"Das Undenkbare ist möglich"
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Mojib Latif zählt zu den führenden Klimaforschern Deutschlands. Unermüdlich mahnt er, den Klimawandel ernst zu nehmen. Weltpolitisch stehen die Zeichen dafür denkbar schlecht. Und doch bleibt der Wissenschaftler ein „hoffnungsloser Optimist“.
Strafaufsätze in der Schule, die fand Mojib Latif gar nicht so schlecht. Hatte er sich mal wieder daneben benommen, "ich war kein Kind von Traurigkeit", musste ein Aufsatz geschrieben werden. Den Inhalt konnte Mojib Latif frei wählen. "Und dann habe ich mir ein Thema ausgesucht, von dem ich wusste, dass die Lehrerin, oder der Lehrer, darüber auch nichts wissen. Zum Beispiel habe ich mir einfach mal die Zuckerkrankheit ausgesucht, oder den Süßwasserpolypen. Ich habe es damals nicht gemerkt, aber im Nachhinein muss ich sagen, war da eigentlich schon der Grundstein gelegt, Wissenschaftler zu werden."
Nach der Schule begann Mojib Latif Betriebswirtschaftslehre zu studieren, eigentlich nur für die Eltern. Doch schnell war klar, Meteorologie, das interessierte ihn viel mehr. Schon als Kind hatte sich der gebürtige Hamburger Theorien darüber ausgedacht, wie Gewitter entsteht. "Wenn zwei Wolken zusammenstoßen, dann rumst es." Dass ein Meteorologie-Studium zunächst vor allem aus Physik besteht, überraschte ihn. "Da musst du dich dann durchbeißen." Später erkannte Mojib Latif, "Wetter, die Atmosphäre, oder auch die Ozeane sind ja physikalische Systeme. Da passieren alle möglichen Prozesse, die können Sie nur durch Physik beschreiben."
Lockdown hilft dem Klima nicht
Seit über 30 Jahren beschäftigt sich der Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum in Kiel vor allem mit der Klimaforschung. Auch wenn die Luft durch den Lockdown während der Corona-Krise sauberer geworden sei, dem Klima habe es nicht geholfen. "Im Mai haben wir einen historischen Rekordwert gemessen, was den CO2-Gehalt in der Luft angeht. Man muss einfach sehen, dass CO2, das wir ausstoßen, das ist sehr langlebig und bleibt für eine Ewigkeit in der Luft. Und wenn wir weniger ausstoßen als im Vorjahr, dann kommt das trotzdem oben drauf." Das wären einmal mehr alarmierende Zeichen, doch der Meteorologe und Klimaforscher ist skeptisch, dass sie wirklich ernst genommen werden.
"Ich merke, dass Wissen offensichtlich nicht ausreicht, um auch Handlungen hervorzurufen. Wir wissen über die Dinge seit 30 Jahren Bescheid. Auch unsere Politikerinnen und Politiker wissen ziemlich gut Bescheid über das Klimaproblem. Und trotzdem sind wir lange in die falsche Richtung gefahren." Immerhin, die Entwicklung in Deutschland mache ihm ein wenig Mut. Denn hierzulande sei der Ausstoß von Treibhausgasen zurückgegangen. "Meine Hoffnung ist einfach, dass wir in Deutschland, vielleicht auch in einigen anderen Ländern, die Zeichen der Zeit erkannt haben, vorangehen. Und dann die anderen Länder, die sich bis jetzt noch weigern, förmlich mitziehen."
"Die Wirtschaft nicht gegen die Wand fahren"
Für Mojib Latif ist das Klimaproblem hauptsächlich ein Energieproblem. "Wir dürfen die Wirtschaft nicht gegen die Wand fahren. Wir müssen die Technologien, die schon entwickelt sind, die müssen wir verstärkt in den Markt einführen. Da geht es um Benzin, Heizöl und solche Geschichten. Das müssen wir ersetzen." Ob das noch rechtzeitig klappt? "Es passieren immer wieder Dinge, die man nicht für möglich gehalten hat. Also ich denke zum Beispiel an die deutsche Wiedervereinigung. Das heißt also, das Undenkbare ist möglich. Hätte es nicht die Anti-Atombewegung gegeben, wäre vermutlich auch der Atomausstieg nicht gekommen. Das zeigt einfach, wenn man sich einmischt, da reicht eine kritische Masse, dann passiert auch etwas."