Klimaforscher über Lerneffekte der Coronakrise

"Wir merken derzeit, was alles geht"

07:53 Minuten
In einer Illustration wird die Form einer Weltkugel auf blauem Hintergund gezeigt, vollgepackt mit Gebäuden - sie ähnelt so der Form des CoVid19-Virus.
Schaffen wir es doch noch, unseren Planeten und damit auch uns selbst zu retten? © imago-images / Westend 61
Uwe Schneidewind im Gespräch mit Ute Welty |
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Raus aus den Sackgassen, rein in die Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft: Mit den Erfahrungen der Coronakrise können wir auch die Klimafrage zielgerichteter lösen, glaubt der Klimaforscher Uwe Schneidewind.
Ute Welty: Zukunftskunst, das ist ein relativ schwierig auszusprechendes Wort und auch eine recht sperrige Formulierung. Aber Uwe Schneidewind hält Zukunftskunst für einen Schlüsselbegriff.
Ausführlich hat der Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie darüber geschrieben in seinem jüngsten Buch, "Die große Transformation", und er betreibt auch einen Blog unter dem Titel zukunftskunst.eu. Was genau meinen Sie mit Zukunftskunst?

Schneidewind: Das Buch ist ja vor der Corona-Krise entstanden und ist eigentlich eine Antwort auf die Sackgassen, in die wir in diesem Diskurs über Umwelt und Klima ja oft geraten sind. Dass die Fronten immer verhärteter wurden und zum Teil etwas fast schon Verkrampftes und Moralinsaures bekamen und man aus dem Blick verlor, dass das, was da vor uns steht, eine Welt mit zehn Milliarden Menschen ist, in der jeder die Chance auf ein würdevolles Leben hat. Und das, obwohl der Planet begrenzt ist. Dass das ja eigentlich eine fantastische Zukunftsvision ist, die wert ist, alle Energien zu mobilisieren.
Dieser Kunstbegriff steht eben für dieses Kreative und Lustvolle im Hinblick auf diese Zukunftsherausforderung und sollte so ein Stück die Grundtonalität und die Art und Weise, wie wir an diese Herkulesaufgabe, die aber letztlich, wenn sie uns gelingt, ein Geschenk ist, herangehen.

Erfahrungen der Coronakrise nutzen

Welty: Sie sind der Ansicht, dass wir jetzt schon damit beginnen müssen, die Corona-Erfahrungen zu begleiten und aufzuarbeiten mit den Mitteln der transdisziplinären Transformationsforschung. Warum ist das so wichtig?

Schneidewind: Das ist ein sperriger Begriff. Wir haben jetzt deutlich gemacht, das ist absolut richtig, dass es jetzt natürlich erst mal um Gesundheitsschutz geht, dass wir auch reden müssen, wie wir diese kurzfristigen ökonomischen Schocks auffangen. Aber wir spüren, dass diese Krise so tief hineingeht in die Art und Weise, wie wir über Wirtschaft, Gesellschaft noch im Zweck nachdenken, dass das ja durchaus eine Möglichkeit ist, diese Phase des Wiederanfahrens dann zu verbinden mit vielen der anderen Herausforderungen. Zu sehen, wie organisieren wir eigentlich Wirtschaft und Gesellschaft in der Phase danach und wie nutzen wir viele dieser sehr persönlichen Erfahrungen, aber auch Lerneffekte, um vielleicht dann auch besser mit anderen Herausforderungen wie der Klimafrage umgehen zu können.


Welty: Jetzt haben sich ja schon mehrere Gelegenheiten geboten, mit dem Umdenken anzufangen: Tschernobyl, 9/11, Lehman… verzeihen Sie mir meine Skepsis, aber ist im Nachgang dieser Ereignisse tatsächlich so richtig Brauchbares herausgekommen?

Schneidewind: Tschernobyl, das waren diese Umweltkatastrophen, die sensibilisieren für das Thema, diese Sensibilisierung ist heute da. Ich glaube, es gibt nur noch ganz, ganz wenige Menschen, die das Gefühl haben, die gibt es nicht, diese Klimakrise.

Die Herausforderung ist ja: Wie übersetze ich das wirklich in ein konsequent anderes Handeln – bei mir selber, aber auch in der Art, wie wir die Wirtschaft organisieren, wie wir unsere Städte aufbauen. Da war ja der große Widerstand, dass man spürte, ja, ja, richtig mit dem Klimathema, aber das braucht doch Maßnahmen, die sind doch gar nicht umsetzbar.
Ein Mann mit kurzen Haaren, Brille und grauem Anzug sitzt vor einem Bücherregal.
Präsident des Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie Uwe Schneidewind© dpa / Andreas Fischer

Wirtschaft und Lebensstile weiterentwickeln

Welty: Und das ist jetzt anders tatsächlich?

Schneidewind: Ich glaube, wir merken ja derzeit, was alles geht. Also wenn wir Solidarität üben für ein Ziel, das wir für sinnvoll erachten, dass dann plötzlich Maßnahmen möglich werden, die man vorher immer als völlig unmöglich erklärt hat.

Ich glaube, dieses Einordnen auch der Frage, was war das dann im Nachhinein eigentlich für eine Bedrohung und um wie viele Menschenleben und Tote und Folgen ging es, und das in Beziehung zu setzen mit der auf längere Sicht ja noch mal ganz anderen Dimension solcher Herausforderungen wie der Klimafrage, ermöglicht es uns, auch ganz anders gründlich darüber zu diskutieren, wie wir eine Wirtschaft weiterentwickeln. Und wo wir eigentlich auch bereit sind, vielleicht in ganz anderem Maße Geld in die Hand zu nehmen und auch Lebensstile weiterzuentwickeln, als das vor der Corona-Krise möglich war. Weil das Argument, das geht nicht, das zählt jetzt nicht mehr.
Welty: Die Bundesumweltministerin hat diese Woche auch noch mal darauf hingewiesen, dass es Studien gibt, die durchaus einen Zusammenhang herstellen zwischen Umweltzerstörung und Corona, denn weniger Lebensraum für Wildtiere bedeutet größere Chancen für Viren, vom Tier auf den Menschen überzuspringen. Inwieweit könnte das auch ein Hebel sein für mehr Nachhaltigkeit?

Schneidewind: Diese Brücken gibt es, man muss natürlich aufpassen, dass man nicht zu viel da überbewertet und künstlich herstellt. Die Corona-Krise läuft natürlich in vielerlei Hinsicht mit ganz anderen Ursachen. Und ich glaube, die Verbindung hing wirklich eher in dem Lernen, wie stark wir uns verändern und handeln können und wie handlungsfähig wir sind, wenn wir ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, was der Staat plötzlich in der Lage ist, möglich zu machen. Ich glaube, diese Erfahrungen sind eigentlich das, was wir dann auch in die Bewältigung anderer Krisen mitnehmen können.

Welty: Jetzt gibt es aber auch die Überlegung und die Hoffnung der krisengeschüttelten Automobilbranche, dass es womöglich Zugeständnisse gibt in Sachen CO2-Grenzwerte, aber das wäre dann doch das Gegenteil von nachhaltig.

Schneidewind: Absolut, man darf sich da nichts vormachen. Diese Diskussion und letztlich auch dieser Kampf läuft derzeit – der einen, die sagen, jetzt stellt man das Ökothema ganz hinten an, hier geht es um anderes, und denjenigen, wie wir das ja auch in unseren Papieren deutlich machen, die klarmachen, gerade Wirtschaft ankurbeln, das lässt sich jetzt hervorragend kombinieren mit den Umbauprozessen, die wir ohnehin brauchen.

Nehmen Sie die Automobilindustrie, dort geht es jetzt ja um die Umstellung Richtung Elektromobilität, und wenn wir Milliarden auch zum Wiederankurbeln solcher Schlüsselindustrien in die Hand nehmen, dann sollten wir das dafür nutzen, dass diese neue Form von Mobilität schneller möglich wird, als es vielleicht vorher der Fall war, und nicht erst die alte wiederherstellen, um dann mit noch mehr Kosten das dann umzubauen.

Städte und Kommunen als "Taktsetzer"

Welty: Was Ihre eigene Zukunft angeht, da gibt es einen konkreten Plan: Ende des Monats verlassen Sie das Institut, um als Oberbürgermeister in Wuppertal zu kandidieren, raus aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm und rein in die Mühen der politischen Ebene. Haben Sie da nicht die Sorge, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern?

Schneidewind: Ich meine, das ist, glaube ich eher ein Bedürfnis nach so einer gewissen Authentizität. Wenn man seit 30 Jahren über Veränderungsprozesse forscht und den Leuten immer wieder erklärt, wie es geht, und jetzt plötzlich die Chance bekommt, von zwei Parteien aufgestellt zu werden und das in einer Stadt, an der man mit ganzer Leidenschaft hängt, wirklich konkret vielleicht mitgestalten zu können, dann ist das eine unendliche Chance.

Ich bin guter Dinge, weil ich der festen Überzeugung bin, viele der Veränderungsprozesse, die muss man mit Menschen machen, und Menschen kann man am besten mitnehmen vor Ort, wenn man in direktem Kontakt mit ihnen ist. Darum ist gerade die Ebene der Städte eine, in der wir auch Taktsetzer sein können für solche Veränderungen. Und ich hoffe, das gelingt dort auch, genügend Rückhalt hier in Wuppertal zu bekommen und diese Aufgabe übernehmen zu dürfen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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