Über den Bericht des Weltklimarates haben wir auch mit dem Systemökologen Andreas Fischlin von der ETH Zürich gesprochen. Er ist einer der 91 Wissenschaftler, die an dem Bericht mitgearbeitet haben. Das Interview können Sie hier nachhören: Audio Player
Katastrophenszenarien überfordern die Menschen
Eindringlich warnt der Weltklimarat vor den Folgen einer weiteren Erderwärmung. Doch wie schafft man es, die Menschen für Klimaschutz zu sensibilisieren? Zum Beispiel mit einer anderen Art der Berichterstattung, meint der Kommunikationsfoscher Michael Brüggemann.
Dieter Kassel: Es ist ja noch ziemlich früh in Deutschland, 8:38 Uhr, es ist weniger als sechs Stunden her, dass der Sonderbericht des Weltklimarates zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad überhaupt veröffentlicht wurde, und schon haben sich die ersten auch in Deutschland wieder gemeldet, der Klimaforscher Mojib Latif zum Beispiel, Anton Hofreiter von den Grünen, und das wird noch viel mehr werden heute im Laufe des Tages, denn nach so einem Bericht ist natürlich das Thema Klimawandel in allen Medien zu finden.
Es wird eine kurze Pause dann wahrscheinlich geben, und dann geht es auch wieder los, denn im Dezember findet ja schon der nächste Weltklimagipfel in Katowice in Polen statt. Aber wie viel bringt diese Berichterstattung wirklich, und wie kann man ein solches Thema vernünftig kommunizieren? Darüber wollen wir mit Michael Brüggemann sprechen. Er ist Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg. Schönen guten Morgen, Herr Brüggemann!
Michael Brüggemann: Guten Morgen!
Auf 2020 schauen und nicht auf 2050
Kassel: Seit vielen Jahren haben wir nun gehört, zwei Grad maximale Erderwärmung, das ist das Ziel, seit Jahren hören wir, das ist nicht zu erreichen, jetzt hören wir 1,5 Grad, und es ist zu erreichen. Wie kann man denn sowas einer allgemeinen Öffentlichkeit und auch der Politik überhaupt noch vermitteln?
Brüggemann: Das ist in der Tat schwer zu verstehen, für mich auch, dass man vorher gehört hat, dass zwei Grad fast nicht zu erreichen sind und wir es eigentlich verfehlen und jetzt anderthalb Grad doch. Die Frage ist, ob das eigentlich so eine gute Nachricht ist, den Leuten zu sagen, na ja, das geht jetzt vielleicht doch, weil das könnte ja auch demotivieren, dann könnte ich ja auch sagen, na ja, dann haben wir ja doch noch Zeit, dann kann man sich ja doch noch ein bisschen zurücklehnen, und dann muss man ja vielleicht doch nicht so viel machen.
Kassel: Wobei natürlich ich mich überhaupt frage, solche konkreten Vorgaben, 1,5 Grad oder zwei Grad, sind die überhaupt sinnvoll, denn ich meine, wenn ich nun zu Hause sitze und überlege, fahre ich Auto oder nicht, nehme ich einen Billigflieger oder nicht, kann ich ja aus meiner persönlichen Wahrnehmung, glaube ich, keinen direkten Bezug zu zwei Grad herstellen, oder?
Brüggemann: Also aus Kommunikationsperspektive ist die Fokussierung auf Debatten darüber, was in 50 oder 100 Jahren passiert und ob wir dann 1,5 oder zwei Grad erreichen, ist aus kommunikativer Perspektive hochproblematisch, weil sich Menschen ja eher mobilisieren lassen, und Politik dreht sich auch um Sachen, die in jetzt oder in zwei, drei Jahren oder in zehn Jahren passieren, und da wäre es sicherlich sinnvoller, sich mal darauf zu konzentrieren, okay, erreicht jetzt die Bundesregierung ihre gesteckten Klimaziele in 2020 und nicht irgendwie, was passiert bis 2050 oder noch später.
Ein Weckruf für mehr Klimaschutz
Kassel: Nun könnte man jetzt zumindest glauben, wenn es einen solchen Bericht gibt wie den, der heute erschienen ist, oder wenn es eine große Konferenz gibt wie das nächste Mal im Dezember in Katowice, dann ist dieses Thema in aller Munde, und das ist doch allein schon etwas Positives, weil wir alle wieder merken, wie dringlich dieses Thema ist und dass wir alle etwas tun müssen, aber es gibt dazu ja auch konkrete Forschungsergebnisse. Wie stark wirken denn solche Konferenzen, solche Berichte und die Berichterstattung darüber wirklich auf das Verhalten von Individuen?
Brüggemann: Also noch mal zum ersten Punkt: Es ist natürlich schon eine wichtige Funktion. Der Bericht hat sein Gutes, weil, er könnte ein Weckruf werden für mehr Klimaschutz, wenn die Medien dann auch schaffen und die Politik schafft, kontinuierlich Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Aber genau das ist ja das Problem bisher, dass es rund um solche Events und solche Klimawechsel ganz kurz, vor allem ganz am Anfang, ganz intensive Berichterstattung gibt, und dann lässt die auch ganz schnell wieder nach, nämlich dann, wenn man drauf achten müsste, ob die Politik jetzt ihre Versprechen auch einlöst und auch umsetzt und auch tatsächlich was macht.
Und weil es eben diese kurze Berichterstattung ist, also im Hinblick auf die haben wir in unserer Forschung gesehen, die hat keine großen Effekte auf die Menschen, weder dass sie unglaublich viel lernen noch dass sich da Meinungen ändern, wenn man ganz kurz Berichterstattung macht. Man muss sich also nicht vorstellen, dass die Medien da eine magische Wirkung haben auf die Leute.
Selbstwirksamkeit der Bürger stärken
Kassel: Aber was würden Sie denn empfehlen in der Berichterstattung? Also wenn man sehr sachlich ist, dann muss man ja auch sagen, die Klimaforscher gehen überwiegend davon aus, dass eventuell und höchstwahrscheinlich und wann genau weiß man auch nicht. Das ist natürlich etwas, was schwer verständlich ist und auch sicherlich keine Verhaltensänderung bewirkt, aber sollten die Medien dann eher Panik machen und eher Horrorszenarien beschreiben?
Brüggemann: Auf keinen Fall. Die Katastrophenszenarien zu erwähnen und die Risiken zu erwähnen, das ist ja eine Sache der Ehrlichkeit, das muss man auch machen, und das weckt auch Aufmerksamkeit, aber das kann halt, wenn man nur dabei stehenbleibt, zu einer Überforderung führen oder sogar zu einer Leugnung des Problems.
Es ist genauso wichtig, klarzumachen, wie wir Klimaschutz betreiben können. Also das nennt man Selbstwirksamkeit, also dass jeder Einzelne auch etwas dazutun kann, einerseits als Konsument, aber andererseits auch als Bürger. Wir können unsere Regierung wählen, wir können politischen Druck machen, und das ist, was jeder einzelne tun kann, und wenn man das heraushebt und zeigt, wo passiert überall was, jetzt auch hat man beim Hambacher Forst gesehen, das Engagement kann einen Effekt haben. Das wäre viel wichtiger als zu schauen und darüber zu theoretisieren, ob irgendwann es anderthalb Grad oder 1,8 Grad oder 2,5 Grad wärmer wird.
Kassel: Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima und Wissenschaftskommunikation an der Uni Hamburg über das schwierige Vermitteln von Wissen und Handlungshinweisen zum Klimawandel. Herr Brüggemann, danke fürs Gespräch!
Brüggemann: Ja, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.