Klimaabkokmmen von Paris

"Im Vertrag steht zu wenig Konkretes"

Eine Nasa-Aufnahme zeigt die westliche Hemisphäre der Erdkugel
Die westliche Hemisphäre der Erdkugel © picture alliance / dpa / NASA Goddard Space Flight Center
Felix Ekardt im Gespräch mit Dieter Kassel |
Der Klimaschutzvertrag von Paris enthalte zu wenig konkrete Vorgaben zum Problem der Erderwärmung, kritisiert der Leipziger Klimaexperte Felix Ekardt. Darüber hinaus fehle auch das klare Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen.
Der Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin, Felix Ekardt, beurteilt die Euphorie über das Klimaschutzabkommen von Paris mit Skepsis. Die "gruppendynamischen Emotionen" verstellten den klaren Blick auf die tatsächlichen Ergebnisse, sagte Ekardt im Deutschlandradio Kultur.
Der Philosoph und Soziologe kritisierte insbesondere, dass in dem Vertrag wenig Konkretes stehe - etwa, wie die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius gebracht werden könne:
"Das, was die Länder tun müssen, beruht ja bekanntermaßen auf rein freiwillig festgesetzten Emissionsbeiträgen, und die sind auch überhaupt nicht ausreichend."
Auch sei im Text "eher Fehlanzeige" beim angestrebten Ausstieg aus den herkömmlichen Energieträgern, so Ekardt:
"Es fehlt das klare Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und damit zum Ausstieg aus dem eigentlichen Problem."
Gerechtigkeit für künftige Generationen
Darüber hinaus stellt das Abkommen von Paris aus Sicht Ekardts keine Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen und Entwicklungsländern her. Diese seien schließlich die potentiellen Hauptopfer des Klimawandels:
"Deswegen ist vor allem aus Gerechtigkeitssicht erforderlich, dass man den Klimawandel konsequent angeht. Das ist mit diesem Abkommen nun trotz aller Begeisterung (…) letzten Endes nicht passiert."
So werde keine adäquate Entschädigung für bereits entstehende Klimaschäden festgesetzt. Jeder könne sich nun "das Ganze so interpretativ zurechtlegen, wie er gerne möchte". Deutliche Kritik übte Ekardt auch an Europa und seiner vermeintlichen Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz:
"Wir haben pro Kopf in Deutschland die mindestens fünffachen Emissionen nach wie vor, die verträglich wären, wenn alle Menschen weltweit und auf Dauer so leben würden wie wir."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wir gehen noch einmal zurück zum Abschluss der Weltklimakonferenz in Paris am Samstagabend. Da herrschte dann große Erleichterung und auch Begeisterung, nicht zuletzt beim Gastgeber, dem französischen Außenminister Laurent Fabius:
O-Ton Laurent Fabius: Ich schaue in den Saal, ich sehe, dass die Reaktion positiv ist, es gibt keinen Einspruch! Der Klimavertrag von Paris ist beschlossen!
O-Ton Barbara Hendricks: Ich glaube, man muss mit großen Worten vorsichtig sein, und ich neige auch nicht dazu, zu übertreiben. Aber ich glaube, heute können wir sagen, wir haben zusammen Geschichte geschrieben.
Kassel: Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks war das am Ende, auch sie äußerte sich dann beim Abschluss der Weltklimakonferenz. Und wenn ich das jetzt höre, dann wäre ich am liebsten dabei gewesen. Aber ich kann immerhin mit jemandem reden jetzt, der das war, Professor Felix Ekardt, Gründer und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Guten Morgen, Herr Ekardt!
Felix Ekardt: Schönen guten Morgen!
Gruppendynamische Emotionen vernebeln den Blick auf die Ergebnisse
Kassel: Wie ging es Ihnen denn in diesem Moment, in den wir uns gerade zurückversetzt haben? Waren auch Sie euphorisiert, erleichtert? Was war das?
Ekardt: Ich bin immer eher vorsichtig mit solchen gruppendynamischen Emotionen, das ist typisch für Klimaverhandlungen, dass es einen solchen Gruppendruck gibt, der dann manchmal auch Ergebnisse produziert und der allerdings zum Teil auch dann den klaren Blick auf die Ergebnisse vernebelt. Wenn man das zunächst einmal positiv sieht, könnte man natürlich sagen, hier ist eine emotionale Dynamik in Richtung eines weltweiten stärkeren Klimaschutzes gesetzt worden, und so wird das jetzt ja auch allseits kommentiert. Aber wenn man tatsächlich einen klaren Blick auf die Ergebnisse wirft, dann stellt sich das Ganze doch möglicherweise etwas anders dar.
Kassel: Vor der Konferenz haben ja viele Experten erzählt, dass sie fürchten, dass man sich nur dann auf konkrete Punkte einigen kann, wenn der Vertrag am Ende unverbindlich bleibt. Eigentlich ist es doch auch genauso gekommen, oder?
Ekardt: Es ist im Grunde genauso gekommen. Das Paris-Abkommen ist zwar eine rechtsverbindliche Vereinbarung, aber was dann da konkret drin steht, ist halt doch sehr, sehr vage beziehungsweise die Verbindlichkeit ist dann doch wieder weitgehend reduziert. Das klingt jetzt erst mal großartig, die globale Erwärmung soll sogar deutlich unter zwei Grad bleiben, vielleicht sogar bei 1,5 Grad stehenbleiben. Schon da heißt es allerdings, wenn das umgesetzt wird, daran, was die Länder tun sollen ... Die Länder sollen etwas tun! Sollen! Das könnte also auch heißen, na ja, vielleicht sollen sie ja auch nicht. Also, das müssen fehlt da so ein bisschen. Und außerdem: Das, was die Länder tun müssen, beruht ja bekanntermaßen auf rein freiwillig festgesetzten Emissionsbeiträgen, die sind auch überhaupt nicht ausreichend.
Es fehlt das Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen
Was jetzt weitere Festlegungen angeht, zum Beispiel die Frage, ob man sich konsequent zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen – als Ursachen des Klimaproblems – bekennt, ist auch im Text eher Fehlanzeige. Da ist zwar davon die Rede, dass irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. (des 21. - Anm. d. Red.) Jahrhunderts Emissionen und das, was von der Erde wieder aufgenommen wird, sich die Waage halten soll; aber wie man dahinkommen soll, das bleibt zum Beispiel offen. Also, vielleicht auch durch große Klimaeingriffe wie Algendüngung der Meere, was massive Gefahren mit sich bringen würde. Es fehlt das klare Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und damit zum Ausstieg aus dem eigentlichen Problem.
Kassel: Ein großes Thema Ihrer Arbeit, Herr Ekardt, ist ja auch die Gerechtigkeit. Wie beurteilen Sie denn diesen Vertrag, wenn wir mal davon ausgehen, das meiste würde umgesetzt werden, in Bezug auf Gerechtigkeit, was das Verhältnis zwischen Industrieländern, Schwellenländern und anderen angeht?
Ekardt: Das Hauptproblem der Gerechtigkeit beim Klimaschutz ist ja, dass wir, wenn wir weiter emittieren, wenn wir weiter Treibhausgase in die Welt setzen, ein massives Problem zulasten junger Menschen und zukünftiger Generationen erzeugen und ein massives Problem zulasten der Entwicklungsländer als potenzielles Hauptopfer des Klimawandels erzeugen. Und deswegen ist vor allem aus Gerechtigkeitssicht erforderlich, dass man den Klimawandel konsequent angeht. Und das ist mit diesem Abkommen nun trotz aller Begeisterung, die jetzt gerade in Gang gekommen ist, eben letzten Endes nicht passiert.
Es wird zum Beispiel auch keine adäquate Entschädigung festgesetzt für bereits entstehende Klimawandelschäden, es wird vielmehr ausdrücklich gesagt, dass es in diese Richtung keine Rechtsansprüche der Geschädigten geben soll. Insofern überdeckt die allseitige Begeisterung doch ein bisschen das, was hier tatsächlich erreicht worden ist.
Die EU und Deutschland sind keine Vorreiter
Kassel: Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Chemischen Industrie, Utz Tillmann, hat gesagt nach diesem Abkommen: Beim Mindern von CO2 müssen die Länder außerhalb Europas aufholen, das Abkommen bietet keine Grundlage für Deutschland und die EU, die Ziele und Maßnahmen zum Klimaschutz weiter zu verschärfen. Ähnlich hat sich auch der europäische Arbeitgeberverband geäußert. Das ist ja auch eine merkwürdige Interpretation diese Vertrags: Europa muss jetzt nichts mehr machen?
Ekardt: Das ist genau eine der sehr vielen Gefahren. Jeder kann sich jetzt das Ganze so interpretativ zurechtlegen, wie er gerne möchte. In Wirklichkeit, von den Pro-Kopf-Emissionen her, ist die EU und ist doch auch Deutschland gerade kein Vorreiter! Wir haben pro Kopf in Deutschland die mindestens fünffachen Emissionen nach wie vor, die verträglich wären, wenn alle Menschen weltweit und auf Dauer so leben würden wie wir. Und auch die relative Emissionsreduktionsrichtung seit 1990, dass wir angeblich die Emissionen um ein Viertel reduziert haben, die stimmt doch so in Wirklichkeit gar nicht.
Wir müssen unsere Emissionen nahe null bringen
Wir haben Emissionen ins Ausland verlagert, weil unsere Wohlstandsgüter immer häufiger von dort kommen. Das heißt, wir haben einen ganz, ganz weiten Weg zu gehen, wir müssen im Grunde unsere Emissionen eben auch in die Nähe von null bringen. Wir müssen also von zehn Tonnen CO2, wenn wir ehrlich rechnen würden, im Grunde auf eine Tonne CO2 bis 2050 kommen, und wir haben überhaupt nicht die entscheidenden Maßnahmen dafür bisher ergriffen.
Wir reden nur über Strom – auch dort sind wir halbherzig –, wir müssen über Wärme reden, über Mobilität reden, müssen wir täglich mit dem Auto zur Arbeit fahren, müssen wir in Urlaub fliegen, müssen wir diese Mengen tierischen Nahrungsmitteln essen? – da geht es um den Mineraldünger dann beispielsweise, in dem viel Öl drinsteckt. Und all diese Themen, denen weichen wir bisher aus, da ducken wir uns weg, und zwar wir alle, ob es die Politik, ob die Interessenvertreter – Sie sprachen vom Arbeitgeberverband und vom VCI –, ob es die Gewerkschaften sind oder halt tatsächlich wir alle.
Kassel: Tja, das klingt jetzt ehrlich gesagt so, wie Sie es am Anfang auch schon versprochen haben: nach Euphorie und Begeisterung nicht so richtig, nach dem Ende des Weltklimagipfels in Paris. Wir sprachen darüber mit dem Gründer und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik Felix Ekardt. Herr Ekardt, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Ekardt: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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