Protestbewegung

Ein Leben fürs Klima

29:51 Minuten
Eine junge Aktivistin der Letzten Generation hat sich in Berlin auf einer Straße festgeklebt, ihre Hände zeigen die Sekundenkleberspuren, nachdem ein Polizist sie losgemacht hat.
Klimaprotest auf den Straßen Berlins: Die Polizei spricht von "zunehmender Belastung" durch die Aktivisten. © imago / Future Image
Von Tini von Poser |
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Sie fordern konsequenten Klimaschutz, blockieren Flughäfen und kleben sich auf dem Asphalt fest. Aktivisten von Protestbewegungen wie Letzte Generation opfern dafür ihre ganze Zeit, verzichten auf Studium oder Ausbildung. Doch was bewirkt dieser Protest?
Eine der großen Kreuzungen in Berlin. Greifswalder, Ecke Danziger Straße. Stadtteil Prenzlauer Berg. Mitglieder der Klimaprotestbewegung „Letzte Generation“ haben die mehrspurige Straße besetzt.
Auf dem feucht-kalten Asphalt sitzen sechs Aktivisten nebeneinander. Kein Auto kommt mehr durch. Die 20-jährige Lina Eichler ist mit dabei. Kurze Haare, Brille, ihre Augen starr nach vorne gerichtet, der Mund schmerzverzerrt, während wütende Autofahrer oder Passanten die Aktivisten anschreien. Die eine Hand hat sie an der Straße festgeklebt. Mit der anderen hält sie ein Foto hoch.
„Ich habe Fabian hier heute mit auf dem Schild. Wir haben hier alle Schilder mit von Menschen in München, die inhaftiert wurden: 7 an der Zahl wurden am Montag wieder inhaftiert, weil sie für das Überleben gewaltfrei auf die Straße gegangen sind. 20 insgesamt sind jetzt gerade in Bayern festgenommen worden. Deswegen setze ich mich hier wieder auf die Straße und leiste zivilen Widerstand, weil wir darauf aufmerksam machen müssen, dass wir uns schon mitten in der Klimakatastrophe befinden.“
Zwei der Aktivisten haben sich nicht festgeklebt, damit sie jederzeit aufstehen und eine Rettungsgasse bilden können.
Ein Mann will auf die festgeklebte Hand eines Aktivisten treten, was die Polizei, die nach kurzer Zeit gekommen ist, verhindert. Eine am Straßenrand stehende Passantin zitiert aus dem Grundgesetz und ruft in die Menge hinein:
„‘Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20a. Der Staat schützt die zukünftigen Generationen, die Lebensgrundlagen und Tiere.‘ Passiert nicht! Ihr schützt nicht die Lebensgrundlagen für die zukünftigen Generationen“, ruft die Frau. Sie sehe auch nicht, dass der Schutz von Leben und Gesundheit durchgesetzt werde. „Ich finde es erbärmlich von der Politik, dass nichts gemacht wird. Es gibt ja auch internationale Verträge zum Klimaschutz. Die werden nicht eingehalten. Im Ahrtal die Leute sind tot. Man kann nicht sagen, es gibt keinen Klimawandel. Ständig die ganzen Waldbrände, die es früher auch nicht gab.“

Straßenblockaden und wütende Autofahrer

Ein junger Mann ist aus seinem Wagen gestiegen. Er bleibt im Vergleich zu vielen anderen ruhig.
„Wir stecken dahinten jetzt im Stau, kommen nicht weiter, und müssen an den Flughafen. Es gibt kein Vorwärts, kein Rückwärts. Vielleicht sollte man die auch einknasten.“
Die Aktivistin Lina Eichler von Die Letzte Generation sitzt in orangener Sicherheitsweste auf der Straße und hält ein Bild in der Hand.
Wurde schon mehrmals in Gewahrsam genommen: die Aktivistin Lina Eichler bei einer Straßenblockade von der Letzten Generation.© Tini von Poser
Polizisten versuchen vorsichtig, die angeklebten Hände der Aktivisten vom Asphalt zu lösen. Es dauert lange. Nach etwa zwei Stunden ist die Fahrbahn wieder frei.

Natürlich versuche ich entschlossen zu wirken, bin es in den Momenten auch, aber trotzdem überfordern diese lauten Geräusche und Menschen, die einen anschreien oder schlagen, ich bin ja auch nur ein normaler Mensch. Ich bin frustriert und genervt davon, dass ich das überhaupt machen muss, oder dass so viele Menschen, die jetzt auch zur Letzten Generation dazu kommen, oder schon länger dabei sind, das überhaupt machen müssen, so viel aufgeben müssen.

Lina über das, was sie als Aktivistin bei Aktionen erlebt

Lina wird einige Stunden in Gewahrsam gebracht, erzählt sie am nächsten Tag recht entspannt. Es ist nach etwa zwei Duzend Mal für sie fast zur Routine geworden: Durchsuchung bis auf die Unterwäsche, Fotos machen, Einzelzelle. Bei einer anderen Aktion hat sie ein wütender Autofahrer ins Gesicht geschlagen.
„In solchen Momenten erinnere ich mich halt ganz konkret daran, warum ich das mache. Ich habe dann die Bilder vor Augen, wie die Zukunft aussehen wird, wenn wir jetzt nicht handeln. Ich habe die Bilder vor Augen von diesen Dürren, Flutkatastrophen und allem möglichen, was da mit dranhängt, wenn es noch schlimmer wird, und das wird es auf diesem Planeten in Zusammenhang mit der Klimakatastrophe. Natürlich versuche ich entschlossen zu wirken, bin es in den Momenten auch, aber trotzdem überfordern diese lauten Geräusche und Menschen, die einen anschreien oder schlagen, ich bin ja auch nur ein normaler Mensch. Ich bin frustriert und genervt davon, dass ich das überhaupt machen muss, oder dass so viele Menschen, die jetzt auch zur Letzten Generation dazu kommen, oder schon länger dabei sind, das überhaupt machen müssen, so viel aufgeben müssen.“

Auf der Straße bleiben, bis die Politik reagiert

Lina hat kurz vor den Abiturprüfungen die Schule abgebrochen. Inzwischen ist sie 20 Jahre alt und seit einem Jahr Vollzeit-Aktivistin.
„Was bringt mir ein Abitur oder ein Studium oder ein guter Abschluss, irgendwas, wenn ich nichts mehr zu essen und zu trinken habe, wenn meine Liebsten irgendwie in Flutkatastrophen umgekommen sind, dann bringt mir das alles nichts mehr.“
Im Sommer 2021 hat sie sich an einem Hungerstreik beteiligt. Um ein Gespräch mit den Kanzlerkandidaten zu erzwingen, kurz vor der Bundestagswahl. Lina brach nach 20 Tagen zusammen und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Einige der Hungerstreikenden haben dann Anfang 2022 Die Letzte Generation gegründet. Seitdem blockieren sie Straßen, Flughäfen oder kleben sich an Rahmen von wertvollen Gemälden in prominenten Museen fest.
Lina war vorher bei Extinction Rebellion aktiv, kurz XR. Rebellion gegen das Aussterben. Eine Klimabewegung, die 2018 in Großbritannien entstanden ist und ebenfalls vor allem durch Straßenblockaden auf die Klimakrise aufmerksam machen will. Die Letzte Generation schien Lina konsequenter in ihren Handlungen zu sein. Nach dem Motto: So lange auf der Straße bleiben, bis die Politik reagiert und das Klima wirksam schützt.

"Wir müssen grundlegend Sachen ändern"

„Letzte Generation, viele Menschen haben sich bei XR politisiert, also kann man sagen, benutzen viele Strategien, die ähnlich sind wie Extinction Rebellion.“
Jan Gerber. 28 Jahre alt. Blonde, zum Dutt gebundene Haare. Er hat ein Politikstudium abgeschlossen. Zum Ende hin befasste er sich vor allem mit Klimapolitik und wissenschaftlichen Texten über den Klimawandel. Jan und Lina gehören unterschiedlichen Klimaschutz-Bewegungen an und kämpfen doch für dasselbe Ziel. 
Aktivist Jan Gerber mit lila Sicherheitsweste, im Hintergrund ist ein Protestcamp zu sehen.
Jan Gerber ist mit 26 Jahren zu Extinction Rebellion gegangen und dort inzwischen Vollzeit aktiv.© Tini von Poser
„Ich bin direkt zu Extinction Rebellion gegangen. Ich war da auch 26, und die Fridays hatten keine große Anziehung auf mich. Extinction Rebellion hatte halt von Anfang an diese Radikalität im Sinne von, dass wir uns anschauen müssen, wo liegen die Wurzeln des Problems, und dass wir wirklich grundlegend Sachen ändern müssen und nicht ein paar Stellschrauben im System, und das hat mich in dieser Ehrlichkeit sehr angesprochen.“
Während viele Klimaaktivisten bei Extinction Rebellion ihre Freizeit für den Aktivismus opfern, ist Jan inzwischen Vollzeit aktiv. Er ist von Hamburg in ein kleines Dorf in Niedersachsen gezogen, in die WG einer anderen Aktivistin, lebt von Hartz IV und containert Essen aus Supermärkten.
Sein Engagement bei Extinction Rebellion hat sein Leben und seine Beziehungen verändert, erzählt er: „Ich glaube nicht, dass meine Eltern verstehen, warum ich das tun muss. Und sie glauben auch nicht, dass das, was ich tue, richtig ist. Und ein Großteil meiner Familie sieht das auch so. Und trotzdem ist immer wieder der Versuch da, sich trotzdem anzunähern. Wenn ich nicht die Person bin, die mit meinen Eltern in Kontakt ist, und ihnen das näherbringe, meine Realität, das, was hier passiert, auf unserem Planeten, wer soll es dann tun?“

Aktiv bei der Herbstrebellion in Berlin

September 2022. Extinction Rebellion hat die sogenannte Herbstrebellion in Berlin ausgerufen. Rund 350 Aktivisten legen Verkehrsknotenpunkte der Stadt lahm. Sie stehen, sitzen oder tanzen auf der Straße. Jan ist im Hintergrund aktiv. Meistens ist er im Camp anzutreffen, das die Aktivisten im Regierungsviertel aufgeschlagen haben.
„Ich mache gerade eine Awareness-Schicht und bin quasi hier mit Menschen, die Diskriminierungserfahrungen machen, grenzüberschreitendes Verhalten, die sich unwohl fühlen. Wir wollen ihnen helfen, eigene Handlungsstrategien zu entwickeln, um sich die Situation wieder anzueignen, dass sie sich hier wieder wohl fühlen können. Das ganze Awareness-Thema ist auch noch relativ frisch in der Bewegung. Also dieses Verständnis davon, dass es okay ist, Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn Menschen von einer Situation gerade überfordert sind“, sagt er.
„Wir hatten das am Samstag auf jeden Fall in der Aktion, da ist ein schwarzer Trommler relativ früh von der Polizei rausgepickt worden und der Mensch hat eine unklare Aufenthaltsgenehmigung. Und da waren wir danach im Prozess, um zu gucken, wie unterstützen wir diese Person, die von der Polizei dann dreieinhalb Stunden festgehalten wurde, obwohl sie quasi neben der Aktion saß und getrommelt hat. Und da halt institutioneller Rassismus bei der Polizei präsent ist, wollten wir da Unterstützung leisten. Das ist sehr unangenehm und schwierig, aber megawichtig.“

Wissenschaftler schließen sich den Protesten an

Auf der grünen Wiese des Camps stehen rund 30 kleine bunte Zelte, in denen einige der angereisten Aktivisten übernachten. Am Rande des Camps laufen Polizisten auf und ab und beobachten das Geschehen. Eine Beton-Erhöhung bietet eine Bühne für Reden. Gerade hat ein drahtiger 64-Jähriger nach dem Mikrofon gegriffen.
„Wir nennen die Dinge beim Namen. Die Regierung weigert sich hartnäckig, die Wahrheit über die Klimakrise auszusprechen. António Guterres, UN-Generalsekretär, hat gesagt: Aufschub bedeutet Tod.“
Der Redner ist der Geologie-Professor Niko Froitzheim aus Bonn. Schmales Gesicht, Brille, graue Haare. Ein Anhänger der Scientist Rebellion. Die Scientists, wie sie sich abgekürzt nennen, sind eine Bewegung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zivilen Ungehorsam leisten. Entstanden während der Klimakonferenz in Glasgow 2021.
„Da haben sich Menschen von Scientist Rebellion auf einer Brücke aneinandergekettet und eine Straße blockiert. Die Wissenschaftler haben bisher immer nur protokolliert, was schon passiert im Klimawandel, und sie haben Prognosen gemacht, was in Zukunft passieren wird, aber immer aus einer neutralen sachlichen Haltung heraus, ohne starken Appell-Charakter. Es war immer mehr klargeworden, dass das nicht reicht.“
Wenn es im Winter mal geschneit hat, hat Niko Froitzheim sich gefreut und gedacht, es sei nicht so schlimm mit dem Klimawandel.
„Aber irgendwann, 2018, ging es dann nicht mehr, das zu verdrängen. Also die Mauer, die sich zwischen mir und der Klimakrise und ökologischen Krise aufgebaut hat, die ist immer brüchiger geworden, weil ich auch immer mehr Sorge um die Zukunft meiner Kinder gehabt habe", erzählt er.
Niko Froitzheim, Aktivist bei Scientist Rebellion
Sorgt sich um die Zukunft seiner Kinder: Niko Froitzheim, Aktivist bei Scientist Rebellion.© Tini von Poser
"Wir hatten jetzt schon drei Dürresommer. Der letzte Dürresommer ist gerade vorbeigegangen. Wir können ganz schnell die Kontrolle verlieren auch in Deutschland, sei es durch Dürre, Waldbrände, sei es durch Überflutung. Im letzten Sommer hat es in Kanada eine Hitzewelle gegeben, wo an einem Ort 49,5 Grad Celsius erreicht worden sind. Dadurch ist der Hitzerekord in Kanada auf einen Schlag um 4,5 Grad nach oben geschnellt. Der Ort dort in Kanada liegt auf der geografischen Breite von Koblenz. Das heißt, sowas kann auch bei uns unter bestimmten meteorologischen Konstellationen jeder Zeit passieren. Es ist Zufall, dass das in Kanada passiert ist und nicht bei uns.“

Geologe beteiligt sich an Straßenblockaden

Der Geologe beteiligt sich regelmäßig an Straßenblockaden. Auch festgeklebt hat er sich schon, sagt er mit einem milden Lächeln.
„Meine Frau macht sich da schon Sorgen, wenn ich solche Aktionen mache. Wegen rabiaten Autofahrern. Aber sie steht dahinter. Sie ist selber auch aktiv, allerdings mehr so in der Transformationsschiene in der solidarischen Landwirtschaft. Zu meinem Erstaunen habe ich da nur positives Feedback aus der Uni bekommen. Ich denke, dass auch viele Leute das abgelehnt haben, aber die haben mir das nicht gesagt. Und einige haben gesagt, dass sie das gut finden.“
Ein Hinterhof in einer ruhigen Seitenstraße in Berlin-Mitte. Mit einer Handvoll anderer Aktivisten der Herbstrebellion trifft sich Niko Froitzheim am 4. Tag der Aktionen in den frühen Morgenstunden. Sie wollen eine Blockade im Regierungsviertel durchführen. Den genauen Ort kennt noch keiner von ihnen. Eine Aktivistin schaut immer wieder auf ihr Handy. Sie soll benachrichtigt werden und die Gruppe zum Aktionsort führen. Die Aktivisten sehen aus wie eine Reisegruppe, manche mit Rucksack, eine mit Rollkoffer. Neben Niko sind noch andere Scientists dabei, wie eine Psychologin aus München oder ein Politologe der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Nach wenigen Minuten schallt das Geräusch eines scharf bremsenden Fahrzeugs in den Hof. Kurz darauf kommen vier Polizisten durch die Einfahrt gerannt. Als sie die Gruppe sehen, werden sie langsamer. Sie umzingeln sie und fragen nach Personalausweisen.

Personenkontrollen durch die Polizei

„Ich bin hier einfach Bürgerin, ich stehe hier.“, sagt die Psychologin. „Auf welcher Rechtsgrundlage möchten Sie meine Personalien aufnehmen?“
Der Polizist schaut sie an. „Gefahren abwehren, rechtlich dürfen wir das, weil wir gerade Blockade-Aktionen haben, und deswegen möchten wir jetzt wissen, wer Sie sind und das war’s schon. Das ist einfach Sicherheits- und Ordnungsgesetz § 17. Bitte erst mal die Personalausweise“, sagt der Beamte. „Wir werden jetzt mal in die Rucksäcke und die Taschen reinschauen.“
Niko Froitzheim hält dem Polizisten seinen Rucksack hin und lässt die Durchsuchung schweigend über sich ergehen. Nach etwa einer halben Stunde bringt einer der Polizisten die Personalausweise zurück. Während der Wartezeit werden die Aktivisten permanent von drei anderen Beamten bewacht. Man beäugt sich gegenseitig misstrauisch. In einem der Rucksäcke haben sie Aufkleber von Extinction Rebellion gefunden. Die Konsequenz ist ein Platzverweis. „Bahnhöfe können Sie benutzen, aber nur zum Durchfahren“, sagt der Polizist.
Die Aktion ist gescheitert. Enttäuscht ziehen die Aktivisten ab. Niko Froitzheim hat bis zum Schluss keinen Laut von sich gegeben. Doch sein zerknirschtes Gesicht lässt erahnen, was in ihm vorgeht: „Sehr schade, dass unsere Aktivitäten unterdrückt werden. Das ist sehr enttäuschend. Die Repressionen werden immer stärker, weil die Widerstandsbewegung auch immer stärker wird. Der Widerstand gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen unserer Kinder. Ich habe mich wie ein Verbrecher gefühlt. Man wird kriminalisiert. Man wird wie ein Verbrecher behandelt.“

Grob rechtswidriges Handeln?

Das sei grob rechtswidrig, sagt auch Clemens Arzt. „Es gibt weder einen Grund für eine Identitätsfeststellung noch für sonst irgendwas.“ Arzt ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. „Also wenn die Versammlung nicht verboten war, und das war sie vermutlich nicht, dann ist das grob rechtswidrig. Das ist polizeiliche Machtausübung und nicht rechtmäßiges Polizeihandeln.“
Arzt schlägt im Strafgesetzbuch nach, § 17: „Bestehen Anhaltspunkte, dass am Ort der Versammlung oder auf unmittelbaren Weg dorthin Waffen mitgeführt werden oder der Einsatz von Gegenständen, gefährliche Gegenstände, können Personen durchsucht werden. Identitätsfeststellungen sind nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen gegenwärtigen Verstoß gegen die Beschränkungen oder strafbare Handlungen ergeben. Das ist §17.“
Beate Ostertag sieht das etwas anders. „Die Ziele, grundsätzlich das Klima zu schützen, diese Ziele teilen alle Menschen gleichermaßen. Die Art des Protestes, da haben wir polizeilich kein Verständnis, weil das Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind, weil wir in einer Demokratie andere Möglichkeiten haben, Meinungsbildung zu beeinflussen.“

Polizei spricht von zunehmender Belastung

Für die Polizei bedeuten die Klimabewegungen eine zunehmende Belastung, sagt Beate Ostertag, Sprecherin der Berliner Polizei. Seit Beginn 2022 bilanziert sie rund 300 Blockade-Aktionen, bei denen die Polizei einschreiten musste.
„Was wir mit diesen Stunden sonst noch machen könnten, all das, was wir in dieser Stadt auch an Kriminalität zu bekämpfen haben, Einbrüche. An der Stelle müssen wir haushalten mit dem, was wir haben und Prioritäten setzen. Und da liegt die Priorität in der Beseitigung der Störung im Straßenverkehr und der Blockadeaktion. Die Gefahr muss unmittelbar beseitigt werden. Das ist das, was uns bindet. Die Gefahr, die von der Blockade ausgeht. Das ist unaufschiebbar.“
Es seien in erster Linie Mitglieder der Letzten Generation, die die Polizei auf Trab halten, sagt die Polizeisprecherin, die seit Oktober 2022 im Amt ist. In Berlin hat die Polizei von über 500 Personen dieser Klimabewegung die Personalien aufgenommen. Anders als in München sind Aktivisten in Berlin bisher nur einige Stunden in Gewahrsam gekommen: Seit einem Jahr gut 700 Personen, bilanziert die Polizeisprecherin.
„Was uns auch enorme Kraft kostet, ist die Bearbeitung der Strafanzeigen, die ja gefertigt werden nach jeder Blockade oder Aktion in dieser Stadt. Da liegen wir bei über 2000 Strafanzeigen, die in diesem Jahr schon gefertigt wurden und die auch bearbeitet werden müssen. Das nur in Berlin. Die werden dauerhaft bearbeitet. Wir haben 600 Verfahren schon ausermittelt und an die Staatsanwaltschaft abgegeben.“

Anwalt beobachtet Verunsicherung bei Gerichten

Doch wie umgehen mit Klimaaktivisten, die vorher nie straffällig geworden sind und für eine große Sache kämpfen, den Klimaschutz? Rechtsanwalt Mathis Bönte ist auf Straf-, Steuer- und Wirtschaftsrecht spezialisiert und hat seine Kanzlei in Münster. Seit einigen Jahren verteidigt er Klimaaktivistinnen und -aktivisten vor Gericht. Bei Aktionen von Fridays for Future oder Extinction Rebellion hat er 2020 noch gute Stimmung mit der Polizei auf der Straße erlebt. Das hat sich geändert, berichtet er.
„Und 2021 war dann ganz klar die Vorgabe, wir machen das jetzt nieder. Ich hatte auch einen Mandanten, der 2021 von der Polizei misshandelt wurde in Gewahrsam, der sich festgeklebt hatte und noch Klebstoff an den Fingern hatte und dann erkennungsdienstlich behandelt werden sollte, also Fingerabdrücke sollten ihm abgenommen werden. Dann wurde er da hingeführt und hat dann gesehen, dass da ein Becken mit Seife war und daneben Stahlwolle lag. Und damit sollte er sich dann den Klebstoff von den Händen schrubben und dann hat er gesagt, nee, das mache ich nicht. Und dann hat der Polizeibeamte gesagt, du machst das, sonst kicke ich dich um. Er hat sich dann geweigert und hat verkrampft. Dann haben sie sich wirklich auf ihn geworfen und haben das zwanghaft an ihm durchgeführt. Mit Knien in dem Nacken.“
Die Gerichte verhalten sich gegenüber Klimaaktivisten zutiefst verunsichert, beobachtet der Anwalt. Erste Verfahren wurden folgenlos eingestellt. Bönte hat auch Henning Jeschke vertreten, der die Letzte Generation mitbegründet hat. Sein Mandant hatte sich an ein Flugzeug geklebt. Auch hier hatte der Richter keine Lust, sich mit dem Fall auseinanderzusetzen, erinnert sich Bönte.
„Und Henning war dann wirklich auch ein bisschen sauer. Ihm kommt es halt wie vielen meiner Mandanten nicht darauf an, da möglichst glimpflich rauszukommen, sondern es geht darum, dass die Sache geklärt wird. Und dass man sich mit der Sache auseinandersetzt. Und bis heute habe ich kein Gericht gefunden, was das ernsthaft angehen möchte.“

Aktivisten passen nicht ins Straftäterprofil

Die Irritation der Gerichte besteht auch darin, dass die meisten Klimaaktivisten so gar nicht in das Bild von Straftätern passten. Oft hätten sie Vorzeigelebensläufe, so Bönte.
„Weil das stellenweise Geschichten sind, das denkt man auf den ersten Blick nicht, die erste Reaktion, da setzen sich Leute auf die Straße und blockieren den Verkehr, das sind irgendwelche Spinner, das ist so der erste Reflex. Und wenn man sich mit der Person ernsthaft auseinandersetzt, stellt man fest, das ist überhaupt nicht der Fall. Henning hat auch ein sehr gutes Abi gemacht, war Schülersprecher, hat sich vielfältig sozial engagiert.
Er war bei Fridays for Future, hat Vorträge gehalten, hat alles Mögliche probiert, hat Petitionen geschrieben. Erst als er dann festgestellt hat, es reicht offensichtlich nicht, ist er zu Extinction Rebellion gegangen, ist in den Hungerstreik getreten und hat die Letzte Generation dann ins Leben gerufen.“
Auch gegen Lina Eichler von der Letzten Generation laufen etliche Strafverfahren. Was ihr vorgeworfen wird: Nötigung, weil sie Autofahrer am Weiterfahren gehindert hat, Sachbeschädigung, weil sie zum Beispiel die Parteizentrale*) der SPD mit Farbe besprüht hat. Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Ausgang ungewiss.
„Ich stelle die ganze Justiz in Bezug auf Klimaaktivismus in Frage. Ich frag mich, warum man sich überhaupt vor Gericht behaupten muss, dass man sich für eine Zukunft eingesetzt hat.“
Auch Linas Wohnung ist durchsucht worden. Von vielen Aktivisten wurden Handys und Laptops beschlagnahmt. Bei Lina nichts, weil sie unterwegs war und ihre Sachen bei sich hatte. Reiner Einschüchterungsversuch, stuft die 20-Jährgige die Maßnahmen ein. Lina will weitermachen mit den Straßenblockaden.

Proteste sollen zum Nachdenken anregen

„Protest ist nicht dazu da, um Leuten zu gefallen“, sagt Daniel Saldivia Gonzatti, Protestforscher am WZB, Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist Teil des WZB-Protestmonitorings, das sich damit auseinandersetzt, welche Proteste zu welchen Themen in Deutschland stattfinden.
„Protest ist dazu da, um zum Nachdenken anzuregen. Ich glaube, dass diese Bewegung insgesamt in Deutschland sehr unbeliebt ist, aber Bewegungen haben unterschiedliche Ziele. Bewegungen sind ja nicht Parteien, die gewählt werden wollen. Ich glaube, deren Ziel ist, sozialen Wandel anzutreiben, Politikmaßnahmen für Klimaschutz und für Umweltschutz.“
Die Medien hätten am Anfang sehr stark das Vokabular von gewissen Bundespolitiker*innen auch aus dem Bundeskabinett übernommen. „Das ist ein bisschen fragwürdig. Sie wurden wirklich in die gewalttätige Ecke geschoben. Und jetzt setzt sich der Bundesjustizminister am Sonntagabend mit Anne Will und den Aktivistinnen zusammen.“
Der Diskurs habe sich vielleicht nicht verändert, meint Gonzatti. „Aber man weiß irgendwie, man kann mit diesen Akteurinnen sprechen. Aus Sicht der Bewegungen ist das ein riesen Erfolg. Sie sitzen ein paar Wochen später in den meist gesehenen Sendungen und besetzen deren Themen.“

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Der Rechtsanwalt Mathis Bönte sieht das ähnlich. „Ich habe das Gefühl, momentan steigt die Unterstützung für die Letzte Generation in vielen Bereichen der Gesellschaft. Die Evangelische Kirche hat sich jetzt dahintergestellt, so ein Künstlerzusammenschluss hat sich jetzt dahintergestellt und ich versuche halt auch, die Kreise, auf die ich irgendwie Zugriff habe, die da zu sensibilisieren, worum es da überhaupt geht, und ich habe schon das Gefühl, dass da so ein Wandel derzeit in Gang ist.“
Ein Klimaaktivist der Letzten Generation wird von der Berliner Polizei weggetragen, Oktober 2022.
Ein Klimaaktivist wird von der Berliner Polizei weggetragen: Immer wieder werden Strafverfahren gegen Protestierende eingeleitet.© picture alliance / ZUMA Press / Michael Künne
In seinem Freundeskreis seien viele Juristen, die Fernreisen machen und SUV fahren. „Und ein Freund von mir, der wollte sich vor drei Jahren noch ein Haus bauen. Er hat mir seinen Betongarten beschrieben, den er sich da zulegen wollte. Viel Natur sollte darin nicht sein, und ich habe ihn da gefragt, eine PV-Anlage, wie sieht es damit aus. Dann hat er gesagt: Nee, ich bin nicht so ein Öko. Mittlerweile hat sich das bei ihm auch geändert, dass er auf jeden Fall eine PV-Anlage auf dem Dach will, dass er die Klimakrise als gefährlich ansieht. Es tut sich da schon was.“

Aktivisten sehen sich als Vorreiter

Ziviler Ungehorsam sei nötig, sagt der Geologie-Professor Niko Froitzheim. „Wir müssen stören, der zivile Ungehorsam muss stören. Wenn er nicht stört, dann hat er nicht gewirkt.“
Froitzheim sieht sich da auch in einer historischen Tradition. „Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, Rosa Parks und Martin Luther King, die wurden zu ihrer Zeit als Terroristen beschimpft, und denen wurden genau die gleichen Vorwürfe gemacht, wie sie heute der letzten Generation gemacht werden. Da hieß es, Euer Anliegen ist ja gut, aber die Mittel ganz falsch. Und nachher wurde die amerikanische Bürgerrechtsbewegung verherrlicht.“
Auch Lina Eichler von der Letzten Generation sieht sich als Vorreiterin. „In der Situation, wenn man Widerstand leistet, ist das für viele Menschen kontrovers in der Gesellschaft, man versteht es nicht so ganz. Aber irgendwann werden wir zurückblicken, hätte es diesen Widerstand nicht gegeben, dann sähe es nochmal ganz anders aus.“
Es gebe nicht nur die Kipppunkte im Klimasystem, sagt Niko Froitzheim. „Es gibt auch die Kipppunkte in einer Gesellschaft. Da passiert schon sehr viel. Zum Beispiel die Ernährungswende. Das hätte sich doch vor ein paar Jahren niemand gedacht, was sich jetzt entwickelt in Deutschland an veganer Lebensweise. Das ist doch absolut sensationell. Was auf diesem Sektor gilt, geht auch auf anderen Sektoren. Deshalb glaube ich an so einen gesellschaftlichen Kipppunkt. Ich glaube, von dem sind wir nicht mehr weit weg.“

*) Wir haben an dieser Stelle einen sinnentstellenden Tippfehler entfernt.
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