Klicken statt Schreiben lernen

Von Agnes Bührig |
Bücher gehören für einige schwedische Erstklässler der Vergangenheit an. Ihnen wird ohne Stifte und Bücher das Lesen und Schreiben beigebracht. In drei Schulen in Stockholm geht dies nur noch mit PC und Tablet-PC. Erst in der zweiten Klasse werden Stift und Papier zum Schreiben lernen ausgeteilt.
"Ich fühle mich provoziert, wenn Kommunalpolitiker glauben, Bücher gehörten der Vergangenheit an". "

Mit diesen Worten kommentierte der schwedische Schulminister Jan Björklund von den Liberalen jüngst Berichte über Vorschul- und Erstklässler, denen ohne Stifte und Bücher das Lesen und Schreiben beibgebracht wird.

Denn in drei Schulen im Stockholmer Stadtteil Sollentuna geht dies bereits nur noch mit PC und Tablet-PC. Statt Bleistift und Füller haben Sechsjährige bei der Einschulung diese in Schweden als Leseplatten bezeichneten Minicomputer erhalten, Schulbücher sind nicht mehr im Einsatz. Erst in der zweiten Klasse werden Stift und Papier zum Schreibenlernen ausgeteilt.

Mathestunde in der ersten Klasse. Ein knappes Dutzend Siebenjährige sind in der Bibliothek der Tegelhagenschule zusammen gekommen und haben sich auf Sitzkissen im Kreis um ihre Lehrerin Eva Ulmander Eriksson verteilt. Die Pädagogin hat Blätter mit geometrischen Formen auf dem Schoß, auf einem Tisch hinter ihr wartet ein Stapel Leseplatten.

Das Ziel heute: Kreise, Quadrate und Rechtecke in der Umgebung zu finden, zu fotografieren und in einer Datei auf dem Ipad zu platzieren.

""Heute wollen wir uns die geometrischen Formen bewußt machen, die um uns herum sind. Es ist einfacher, sie zu fotografieren anstatt sie abzuzeichnen."
In Zweierteams schwärmen die Kinder aus und bevölkern die Bibliothek und den umgebenden Flur. Ein Bildschirm - klick - ein Rechteck. Die Lampe unter der Decke - klick - ein Kreis. Es ist gar nicht so einfach, den Tablet-PC so zu halten, dass das Objekt zentriert ins Bild kommt. Doch das Abfotografieren geht leichter als das Abzeichnen mit Stift und Papier.

Die Motorik ist einfach noch nicht so gut entwickelt. Das sei vor allem beim Schreibenlernen ein Hindernis. Mit dem Computer lasse es sich umgehen, sagt die Klassenlehrerin:
"Wenn wir anfangen zu schreiben, machen wir das direkt mit dem Computer. Zuerst ist das eine Art Geisterschrift. Dann werden daraus Wörter, Sätze und Absätze. Wir arbeiten mit Buchstaben in Form von Lauten. Alle Kinder haben Kopfhörer. Sie hören, was sie schreiben, dann können sie sich ihren Text vorlesen lassen. Auf diese Weise lernen sie schneller, wo Leerzeichen stehen müssen. Wenn sie die Wörter hören, die sie schreiben, werden sie für die Kinder zu einem Satz."

1,9 Millionen Euro hat die Tegelhagenschule vor drei Jahren bereit gestellt, um alle Schüler von der Vorschule bis zur 9. Klasse mit Tablet-PCs und Computern auszurüsten. Dies geht auf eine Initiative der Schulleitung zurück. Dass Kinder den Umgang mit Computern und Tablet-PCs beherrschen müssen, ist zwar kein Ziel im Lehrplan. Doch mit technischen Hilfsmitteln sollen sie sich vertraut machen. Schließlich liegt Schweden bei der Benutzung neuer Techniken im IT-Bereich. Da darf der Bildungssektor nicht nachstehen, findet die Rektorin der Schule, Eva-Lotta Kastenholm:
"Es ist eine Demokratiefrage, Kindern den Zugang zu IT-Werkzeugen zu ermöglichen. Die Schule soll helfen, Mitbürger heranzubilden, die im Arbeitsleben funktionieren. Da sind technische Hilfsmittel sehr wichtig. Und diese haben sich in all den Jahrhunderten verändert.

Wir meißeln nicht mehr in Stein oder benutzen Sand, wenn wir schreiben. Der Stift wird in Zukunft in der Kunst zum Einsatz kommen, weniger aber auf der Arbeit oder privat, wenn man kommuniziert."

Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Kinder das Erzählen und den Umgang mit Sprache verlernen, wie Kritiker meinen. Im Gegenteil führten die neuen technischen Möglichkeiten zum spielerischen Herantasten an Texte, sagt Lehrerin Anna Wiberg.

Die Erfahrungen mit dem Lesen- und Schreibenlernen sind beim ersten Jahrgang dieser Unterrichtsmethode gut, sagt sie und zeigt auf eine Reihe quadratischer muster, sogenannte QR-Codes, die an der Tür der Bibliothek aufgeklebt sind. Per Mausklick stellt die Schwedin die Verbindung zu Märchen her, die die Schüler mithilfe des Leseplatten-Apps Puppet Pals entwickelt haben:

"Man wählt die Figuren aus, die man haben will, dann bewegt man sie dahin, wo man sie haben will. Dazu liest man den Text ein. Damit lässt sich gut trainieren, dass ein Märchen einen Anfang, eine Handlung und einen Schluss hat. Vorschulkinder, die noch nicht schreiben können am Computer, können auf diese Weise Märchen erschaffen. Das haben wir dann bei YouTube hochgeladen."
Und per Beamer können die Schüler ihre Werke dann aus dem eigenen Google-Account auf eine virtuelle Tafel werfen, die sich in jedem Klassenzimmer befindet. Alle Dokumente speichern sie im Internet. Nicht nur die Bilder der Mathestunde an diesem Tag, auch eingescannte gemalte Bilder oder Texte, die sie mit Hilfe des Kopfhöreres erarbeitet haben.

Bei den Eltern stößt das auf große Zustimmung. Dass das selbständige Arbeiten mit Computer und Tablet-PC zur Vereinzelung führt, wie Kritiker unken, glaubt Anna Wiberg nicht:

"Wenn du eine Erzählung schreibst, machst du das allein, wenn du den Computer dafür benutzt, machst du das auch allein - da gibt es keinen Unterschied. Der Computer ist hier in der Schule ein Werkzeug. Aber wenn man auch zu Hause viel vor dem Rechner sitzt und dadurch keinen Kontakt zu anderen hat, ist das etwas anderes. In der Nachmittagsbetreuung bei uns in der Schule zum Beispiel sind die Computer aus. Da spielen die Kinder draußen."

Moa und Alfred legen letzte Hand an ihren im virtuellen Dokument über Kreise in der Umwelt. Ihre Klassenlehrerin gibt Tipps, wie sie Größe und Farbe der Überschrift ändern können. Wissbegierig verfolgt Alfred die einzelnen Arbeitsschritte auf dem Display:

"Mit dem iPad macht es mir am meisten Spaß, zu arbeiten. Und es ist auch leichter als mit Papier und Stift zu zeichnen. Hier muss man nur auf die Knöpfe drücken."

Bücher wird es auch weiterhin geben und auch die motorischen Fähigkeiten der Schüler werden nicht verkümmern, da ist sich Eva Ulmander Eriksson sicher. Doch die Begeisterung, die die Kinder mit den neuen Lerntechniken zeigen, möchte die Klassenlehrerin nicht mehr missen. Das Leseplattenprogramm der Tegelhagenschule wird in Schweden Schule machen.
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