Heizen, Auto, CO2-Ausstoß

Bin ich ein Klimasünder?

Braunkohlebriketts glühen in einem Kachelofen.
"Wenn ich die öffentliche Diskussion über die Energiewende auf mein persönliches Leben herunterbreche, dann bin ich wohl ein Ökoschwein", sagt Max-Thomas Mehr. Ganz so einfach ist es aber auch wieder nicht. © picture alliance / dpa / Robert Schlesinger
Ein Kommentar von Max-Thomas Mehr · 24.11.2021
Modernisieren oder Neubauen? Das alte Auto runterfahren oder ein Elektromobil anschaffen? Die Abwägung ist gar nicht so einfach, wie der Journalist Max Thomas Mehr feststellen muss. Dabei ist er eigentlich guten Willens.
Ja, wir leben in einer Mietwohnung in Kreuzberg und besitzen auch noch ein 170 Jahre altes Haus auf dem Land – beheizt mit alten Kachelöfen. Ist das Luxus? Na ja. Ich habe es dieses Jahr jedenfalls schon wieder nicht geschafft, dort aus der Kohle auszusteigen. Gerade erst orderte ich mit furchtbar schlechtem Gewissen eine ganze Tonne für 211 Euro frei Haus.
In einem der dünn besiedeltsten Landkreise Deutschlands verkauft allein „mein“ Baumarkt davon 30 bis 35 Sattelschlepper im Jahr. Und teurer ist es auch nicht geworden, erzählt der Lieferant beim Abladen, wirkt dabei irgendwie ratlos und lacht unsicher. Schließlich wird vor Einbruch des Winters auch im Dorf heftig über die exorbitant steigenden Energiekosten diskutiert – nur der Preis für Kohle steigt offenbar nicht!

Auf dem Land geht es nicht ohne Auto

Wenn ich die öffentliche Diskussion über die Energiewende auf mein persönliches Leben herunterbreche, dann bin ich wohl ein Ökoschwein! Nein, halten Sie mich jetzt nicht für einen Zyniker, dem die Klimakrise egal ist. Das Gegenteil ist der Fall. In der Stadt fahre ich Fahrrad und aufs Land nur mit der Bahn. Dort brauche ich allerdings ein Auto. Denn auf'm Dorf gibt' s nur Eier! Mein Verhältnis zum Auto ist ähnlich, wie das zum alten Haus. Demnächst bekommt es ein H-Kennzeichen und hat mit bald 30 Jahren keine 150.000 Kilometer runter.

Im Winter lege ich das alte Haus sogar still, lasse Wasser ab und mache es frostsicher. Nur sporadisch, etwa Weihnachten, Silvester oder wenn Corona in der Stadt verrücktspielt, wird es „aufgetaut“. Eigentlich nutzen wir das alte Haus nur im Sommer und in den Übergangszeiten. Soll ich es abschaffen, damit auch mein CO2-Fußabdruck kleiner wird? Gar ein Passivhaus dorthin bauen? Würde meine persönliche Klimabilanz dann besser?

Neubau ist auch nicht die Lösung

Wie lange müsste ich ein solches Passivhaus bewohnen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren? Der Neubau emittiert bis zur Fertigstellung, allein schon durch die Produktion der Baustoffe, reichlich Klimakiller in die Atmosphäre. Ist es nicht besser, das alte Haus zu behalten und so behutsam zu dämmen, dass es trotzdem noch atmet und sich kein Schimmel bildet? Die hundert Jahre alten Biberschwänze auf dem Dach liegen zu lassen und – geht mal einer kaputt – diesen zu ersetzen? 
Müsste nicht jeder Neubau, der nicht regenerativ, also etwa aus Holz ist, angesichts der Klimakrise verboten und alles darangesetzt werden, vorhandene Gebäude so zu sanieren, dass sie so klimaneutral wie möglich unterhalten werden können?

Wo ist Elon Musk für die klimaneutrale Heizung?

Ist es nicht viel weniger klimaschädlich, mein 170 Jahre altes Haus solange weiter mit Kohle zu heizen, bis es funktionierende und vor allem bezahlbare klimaneutrale Alternativen gibt? Immerhin, mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen gehen hierzulande auf den Gebäudebestand zurück. Der Wärmemarkt ist das Stiefkind des Klimaschutzes.
Vor lauter Klimazielen wird einem schwindelig. Geht es nach der Politik, sollen wir bis 2045, geht es nach Friday for Future, schon bis 2035 in die Klimaneutralität katapultiert werden. Doch der praktische Weg dahin ist irgendwie ins Hintertreffen geraten. Wo ist der Elon Musk, der die klimaneutrale Heizung für all die Häuser im Bestand baut?

In 13 Jahren klimaneutral? – Träumt weiter!

Es gibt ihn nicht. Es gibt keine Wunder. Es bleibt wohl nur die Hoffnung, dass unser altes Haus irgendwann an eine grüne Fernwärmeleitung angeschlossen wird. Geothermie, Großwärmepumpen, im Sommer durch Solar aufladbare Energiespeicher fürs Heizen im Winter – wird unser altes Haus noch in den Genuss solcher Zukunftsstrategien kommen?

Ach ja, meine Mietwohnung in Kreuzberg ist übrigens eine von über 300.000, die der Stadt gehört. Sie wird mit Stadtgas beheizt. Klimaneutral ist das auch nicht. Etliche Häuser dort, die derselben städtischen Wohnungsbaugesellschaft gehören, werden sogar immer noch mit dem reichlich CO2 emittierenden Heizöl betrieben. Noch nicht mal den Ausstieg daraus – im eigenen Wohnungsbestand – hat ein rot-rot-grünes Bündnis, das Berlin regiert, in den letzten fünf Jahren geschafft. Wie sollen wir da in 13 Jahren klimaneutral werden?

Mich friert. Ob ich noch etwas Kohle aus dem Keller holen soll?

Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist freischaffender politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung „taz“ mitbegründet. Für das Drehbuch des Films „Sebnitz: Die perfekte Story“ (produziert von Arte/MDR) wurde er mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

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