept vorlegen

Jetzt ist der Berliner Senat gefordert. Er hat zum Beispiel noch immer kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie er mit den Themen Dachgeschossausbau, Nachverdichtung und Baulückenschließung umgehen will. Auch das sind Optionen, Wohnraum in der Stadt zu schaffen. Solange hier keine Klarheit herrscht, bleiben die Laubenkolonien unangetastet. Zumindest die, die sich auf landeseigenen Grundstücken befinden.
Berlin ist Deutschlands Hochburg der Kleingärtner. Daran wird sich nichts ändern. Etwa 71.000 Parzellen gibt es in der Hauptstadt. Den Verlust der knapp 900 Parzellen, die jetzt für soziale und Infrastrukturmaßnahmen benötigt werden, werden die Kleingärtner verschmerzen, ist Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther überzeugt.
"Wir werden in die Kommunikation gehen müssen mit den betroffenen Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern, und auch mal, ich sage es salopp, einen Henkel an die Tasse zu kriegen."

Gärten weichen Turnhalle

Zu den Kleingärtnern, mit denen die Senatorin zu Potte kommen will, gehören auch die aus der Kolonie "Bornholm II" im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Mehr als 200 Parzellen umfasst die Anlage mitten im Wohngebiet, acht bis zehn von ihnen sollen bald geräumt werden.
Die benachbarte Grundschule benötigt dringend eine neue Turnhalle. Sie soll auf dem frei werdenden Gelände errichtet werden. Lange haben die Laubenpieper und ihr Vereinsvorsitzender Edwin Damrose um den Erhalt der Gärten gekämpft: "Aber man sieht, es ist eine Grundschule, um die es hier geht, und die wird von drei Zügen auf fünf Züge aufgebaut und erweitert. Da brauchen die Kinder auch die Nähe zur Schule und eine Turnhalle. Ja, man kann sich da schlecht wehren. Ich sehe es auch ein. Es ist nicht so, dass ich mich da jetzt irgendwohin stelle und sage, ich bin für ein totales Verbot, nein. Das sind kleine Kinder, die kann ich nicht nach Karow schicken zum Turnen."
Die Kleingärtner ärgern sich zwar immer noch darüber, dass keiner ihrer verschiedenen alternativen Standortvorschläge von den Verantwortlichen jemals ernsthaft geprüft wurde. Aber sie wissen auch, dass sie den Konflikt mit den Eltern der Umgebung vermeiden sollten. Vielleicht brauchen sie sie noch. Nicht nur als tägliche Besucher und Spaziergänger, sondern auch als Unterstützer.

Zusage bis 2030 erhalten

An einem trüben Frühlingstag steht Edwin Damrose auf dem Hauptweg der Anlage und beobachtet, wie zwei Elektriker die Oberleitungen reparieren.
"Hier wird neuer Strom gelegt. Bei unserem Vereinsheim ist 1964 der Strom gelegt worden, ist ein bisschen überaltert, und deswegen hat uns das ‚Stromnetz’ unseren Antrag bewilligt, dass das gemacht wird. Anscheinend gibt es eine Zukunft. Mit der Aussage, die auch aus der Zeitung kam, bis 2030 ist ‚Bornholm II' gesichert, da hat ‚Stromnetz’ dann gesagt: Okay, dann wird es gemacht."
Edwin Damrose, Vereinsvorsitzender des Kleingartenkolonie "Bornholm II" im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, steht vor dem Vereinsheim.
Im Kiez verankert: Edwin Damrose ist Vereinsvorsitzender des Kleingartenvereins "Bornholm II" im Prenzlauer Berg. © Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Fragt sich nur, wie lange der Strom noch fließen wird. Denn in den Behörden kursieren unterschiedliche Pläne. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung überlegt sehr wohl, auf dem Gelände der Kleingartenkolonie "Bornholm II" den Neubau von Wohnungen zu genehmigen. Wenn es nach ihr ginge, könnten bis zu 1.000 Wohnungen auf dem Areal errichtet werden. Und zwar schon vor 2030. Bald wird das Berliner Abgeordnetenhaus die verschiedenen Pläne debattieren und dann entscheiden.

Frische Luft für Prenzlauer Berg

Edwin Damrose schüttelt verständnislos mit dem Kopf. Eine Entscheidung pro Wohnungsbau wäre ökologischer Unsinn, sagt er, aus vielerlei Gründen. Er erinnert an die Starkregen der letzten Jahre.
"Hier sind 120 Liter Wasser gefallen. In meinem Garten habe ich nichts bemerkt, auf der anderen Straßenseite war die Feuerwehr. Weil die Flächen versiegelt sind. Dann sind wir im Klimaatlas von Berlin als Frischluftschneise für den ganzen Prenzlauer Berg. Da waren hier Studenten der TU Potsdam, die haben hier ein Projekt gemacht, die haben hier bei uns in der Gartenanlage Temperaturen gemessen und dann auf dem Alex und verglichen. Bis zu acht Grad Temperaturunterschied. Man glaubt’s nicht. Und dann will man die bebauen, diese Luftschneise. Das ist sehr traurig, wenn so was passieren würde. Und dann hätten wir bald Zustände wie, weiß ich nicht, in China oder wo weiß ich, wo man nur noch mit einem Mundschutz läuft. Also das verstehe ich nicht. Ich bin bestimmt kein Grüner. Aber so viel Verständnis habe ich, dass so was in der Stadt bleiben sollte."
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