Kleist-Feierstunde der eigentümlichen Art

Von Jürgen König |
Jahrzehntelang hatte das Kleist-Grab einen verwilderten, zuletzt fast verwahrlosten Eindruck gemacht. Die neu gestaltete Grabstätte des Dichters am Kleinen Wannsee wurde nun eingeweiht - bei Kälte und strahlendem Sonnenschein, vor großer Festgemeinde, doch ohne jeden Festredner.
Eine Feierstunde der eigentümlichen Art war das - am neu gestalteten Kleist-Grab am Kleinen Wannsee in Berlin: bei Kälte und strahlendem Sonnenschein, vor großer Festgemeinde, doch ohne jeden Festredner. Bundestagspräsident Norbert Lammert legte einen Kranz nieder, sprach aber nicht. Zu hören waren lediglich Worte des Heinrich von Kleist. Sein letzter Brief an die Schwester Ulrike, gelesen vom Schauspieler Ulrich Matthes.

Stimmings "Krug" bei Potsdam, 21. November 1811 am Morgen meines Todes.

Jahrzehntelang hatte das Kleist-Grab einen verwilderten, zuletzt fast verwahrlosten Eindruck gemacht. Hinweisschilder, die nur hartnäckige Kleistenthusiasten entdeckten; ein schlichter Stein, der nur an Kleist erinnerte – versteckt gelegen zwischen einer kleinen Straße und dem Seeufer. Das neue Kleistgrab findet man leicht: ein breiter Asphaltweg führt am Seeufer entlang, wer will, kann sich per Audioguide an die Ereignisse von 1811 erinnern lassen. Am See entlang bis zum Grab sollte der Weg führen, allein der "Schülerruderverband Wannsee e.V." gewährte keine Durchgangsrechte – und also führt der Weg den kopfschüttelnden Besucher um das Rudergelände herum durch den Park wieder hinauf zur Straße und dann wieder zum Grab.

Dort hat man das wild wuchernde Grün gerodet; im Frühling sollen hier Blumen blühen. Die Anlage wirkt einfallslos: der Grabstein eingezäunt, um den Zaun herum ein Rundweg. Auf dem Stein steht jetzt auch der Namen Henriette Vogels; die Verse des jüdischen Dichters Max Ring aus dem Jahr 1862, von den Nazis 1941 entfernt - sie sind wieder zu lesen: "Er lebte, sang und litt / in trüber schwerer Zeit, / er suchte hier den Tod, / und fand Unsterblichkeit".

Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen anderen, meine teuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Lass sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten enthalten ist, lass sie mich zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.

Als großen Wurf kann man das neu gestaltete Kleistgrab wahrlich nicht bezeichnen. Dass es in der jetzigen Form überhaupt entstehen konnte, ist vor allem der Berliner Verlegerin Ruth Cornelsen zu verdanken, die dafür 700.000 Euro bereitstellte. Der Präsident der Kleist-Gesellschaft, Günter Blamberger – er hatte für eine künstlerisch-großzügige Gestaltung des Kleist-Grabes plädiert, etwa in der Art der Gedenkstätte für Walter Benjamin, die Dani Karavan Anfang der 90er-Jahre errichtet hatte: an Benjamins Grab in Port-Bou, an der Pyrenäengrenze zwischen Spanien und Frankreich. Doch für derlei fehlten in Berlin der Wille und wieder einmal das Geld. Auch Kulturstaatssekretär André Schmitz war heute anwesend, ebenso Günter Blamberger. Doch nach einer Festrede war offenbar niemandem zumute.

Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit, dem meinigen gleich: dass ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß. Dein Heinrich.
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