Klima-Aktivistin über "Fridays for Future"

Protest statt Pauken

Porträt von Franziska Wessel.
Sich für etwas einzusetzen, was die Welt weiterbringe, sei Franziska Wessel wichtiger als zur Schule zu gehen – zumindest freitags. © Deutschlandradio
Franziska Wessel im Gespräch mit Ute Welty |
Sie schwänzen freitags den Unterricht, um sich für den Klimaschutz zu engagieren. Zu den Aktivisten der weltweiten Bewegung "Fridays for Future" gehört Franziska Wessel. Sie sagt: Genau dieses Engagement zu fördern, ist Bildungsauftrag der Schule.
Franziska Wessel mag nicht nur über den Klimawandel reden. Die 14-jährige Schülerin aus Berlin will sich auch engagieren – und tut es schon. Deshalb geht sie im Rahmen der weltweiten Schülerbewegung "Fridays for Future" freitags häufig nicht in ihr Klassenzimmer, sondern mit vielen anderen Schülern zusammen auf die Straße. Und gemeinsam mit ihren Eltern hat die Gymnasiastin versucht, ein Jahr lang klimaneutral zu leben. Die Eltern, Günther Wessel und Petra Pinzler, beide Journalisten, haben daraus ein Buch gemacht ("Vier fürs Klima"). Zwölf Tonnen Co2-Emissionen pro Bundesbürger im Jahr - das sei eindeutig zu viel, nur zwei Tonnen seien erlaubt, betont die Schülerin.

Bildungsauftrag: Engagierte junge Menschen

Warum Franziska für das Klima dem Schulunterricht fern bleibt, erklärt sie so: "Unser großes Vorbild ist Greta Thunberg aus Schweden, die auch immer freitags auf die Straße gegangen ist – einfach, um dem Parlament zu zeigen, dass es keinen Sinn ergibt, wenn wir freitags in die Schule gehen, ohne eine Zukunft gewährleistet bekommen zu haben. Wenn das Parlament entscheidet - und nicht in unserem Sinne über unsere Zukunft entscheidet -, dann werden wir keine Zukunft mehr haben, wie sie die Generation heute noch hat. Deshalb wollen wir zeigen, dass Lernen ohne Zukunft einfach keinen Sinn hat."
Schüler demonstrieren am 25. Januar 2019 in Berlin gegen politische Untätigkeit beim Klimawandel.
Schüler demonstrieren am 25. Januar 2019 in Berlin gegen politische Untätigkeit beim Klimawandel.© picture alliance/Gregor Fischer/dpa
Trotzdem – darf man dafür die Schule schwänzen? "Im Bildungsauftrag der Schule steht zum Beispiel, dass die jungen Menschen sich zu politischen und engagierten Menschen herausbilden sollen", sagt Franziska Wessel. "Und gerade das zeigt doch, dass unsere Schulbildung Erfolg hatte – dass wir uns für etwas einsetzen, das die Welt voranbringt. Und ich finde, das ist an diesen bestimmten Freitagen wichtiger als zur Schule zu gehen."

Offener Brief an die Kohlekommission

Zu den Forderungen der Jugendlichen von "Fridays for Future" gehört ein deutlich früherer Kohleausstieg, als es derzeit von der Bundesregierung geplant ist. Ihr Engagement scheint Früchte zu tragen: Besonders stolz ist Franziska Wessel darauf, dass einige Vertreter des deutschen "Fridays for Future" der am heutigen Freitag tagenden Kohlekommission ganz offiziell einen offenen Brief übergeben können. Darin können Politiker und Wirtschaftsvertreter nachlesen, warum die jungen Aktivisten einen schnellen Ausstieg aus der Stromproduktion mit Kohle fordern.
(mkn)
Der Protestforscher Dieter Rucht sagt im Deutschlandfunk Kultur, er befürchte, dass die "Fridays for Future"-Proteste binnen weniger Wochen aufhören könnten:
Audio Player

Das Interview mit Franziska Wessel im Wortlaut:
Ute Welty: Engagement statt Englisch, Demo statt Deutsch und Protest statt Philosophie. Immer mehr Schülerinnen und Schüler bleiben freitags der Schule fern und gehen zum Beispiel für mehr Klimaschutz auf die Straße. Auch Franziska Wessel ist Umweltaktivistin, ihre Eltern haben darüber ein Buch geschrieben. Noch mal guten Morgen, Frau Wessel!
Franziska Wessel: Hallo!
Welty: Europaweit gehen ja Schülerinnen und Schüler inzwischen auf die Straße, demonstrieren für besseres Klima. Warum heute und warum nicht morgen und übermorgen, wo auf keinen Fall Schule ist?
Wessel: Ja, genau, das ist so ein bisschen unser Motto auch. Unser großes Vorbild ist nämlich Greta Thunberg aus Schweden, die auch freitags immer auf die Straße gegangen ist, einfach um dem Parlament zu zeigen, dass es keinen Sinn ergibt, wenn wir freitags in die Schule gehen, ohne eine Zukunft gewährleistet bekommen zu haben. Wenn das Parlament über unsere Zukunft entscheidet und sich falsch entscheidet, dann werden wir keine Zukunft in dem Maße mehr haben, wie es die ältere Generation heute hat. Deswegen wollen wir zeigen, dass Lernen ohne Zukunft einfach keinen Sinn macht, und es ist auch einfach viel mehr Medieninteresse und so, wenn wir freitags auf die Straße gehen.
Welty: Das sind ja sicher wertvolle Ziele, aber nichtsdestotrotz, darf man deswegen die Schule schwänzen?
Wessel: Im Bildungsauftrag der Schule steht zum Beispiel, dass die jungen Menschen sich zu politischen und engagierten Menschen herausbilden sollen, und gerade das zeigt doch, dass unsere Schulbildung eigentlich Erfolg hatte, dass wir uns quasi für etwas einsetzen, was die Welt voranbringt. Und ich finde, das ist an diesen bestimmten Freitagen wichtiger, als zur Schule zu gehen.
Welty: Welche Erfahrungen gibt es bislang mit dieser Aktion, die sich Fridays for Future nennt?
Wessel: Es gibt sowohl positive Erfahrungen, zum Beispiel von manchen Schulen oder so unterstützen die Lehrer das auch total. Meine Schulleiterin hat uns zum Beispiel nach der zweiten Stunden freigestellt, wenn wir eine Entschuldigung der Eltern haben, 11 und 12 darf sie so freistellen, aber auch nur einmalig. Viele Schulleiter wissen auch gar nicht, wie sie damit umgehen sollen, dass die Kinder jetzt Schule schwänzen, ob es nur unentschuldigte Fehlstunden geben soll oder ob sie halt freigestellt werden können. Und ich hab auch gehört, dass zum Beispiel der Senat an verschiedene Schulen Briefe rausschickt, dass auf jeden Fall da mit Verweisen gedroht werden muss und so weiter.
Welty: Sie haben Greta Thunberg angesprochen, die ist heute in Davos auf dem Weltwirtschaftsforum. Wir haben heute auch schon über sie gelernt, dass sie inzwischen so ein gefragter Medienstar ist, dass sie fast keine Zeit mehr hat, um auf Demos zu gehen. Haben Sie Kontakt mit ihr?
Wessel: Ja, ein paar von uns haben halt auch Kontakt zu ihr, zum Beispiel Isa Neubauer, die das Ganze auch mitinitiiert hat, hat sich auch damals mit Greta Thunberg getroffen. Aber sie kann leider heute nicht hier sein, weil sie wie gesagt auf diesem Weltwirtschaftsforum ist. Aber wir haben auch Kontakt zu ihr und auch zu den anderen, Fridays-for-Future-Bewegungen zum Beispiel in Brüssel, wo gestern ja auch 32.000 Schüler auf der Straße waren.

Ihre Familie lebt möglichst klimaneutral

Welty: Sie haben Ihre Eltern, Ihre Familie nach einer Hausaufgabe aus dem Ethikunterricht genötigt, ein ganzes Jahr lang die CO2-Produktion zu senken – a) Wie haben Sie das gemacht, und b) Was hat es gebracht?
Wessel: Ich weiß gar nicht so genau, wie ich das damals gemacht hab. Ich hab halt mit meinen Eltern geredet, weil es einfach … der CO2-Ausstoß liegt beim deutschen Bundesbürger bei ungefähr zwölf Tonnen, und theoretisch müssten wir bei zwei Tonnen liegen. Und das geht doch eigentlich nicht, dass andere Länder zum Beispiel nur zwei Tonnen CO2 ausstoßen und wir dann mit unseren 14 Tonnen ankommen und die Erde kaputt machen. Dann hab ich halt mit ihnen darüber geredet, und dann haben wir beschlossen, dass wir versuchen wollen, wie man möglichst klimaneutral – man kann nicht klimaneutral leben –, aber wie man das möglichst versuchen kann, seinen CO2-Ausstoß zu verringern.
Welty: Und wie geht das dann? Also beispielsweise bei so einer Situation jetzt morgens, Frühstück, die Familie sitzt zusammen – welche Rolle spielt da CO2?
Wessel: Also zum Beispiel wie gesagt diese normalen Beispiele wie Heizen und das Fenster schließen dabei oder auch einfach Geräte nicht nur auf Standby zu stellen, sondern ganz auszumachen. Wir haben jetzt zum Beispiel auch kein Auto mehr, weil man es in Berlin auch einfach nicht braucht mit den ganzen Öffis. Es gibt ganz viele kleine Dinge, zum Beispiel wenn man eine Lampe ausmacht oder so, verringert das ja auch schon den CO2-Ausstoß.
Welty: Also die Liste kann da schon lang werden. CO2, das steht ja indirekt im Zusammenhang mit der Verstromung von Kohle. Jetzt legt die Kohlekommission heute ihren Abschlussbericht vor, über den ja einiges im Vorfeld schon bekannt wurde. Haben Sie sich schon eine Meinung darüber gebildet?
Wessel: Ja, also wir finden auch von der Bewegung zum Beispiel, dass ein Kohleausstieg, der erst 2030 oder 2035 oder 2040 stattfindet, einfach viel zu spät ist für uns. Es wurde jetzt in verschiedenen Studien auch bewiesen, dass wir nur noch elf Jahre Zeit haben, um zum Beispiel alle Kohlekraftwerke abzuschalten, damit wir das 1,5-Grad-Ziel noch schaffen können, weil sonst wird es einfach katastrophale Ausmaße nehmen. Und ja, wir finden, dass das einfach viel zu wenig ist, und deswegen gehen wir zum Beispiel auch heute auf die Straße, weil durch unsere große Bewegung haben jetzt ein paar Leute, also ein paar Vertreter von Fridays for Future um 11.30 Uhr einen Termin bei der Kohlekommission und können da auch einen offenen Brief sozusagen übergeben, der von ganz vielen Menschen auch unterzeichnet wurde.

"In der Politik muss sich was ändern"

Welty: Haben Sie den Eindruck, Sie werden gehört, Sie werden ernst genommen?
Wessel: Ja, natürlich, auf jeden Fall. Allein dieses Zeichen, dass wir heute einen Termin bei der Kohlekommission haben oder dass auch so ein großes Medieninteresse, sag ich mal, daran besteht und dass wir einfach so viele junge Menschen auch damit erreichen oder auch ältere Menschen, damit die einfach sehen, dass sich in der Politik was ändern muss.
Welty: Was haben Sie als Nächstes auf dem Zettel, was Sie gerne machen möchten fürs Klima?
Wessel: Das weiß ich gar nicht so genau, muss ich sagen.
Welty: Eins nach dem anderen.
Wessel: Ja, ich guck erst mal, wohin sich diese Bewegung entwickelt. Wir werden ja auch weitere Streiks noch haben, zum Beispiel am 15. März, auch ein globaler Streik wieder, mit zum Beispiel Brüssel zur gleichen Zeit. Und dann werde ich einfach mal gucken, wohin sich das entwickelt. Hoffentlich ins Gute!
Welty: Franziska Wessel geht heute nicht zur Schule, sondern demonstriert fürs Klima, vorher war sie hier zu Gast in "Studio 9". Ich danke Ihnen herzlich für den Besuch!
Wessel: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema