Kleingärtner gegen Stadtplaner

Bauboom bedroht Berlins Schrebergärten

09:14 Minuten
Mehrere Gartenhäuser sind zwischen Bäumen, Sträuchern und Wiesen zu sehen. Im Vordergrund blüht ein gelber Forsythienstrauch neben einem Trampolin für Kinder.
Viel Grün mitten in der Stadt: Blick auf die Berliner Kleingartenkolonie Westend im Stadtteil Charlottenburg © Picture Alliance / dpa / Bildagentur-online / Schöning
Von Dieter Nürnberger · 17.08.2020
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Die Kleingärten in Berlin sind in Gefahr, denn die Flächen sind bei Stadtplanern begehrt. In der Bundeshauptstadt drohen Hunderte Parzellen zu verschwinden. Doch die Laupenpieper kämpfen für ihr Grün.
Für Stefanie Winkler ist der Kleingarten in der Kolonie "Am Stadtpark" in Berlin-Wilmersdorf schon seit langem eine Oase mitten in der Großstadt.
"Wir sind seit 2012 Pächter", erzählt sie. "Haben drei oder vier Jahre gewartet. Wir waren sehr froh, weil der Garten in fußläufiger Entfernung zu unserer Wohnung ist. Wir haben sehr viel Zeit und Liebe investiert, um das so herzurichten, wie es jetzt aussieht. Wir sind nach wie vor begeisterte Kleingärtner und ja, die Hoffnung stirbt immer zum Schluss."

Kampf ums Grün und die sozialen Kontakte

In der Berliner Laubenkolonie wird der Rasen unter dem üppigen Walnussbaum nicht akribisch geschnitten, ein bisschen wilder und vielfältiger darf es schon sein. Doch die Idylle ist bedroht, denn es gibt Pläne, 19 Parzellen der Kolonie künftig als Baufläche für eine angrenzende internationale Schule auszuweisen. Weswegen überall in der Kolonie nun Protestschilder - auch in Englisch - an den Gartenzäunen hängen.
Die Kolonie am Stadtpark ist mehr als 100 Jahre alt. In der langen Vereinsgeschichte mussten schön öfter Flächen abgetreten werden: mal für einen Sportplatz oder auch für Wohnungsbau. Nun also müssen die Laubenpieper, wie die Schrebergärtner in Berlin oft genannt werden, wieder um gewachsene soziale Kontakte ebenso wie um ihr Grün kämpfen.
Oliver Rudzick beispielsweise kümmert sich in der Kolonie schon seit längerem um die Obstbaumkartierung.
Er hat mehr als 470 erfasst: "Da sieht man schon, dass wir eine ziemliche Vielfalt an Arten haben. Alte Apfelsorten: Krügers Dickstiel oder Safran-Apfel, das ist eine alte Apfelsorte aus dem Vogtland. Am Ende kann man die Früchte ernten, die man nirgendwo sonst zu kaufen bekommt."

Im Visier der Bauherren

Nach dem aktuellen Entwurf des Kleingartenentwicklungsplans des Berliner Senats könnten künftig mindestens 473 Parzellen in der Stadt verschwinden. Es ist ein immer wiederkehrender Konflikt. Denn in einer wachsenden Metropole wie der deutschen Hauptstadt ist Bauland knapp.
Die Kleingärten geraten ins Visier von öffentlichen und auch privaten Bauherren. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind im Innenstadtbereich rund die Hälfte der Kleingärten geopfert worden, sagt Michael Matthei, Präsident des Landesverbandes der Gartenfreunde Berlin. Ein schmerzhafter Verlust.
Für ihn sind die Kleingärten vor allem ökologisch und sozial wichtig: "Biodiversitätserhalt, Artenerhalt aber auch als Kaltluftentstehungsorte. Ebenso die soziale Verantwortung: Es gibt neben den Sportverbänden keinen anderen Ort, wo sich so viele Menschen unterschiedlichster Couleur, unterschiedlichster sozialer Herkunft, unterschiedlichster Bildungszuschnitte zusammenfinden."
Seit der Veröffentlichung des Kleingartenentwicklungsplans hat sich die Diskussion verschärft. Es geht inzwischen auch um die Frage, ob dieses innerstädtische Grün in Zeiten von Wohnungsknappheit überhaupt noch vertretbar sei. So veröffentlichte die Initiative "Gartenstädte statt Gartenzwerge", dahinter steht auch der in Berlin recht bekannte Immobilienentwickler Arne Piepgras, in Zeitungen einen offenen Brief mit dem Tenor: Auf landeseigenen Flächen könnten 400.000 Wohnungen entstehen, allerdings würden diese derzeit noch von rund 60.000 Kleingärtnern genutzt. Eine Provokation für den Präsidenten der Gartenfreunde.
"Jetzt stellen wir uns mal vor", erläutert Matthei, "ich würde jetzt unsere Gärten im Stadtzentrum von Berlin aufgeben und alles an den Rand von Berlin geben. Ich habe aber ältere Menschen, ich habe auch bewegungseingeschränkte Menschen. Wie sollen die dann zu ihrem Garten kommen?"

Offener Brief sorgt für Diskussion

Kleingärten also besser an den Rand, raus aus der Innenstadt? Auch Daniel Buchholz, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, kann mit dem Diskussionsbeitrag nicht viel anfangen. Die Sozialdemokraten stellen zusammen mit der Linken und den Grünen die Landesregierung.
"Eine komplett verdichtete und überbaute Innenstadt? Wollen wir die grünen Erholungsflächen nur noch am Stadtrand haben und hier in der Mitte alle ersticken? Ich glaube, das will niemand wirklich", sagt der SPD-Politiker. "Es ist klar, je weiter wir in der Innenstadt sind, desto wertvoller werden die Flächen. Aber dass wir den Status quo groß verändern müssen, das sehen wir nicht."
Doch sorgte der offene Brief auch für eine breite Diskussion. Gefordert wird darin ein Berliner Masterplan für die Stadtentwicklung. Es könnten auch Gartenstädte nach dem Vorbild der 20er- und 30er-Jahre entstehen. Als alleiniger Vernichter von Grün versteht sich die Initiative nämlich nicht.
Doch Wohnungsbau statt Gärten, zumindest in großen Teilen der Innenstadt, da verweist Michael Matthei von den Berliner Gartenfreunden vor allem auf die Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte: "Wo es dann heißt: Wir bauen Wohnungen. Die sind dann 50 oder 70 Prozent Spekulationsobjekte und eben keine sozialverträglichen Wohnungen, die der Allgemeinheit zugutekommen."

Bedingungen für die Laubenpieper

Die Politik setzt auf einen Interessenausgleich. Es werde zwar immer enger in der Hauptstadt, doch gebe es weiterhin auch Entwicklungsflächen, etwa am Stadtrand oder Brachflächen in der Innenstadt. Ein Entweder-oder von Gärten oder Wohnungen stelle sich gar nicht, sagt der Stadtentwicklungsexperte der SPD-Fraktion Daniel Buchholz.
Der Kleingartenentwicklungsplan des Senats will die Berliner Flächen nun sogar längerfristig sichern. Es soll zwar auch weiterhin möglich sein, dass künftig Parzellen für Wohnungs-, Schul- oder Straßenbau weichen müssen, doch der Großteil soll erhalten bleiben.
Allerdings zu Bedingungen, so der SPD-Politiker: "Dafür, dass wir eine dauerhafte Sicherung anbieten, wollen wir auch eine deutliche Weiterentwicklung auf der Seite der Kleingärten. Beispielsweise die gemeinsame Nutzung durch Urban Gardening, durch eine urbane, gemeinsame Nutzung. Oder auch die Kooperation mit der nächsten Kita, Seniorenclub oder auch Schule. Da gibt es viele Ideen. Vor allem ist es uns auch sehr wichtig, dass die Kleingärtnerinnen und Kleingärtner tatsächlich einen Standard erreichen, dass es dann auch ökologische und wertvolle Kleingärten sind und dies auch beachtet, unterstützt und auch kontrolliert wird."
In der Kolonie am Stadtpark Wilmersdorf hält sich die Begeisterung für den noch zu verabschiedenden Kleingartenentwicklungsplan allerdings in Grenzen. Die Vereinsvorsitzende Gabriele Gutzmann schüttelt über einige Bedingungen aus Politikermund den Kopf.
"Weil so getan wird, als wären die Kleingärten alle verschlossen und jetzt muss der große Gesetzgeber kommen und muss dafür sorgen, dass sie sich öffnen. Dem ist natürlich nicht so", sagt sie. "Wir haben unseren Vereinsgarten geöffnet. Wir haben auch einen Schul- und Kitagarten."

Neue Parzellen durch anderen Zuschnitt

Gutzmann sieht im Kleingartenentwicklungsplan des Senats auch kein verlässliches politisches Instrument, um langfristig die Berliner Kleingartenlandschaft zu sichern.
"Die höchste Sicherheit, die das Bundeskleingartengesetz vorsieht, ist ein Bebauungsplan Dauerkleingarten", sagt sie. "Das wünschen wir uns. Es sollten also die Weichen gestellt werden, dass das im größeren Umfang möglich wird. Wir hoffen, dass wir das hier auch noch zu Lebzeiten erreichen."
SPD-Politiker Buchholz betont hingegen den Kompromiss des Senatsplans. Er verweist auch darauf, dass künftig mehr Berliner vom Kleingartengrün profitieren sollten. Weshalb auch eine Klausel aufgenommen wurde, wonach keine Parzelle künftig größer als 250 Quadratmeter sein soll.
"Wir wollen nach und nach und spätestens, wenn es einen Pächterwechsel gibt, schauen, ob sich das Grundstück verkleinern lässt", erklärt er. "Dann kann man perspektivisch aus bisher zwei übergroßen Parzellen drei normal große machen. Und siehe da, wir haben tatsächlich eine neue gewonnen."
Es ist also einiges in Bewegung geraten in Berlin. Bei der großen Perspektive der künftigen Stadtentwicklung ebenso wie bei den vermeintlich kleinen Fragen, welche Schrebergärten künftig erhalten bleiben sollen.
Am vergangenen Freitag gab es sogar noch eine gute Nachricht für die Kolonie am Wilmersdorfer Stadtpark. Die zuständige Senatsbildungsverwaltung teilte mit, dass nun nach einem anderen Grundstück für die Schulerweiterung gesucht wird. Die 19 Parzellen sind somit – zumindest vorerst – gesichert.
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